Tageblatt: Sie haben vor kurzem gesagt, Sie hätten „den schönsten Job der Welt“. Haben Klimaschützer es zurzeit nicht unglaublich schwer?
Xavier Turquin: Aktionismus, speziell für das Klima, war schon immer schwierig, mittlerweile geht es aber auch um die Demokratie. Heute können wir frei miteinander sprechen, dank der Menschenrechte und des Rechts des Einzelnen auf Meinungsfreiheit. Das gilt es zu verteidigen, es ist unsere Pflicht. Davon abgesehen: Ein schöner Job ist für mich nicht einer, wo man hingeht, weil man Geld verdient. Es ist einer, wo man stolz auf das Geleistete ist.
Zur Person
Xavier Turquin ist in Nice geboren. Er hat Betriebswirtschaft und Informatik studiert und lange in der Finanzwirtschaft auf dem Kirchberg gearbeitet. 2021, unter dem Eindruck der Pandemie, wechselte er die Seiten und studierte nachhaltige Entwicklung und soziale Innovation an der Uni.lu. Seit September 2024 ist er Direktor von Greenpeace Luxembourg.
Sie spielen auf den Prozess in den USA an, wo es um Meinungsfreiheit geht. Greenpeace ist zu 660 Millionen US-Dollar Schadensersatz verurteilt worden, eine Riesensumme und existenzbedrohend. Ist Greenpeace das Bauernopfer in dieser Sache?
Ganz klar. Wenn es eine kleinere, unbekanntere NGO gewesen wäre, wäre es vielleicht eine Headline in einer Regionalzeitung wert gewesen. Die Pipeline liegt in North Dakota, einem Bundesstaat an der Grenze zu Kanada. Da Greenpeace verurteilt wurde, wird weltweit darüber geredet. Es soll ein Beispiel sein und hat eine Botschaft: „Drill, baby, drill. Lasst uns unser Business in Ruhe machen. Wenn nicht, werdet ihr bestraft und aus dem Weg geräumt.“
Das klingt heftig …
Ist es auch. Selbst, wenn wir die Berufung gewinnen, ist diese Nachricht in der Welt. NGOs weltweit werden sich zukünftig überlegen, ob sie so ein Risiko eingehen und es wird auch irgendwann nicht vor der Presse haltmachen. Auch sie riskiert, in solche juristischen Auseinandersetzungen zu geraten, wenn sie allzu kritisch berichtet.
Greenpeace hat Berufung eingelegt und klagt zusätzlich am Sitz der internationalen Muttergesellschaft in den Niederlanden. Wie ist Ihre Einschätzung?
Wir haben gute Chancen, in den USA die Berufung zu gewinnen, wenn das Recht respektiert wird. Unter der Administration Trump ist das unsicher, sie könnten Richter austauschen. In Europa liegen die Dinge anders. Es ist ein Test, da die EU im März 2024 eine Richtlinie verabschiedet hat, die Beklagte vor solchen Klagen schützen soll. Wir werden sehen, ob die europäische Direktive ausreichend ist.
„Drill baby, drill. Lasst uns unser Business in Ruhe machen. Wenn nicht, werdet ihr bestraft und aus dem Weg geräumt.
Was ist Ihre erste Priorität in Sachen Klima, wenn es um Luxemburg geht?
Mir liegt daran, dass die Regierung, die Bevölkerung und andere Entscheidungsträger ihre systemische Rolle beim Umweltschutz realisieren und anerkennen. Wir als Greenpeace kämpfen für den Tropenwald in Brasilien. Da kann man sich die Frage stellen, was hat das mit Luxemburg zu tun? Wir alle in Luxemburg haben etwas damit zu tun, weil das Land es multinationalen Konzernen, die von der Zerstörung des Regenwaldes profitieren, gestattet, sich hier anzusiedeln. Wollen wir unseren Wohlstand weiter auf der Zerstörung der Natur und dem Schaden in anderen Ländern aufbauen? Luxemburg könnte finanziell und gestaltend genau der Platz sein, um das aktuelle Wirtschaftssystem zu transformieren.
Luxemburg hatte 2025 seinen „Overshot Day“ schon im Februar. Sie kommentieren das gerne mit einem Vergleich aus der Finanzwirtschaft, die Sie gut kennen.
Wenn unsere Erde ein Bankkonto wäre, das jedes Jahr Zinsen abwirft, wie in diesem Fall Sauerstoff, Wasser, Ernten oder Rohstoffe, und wir so weiterleben, gibt es irgendwann keine Zinsen mehr. Das kann auch sehr viel Geld nicht ausgleichen. Unsere Rolle als Umweltorganisation ist es, das Leben und unsere Basis, den Planeten, ins Zentrum von politischen Entscheidungen zu rücken.
Gerade läuft die Debatte um die Rentenreform. Sie kritisieren den „Fonds de pension“ …
Der Fonds ist dazu da, unsere Zukunft zu sichern und nicht, sie zu zerstören. Heute ist die einzige Vision: Geld. Was macht man mit 5.000 oder 7.000 Euro Pensionen pro Monat, wenn Europa nur noch in Nationalstaatsmustern denkt und im Süden Europas keine Tomaten mehr produziert werden können, weil Wasser fehlt und es zu heiß ist?
Es gibt noch andere Baustellen. Die Cattenom-Anrainer haben sich kürzlich dafür ausgesprochen, dem bestehenden Atomkraftwerk neue Reaktoren hinzuzufügen. Das ist kurz hinter der Grenze …
Der Kampf gegen Atomkraft ist für Greenpeace ein historischer. Das gilt für Luxemburg übrigens auch. Aktuell sehen wir hier im Land eine Schwächung dieser Position. Die Haltung der Regierung geht eher in Richtung Neutralität. Warum? Man sieht die Atomkraft als eine Lösung bei der energetischen Transition. Das ist ein Fehler.
Und dann ist da noch die Landwirtschaft …
Die Landwirtschaft ist ein Teil des Problems, aber vor allem der Lösung für mehr Klimaschutz. Die Landwirtschaft ist heute eine Industrie wie andere auch. Was wäre, wenn die Landwirte Naturschützer und -hüter wären und uns gleichzeitig ernähren? Wenn es ein regeneratives System wäre und nicht eines, das den Boden auszehrt? Landwirte könnten besser leben, stolz sein auf das, was sie tun und die Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln versorgen.
Es ist erstaunlich still geworden im Kampf der Jugend um das Klima. Haben Sie eine Erklärung?
Da hat Covid sehr viel ausgebremst. Außerdem lastet auf den Schultern der jungen Generation eine große Verantwortung. Wenn ich mit Jugendlichen spreche, höre ich oft: „Seit unserer Kindheit wird uns erzählt, wir sollen auf die Umwelt achten und ihr, was macht ihr?“ Trotzdem beobachten wir gerade, dass junge Generationen 2025 wieder mobil machen.
Ihr Traum für 2050?
Dann wäre ich 74 Jahre alt. Ich lebe seit 20 Jahren in Luxemburg und mein Traum wäre, dann hier im Sommer mit meinen Enkeln Fahrrad zu fahren. Das setzt voraus, dass die Außentemperatur nicht 50 Grad beträgt und ich gesund bin.
Die Anti-Slapp-Richtlinie
Mit der Richtlinie (EU) 2024/1069 bekommt die EU erstmals ein verbindliches europäisches Rechtsinstrument gegen missbräuchliche Klagen, sogenannte Slapp-Klagen („strategic lawsuit against public participation“). Die missbräuchlichen Klagen werden vor allem gegen Journalist*innen, Menschenrechtsaktivist*innen und Organisationen der Zivilgesellschaft eingesetzt. Mit der Richtlinie werden wirksame verfahrensrechtliche Schutzmaßnahmen für grenzüberschreitende Slapp-Klagen eingeführt. Dies hatte die Zivilgesellschaft nach der Ermordung der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia gefordert. Es ermöglicht die vorzeitige Abweisung offensichtlich unbegründeter Klagen sowie Rechtsbehelfe gegen missbräuchliche Gerichtsverfahren, insbesondere auch die Auferlegung von sämtlichen Kosten, Sanktionen oder sonstigen geeigneten Maßnahmen mit gleicher Wirkung sowie den Schutz vor Drittlandsurteilen, die in der EU nicht anerkannt oder vollstreckt werden.
De Maart

"Angriffe auf die Meinungsfreiheit"
Wahrlich, wahrlich... da haben sie recht!