Donnerstag30. Oktober 2025

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ÖsterreichZwischen Bobos und Prolos: Orientierungslose SPÖ ist mehr mit sich selbst und als mit Kurz im Clinch

Österreich / Zwischen Bobos und Prolos: Orientierungslose SPÖ ist mehr mit sich selbst und als mit Kurz im Clinch
Pamela Rendi-Wagner, Parteivorsitzende der SPÖ, wurde am Parteitag abgewatscht – doch das ist längst nicht das einzige Problem der Sozialdemokraten in Österreich Foto: dpa/Michael Gruber

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Österreichs Kanzlerpartei liefert der Opposition aufgelegte Elfmeter in Serie. Doch die Sozialdemokraten plagt weiter ein Zug zum Eigentor.

Die politische Landschaft Österreichs präsentiert sich wie ein Schlaraffenland für Oppositionsparteien. Gegen Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz wird wegen Falschaussage vorm Ibiza-Untersuchungsausschuss ermittelt, sogar er selbst rechnet mit einer Anklage. Sein Finanzminister und engster Vertrauter Gernot Blümel befindet sich ebenfalls im Visier der Korruptionsstaatsanwaltschaft. Ein anderer Kurz-Freund, der Chef der Verstaatlichten-Holding ÖBAG Thomas Schmid, musste wegen ebenso entlarvender wie peinlicher Chats rund um seine Bestellung bereits den Hut nehmen.

Wie sehr die Nerven der ÖVP blank liegen, zeigen ihre permanenten Angriffe auf die Korruptionsstaatsanwaltschaft, der sie parteipolitische Motive unterstellt. Die grüne Justizministerin Alma Zadic stellt sich schützend vor die attackierten Staatsanwälte. Sogar aus der Kurz bislang völlig ergebenen ÖVP tönen erste kritische Stimmen.

SPÖ-Trend steigend

Vom türkisen Tohuwabohu profitiert die Opposition allerdings nur mäßig. Dass die Bäume der FPÖ nicht in den Himmel wachsen, ist nach dem von Herbert Kickl zu seinen Gunsten entschiedenen Machtkampf mit dem inzwischen Ex-Parteichef Norbert Hofer plausibel zu erklären. Die seit Jahren von einer Wahlniederlage zur nächsten taumelnden Sozialdemokraten aber erfreuten sich zuletzt eines steten, wenn auch nicht steilen Umfragetrends nach oben.

Die seit ihrem Start vor zweieinhalb Jahren immer wieder aus den eigenen Reihen attackierte Parteichefin Pamela Rendi-Wagner konnte sich als Epidemiologin in der Pandemie mit ihrer Expertise profilieren. Vor allem aber schien sie der roten Alphamännchen – insbesondere des burgenländischen Landeshauptmannes Hans-Peter Doskozil – Herr geworden zu sein. Der den rechten Flügel repräsentierende Doskozil kandidierte beim Parteitag am vorigen Wochenende nicht einmal mehr für einen der Stellvertreterposten.

Rote Heckenschützen

Doch dann passierte das, was die alpenrepublikanischen Medien unisono als Debakel und Desaster interpretierten. Rendi-Wagner wurde mit nur 75 Prozent der 600 Delegiertenstimmen als Vorsitzende bestätigt. Ein schlechteres Ergebnis hatte nur Bruno Kreisky in den 1970er Jahren erzielt – allerdings in einer Kampfabstimmung gegen einen Widersacher.

Beim jüngsten Parteitag in Wiener Neustadt gab es weder Gegenkandidaten noch offen ausgetragene Differenzen. Wie die FPÖ eine Woche davor setzte man bewusst auf inszenierte Harmonie. Und so blieb es einem einzigen Delegierten vorbehalten, ein Streitthema ans Rednerpult zu tragen. „Bei der Staatsbürgerschaftsdebatte haben mich viele gefragt, ob es uns noch gut geht als SPÖ, dass wir der ÖVP ihr Lieblingsthema auflegen“, kritisierte der Knittelfelder Bürgermeister Harald Bergmann. Er meinte damit die kürzlich von der SPÖ-Spitze ventilierte, dann aber ohnehin nicht auf die Parteitagesordnung gesetzte Forderung nach einem erleichterten Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft.

ÖVP und FPÖ hatten das Thema dankbar aufgegriffen und sich als Hüter des Österreichertums inszeniert. Unbestritten zählt Österreich in Sachen Staatsbürgerschaftsrecht weltweit zu den restriktivsten Staaten. Mit dem Ruf nach Erleichterungen ist aber kein Blumentopf zu gewinnen. Nicht einmal bei der sozialdemokratischen Wählerschaft gibt es dafür Mehrheiten.

Das Thema offenbart die seit der Fluchtwelle 2015 immer wieder aufpoppende Zerrissenheit der Genossen: Hier der „bourgeoise Bohemien“, der liberal und weltoffen eine moderne Sozialdemokratie erschaffen will, dort der traditionelle Arbeiter und kleine Angestellte, dessen Zukunfts- und Existenzsorgen wenig Platz für Solidarität mit Zuwanderern lassen. „Bobos und Prolos“ müssten in der Partei aber einen Platz haben, so der burgendländische SPÖ-Landesgeschäftsführer Roland Fürst.

Kreiskys Erben

Rendi-Wagner wird eher der Bobo-Fraktion zugerechnet. Als Quereinsteigerin fehlt ihr der rote Stallgeruch. Sie stammt zwar aus ärmlichen Verhältnissen, repräsentiert aber als soziale Aufsteigerin gleichermaßen Fluch und Segen einer sozialdemokratischen Erfolgsstory. Viele Profiteure der Kreisky’schen Modernisierungspolitik der 1970er Jahre fallen als Zielgruppe einer klassischen Arbeiterpartei aus. Wenn sie der SPÖ dennoch treu geblieben sind, dann leben sie ihr linkes Weltbild eher gesellschafts- als sozialpolitisch aus.

Rendi-Wagner ist jedoch ungeachtet der am Parteitag ausgefassten Ohrfeige fest entschlossen, den Graben zwischen „Bobos und Prolos“ zu überwinden: „Meine Schmerzgrenze ist noch lange nicht erreicht“, sagt sie und bekräftigt ihren Anspruch auf die Kanzlerkandidatur. Die Frage könnte sich angesichts der andauernden Turbulenzen in der türkis-grünen Regierung lange vor dem regulären Ende der Legislaturperiode im Jahr 2024 stellen. Mehr Zug zum gegnerischen als zum eigenen Tor wäre für Österreichs Genossen daher das Gebot der Stunde.