15. Dezember 2025 - 6.44 Uhr
30 Jahre GleichstellungsministeriumZwei Generationen und ihr Blick auf die Gleichstellungspolitik
„Schimpften auf ‚déi béis Feministinnen‘“
Sie saß bei der Gründung des heutigen Ministeriums für Gleichstellung und Diversität im Parlament: Die feministische Historikerin Renée Wagener, Anfang 60, spricht über frühere und aktuelle Kämpfe für Frauenrechte in Luxemburg.

Tageblatt: Renée Wagener, Sie traten 1994 als Abgeordnete für „déi gréng“ in die Abgeordnetenkammer ein, also ein Jahr vor der Gründung des „Ministère de la Promotion féminine“. Was für einen Stand hatten Feminist*innen damals im Parlament?
Renée Wagener: Vor Lydie Err (LSAP) und mir gab es dort kaum Feministinnen. Wir brachten entsprechende Themen auf die Tagesordnung – und mussten uns dann gegen unangemessene Kommentare wehren. Der grüne Frauenrat stand im engen Kontakt mit den Grünen aus Deutschland, die dort Gleichstellungsbeauftragte forderten. Wir inspirierten uns daran und brachten in Luxemburg ähnliche Vorschläge ein.
Wie reagierte die Luxemburger Gesellschaft gegenüber feministischen Forderungen?
Die Institutionalisierung der nationalen Frauenbewegung hatte begonnen, unter anderem mit der Gründung des heutigen „CID Fraen an Gender“ im Jahr 1992. Es war eine Antwort auf das langsame Verschwinden des „Mouvement de libération des femmes“ (MLF), einer Bewegung aus den 1970er- und 1980er-Jahren, die mehr auf Militanz und Selbsterfahrung setzte. Mit den Jahren entstand das Bedürfnis nach einer neuen Dynamik – und so begann der erfolgreiche Marsch durch die Institutionen, um Fördermittel zu beantragen. Die Gesamtgesellschaft reagierte verhalten. Vor allem Männer – aber auch manche Frauen – hielten an einer stereotypen Hausfrauenideologie fest, schimpften auf „déi béis Feministinnen“.
Wann kam der politische Gesinnungswechsel?
Unter dem ehemaligen Familienminister Fernand Boden (CSV) gab es bereits 1989 einen „Service de la promotion et de la condition féminine“. 1995 wurde Jean-Claude Juncker (CSV) zum Premierminister. Er folgte dem Beispiel anderer europäischer Länder und ergriff die Initiative, ein entsprechendes Ministerium zu gründen – meist erfolgten solche Fortschritte in Luxemburg durch den Einfluss der EU. Wohl aus strategischen Gründen ging er offensiv mit dem Thema Frauenförderung um, berief Frauen in die Regierung und ernannte Marie-Josée Jacobs (CSV) zur ersten Ministerin für die Frauenförderung. Einerseits war das ein großer Erfolg, andererseits waren wir enttäuscht.
Vor Lydie Err (LSAP) und mir gab es [im Parlament] kaum Feministinnen. Wir brachten entsprechende Themen auf die Tagesordnung – und mussten uns dann gegen unangemessene Kommentare wehren.
Warum?
Weil das Thema somit in den Zuständigkeitsbereich der CSV fiel und nicht in den der LSAP, die wir für fortschrittlicher hielten. Ich vermute, dass sich die Freude innerhalb der CSV anfangs auch in Grenzen hielt. Jacobs kam aus dem katholischen Milieu, aber als Ex-Gewerkschaftlerin war sie motiviert, besonders in den ersten Jahren. Unsere ambivalente Haltung hatte aber nicht nur mit der CSV zu tun. Wir wussten durch den Austausch mit den Grünen aus Deutschland auch: Die Institutionalisierung birgt Risiken, in jedem Bereich. Wer Konventionen mit einem Ministerium unterhält, muss gewisse Regeln befolgen. Allgemein freute sich der Großteil der Feministinnen jedoch, dass Bewegung ins Dossier kam.
Genug?
Die großen Durchbrüche ließen auf sich warten. Mitte der Neunziger wurden die ersten Weltfrauenkonferenzen veranstaltet. Erst dann machte sich in Luxemburg der Wille bemerkbar, präzisere Ziele zu erreichen. Im Rahmen der internationalen Konferenzen entstanden die ersten Länderberichte – unter anderem zu Frauenthemen –, in denen Ziele festgelegt wurden und deren Umsetzung von einem Kontrollgremium überprüft wurden. Ich setzte mich derweil für die Gründung einer Gleichstellungskommission in der Abgeordnetenkammer ein, der 1997, unter Kammerpräsidentin Erna Hennicot-Schoepges (CSV), stattgegeben wurde. Leider brachte die Kommission nicht viel zustande – von den Männern der meisten Parteien kam Gegenwind, damit ja keine konkreten Vorschläge entstehen. Die Kommission wurde 2004 aufgelöst.
Welche Debatten prägten Sie besonders?
Dazu zählt die Verankerung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der luxemburgischen Verfassung. Es dauerte, bis wir das Projekt durchbrachten; es gelang erst 2006. Themen wie Prostitution, Frauenhandel oder sexualisierte Gewalt gegen Kinder waren ebenfalls präsent. Die Einführung des „Congé parental“ 1999 war wichtig, weil er half, die Rollenverteilung von Frauen und Männern in der Familie aufzubrechen. Die Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch spielten auch eine große Rolle. Wichtig war zudem der Umgang mit dem „harcèlement sexuel“ am Arbeitsplatz. Lydie Err war sehr aktiv in dem Dossier und setzte sich für angemessene Gesetze ein. Weiteres Streitthema war die Quotenfrage. Quotierung am Arbeitsplatz oder in der Politik stieß beispielsweise auf Widerstand. Immerhin setzte das Ministerium „softe“ Maßnahmen für Verwaltungsräte und Wahllisten durch. Es gab eine Reihe Initiativen im Parlament, es wurde viel über die Zahlen diskutiert. 1999 entstand, finanziert vom Chancengleichheitsministerium, das „Observatoire des élections“, an dem ich mich beteiligte.
Was brachte der Regierungswechsel 2013, als das Ministerium an die LSAP ging?
Mit der ersten Ampelkoalition (DP-Grüne-LSAP, d.Red.) kam keine große positive Wende, das war eher enttäuschend. Lydia Mutsch (LSAP) übernahm das Amt von Françoise Hetto-Gaasch (CSV). Allgemein fand ich Luxemburgs Gleichstellungspolitik nicht sehr mutig. Ich möchte die Errungenschaften aus diesen Jahrzehnten jedoch nicht kleinreden.
Hat sich Luxemburgs Gleichstellungspolitik bis heute verändert?
Eine große Veränderung war der intersektionale Ansatz. Das spiegelt sich in der Entwicklung der früheren Kommissionen zur Frauenförderung in den Gemeinden. Die Entscheidung fiel, Kommissionen zusammenzulegen: Es kamen Rassismus und die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung dazu. Das wirkte sich auch auf die Aufgaben des Ministeriums aus. Es gab einen Abschied von der reinen Frauenförderung.
Kam das an?
In den Frauenorganisationen stieß das anfangs auf Ablehnung. Die Angst ging um: Jetzt geschieht nichts mehr für die Frauen. Damals stellte sich die Frage nach der Vielfalt des Frauseins noch nicht. Im Hinblick auf Queerness wurde lediglich eine Politik für die Rechte von Homosexuellen betrieben. Die fand separat statt. Die Gesetzesvorschläge von Lydie Err zur eingetragenen Partnerschaft und von mir zur Öffnung der Ehe für Homosexuelle in den 1990er-Jahren waren aber dennoch relevant.
Heute fallen LGBTIQA+-Themen in den Bereich des Ministeriums für Gleichstellung und Diversität.
Ja, die Vision hat sich durchgesetzt und schlägt sich im aktuellen Namen des Ministeriums nieder. Ich habe keine feste Meinung zu dieser Entwicklung, erkenne aber die Wichtigkeit, queere Themen zu behandeln. Es macht vermutlich Sinn, die Dossiers heute zusammenzulegen. Aber: Die Befürchtung von damals ist eingetroffen. Das gezielte Engagement für die Gleichheit zwischen Frauen und Männern ist ein wenig abhandengekommen. Die Benennung geschlechtsspezifischer Probleme von Frauen war allerdings früher schon ein Problem.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Ich erinnere mich an das Gesetz von 2003 zur Wegweisung im Falle häuslicher Gewalt: Es wurde nie deutlich ausgesprochen, dass es sich explizit um Gewalt von Männern gegen Frauen handelt – aus Gründen der Rechtsgleichheit wurde bewusst eine neutrale Sprache gewählt. Doch das blendet aus, dass die Gewalt bis heute maßgeblich – in über 80 Prozent der Fälle – von Männern ausgeht. Das Kind wurde und wird nicht beim Namen genannt.
Sie setzten sich damals stark für Frauenrechte in Luxemburg ein. Verletzen Sie die anti-feministischen Aussagen des DP-Abgeordneten Gérard Schockmel noch?
Schockmel fällt für mich in die Kategorie älterer Männer, die unfähig sind, umzudenken und zu verstehen, wie das gesellschaftliche Leben funktioniert – oder eben nicht. In ihrer Realität gibt es weder das Patriarchat noch Gewalt gegen Frauen. Mir bereitet ein anderes Phänomen mehr Sorgen – und das sind junge Männer, die rechtsextreme Diskurse übernehmen. Ich denke dabei unter anderem an den ADR-Politiker Maksymilian Woroszylo, der Männer zu eigentlichen Opfern stilisiert.
Eine der größten Herausforderungen für das MEGA?
Ja, denn solche Menschen erreichen junge Generationen. Das macht mir Angst, das ist bedrohlich. Politisch dagegenzuhalten, ist schwer. Mir fallen nur der Bildungsbereich und Kampagnen ein. Die Frage drängt sich auf: Welchen Einfluss hat ein Gleichstellungsministerium heute und in Zukunft überhaupt noch auf solche Phänomene?
„Feminismus geschieht durch Aktivismus“
Anders als Renée Wagener, erlebte Nora Schneider die Anfänge Luxemburger Gleichstellungspolitik nicht mit: Schneider, Anfang 20, ist seit 2023 Mitglied von „déi Lénk“. Was für eine Rolle das MEGA für die junge Generation spielt.

Tageblatt: Nora Schneider, ist das Ministerium für Gleichstellung und Diversität in Ihrem Alltag präsent?
Nora Schneider: Ich habe keinen direkten Berührungspunkt mit dem Ministerium. Ich stehe dem Rainbow Center von „Rosa Lëtzebuerg“ näher, das eine Konvention mit dem MEGA unterhält. Ich bin dankbar, dass es diesen Ort und das Monats-Magazin queer.lu gibt.
Was halten Sie von Luxemburgs aktueller Gleichstellungspolitik?
Ich habe ambivalente Gefühle. Für mich geschieht Feminismus durch Aktivismus, aber: Grundsätzlich bin ich froh, dass es das MEGA gibt. Das verschafft den Themen Sichtbarkeit. Der amtierenden Ministerin Yuriko Backes (DP) und der CSV-DP-Koalition stehe ich allerdings kritisch gegenüber.
Warum?
Backes vertritt Doppelstandards. Als Verteidigungsministerin unterstützt sie Konzepte, die feministischen Forderungen widersprechen. Die Regierung hat fragwürdige Positionen zu Immigration oder zum Krieg in Palästina – die stehen im Gegensatz zu allem, was Feminismus für mich ausmacht. Gleichzeitig offenbaren Studien zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Luxemburg, dass die Hälfte der BPOC (Black and People of Color, d.Red.) Diskriminierung erfahren. Wie vereinbaren wir das mit dem Bild des inklusiven, feministischen und multikulturellen Luxemburgs? Ich verfolge einen queeren und dekolonialen Ansatz, der sich in der Regierungspolitik nicht spiegelt. In dieser neoliberalen bis konservativen Koalition scheint die Dekonstruktion des Patriarchats unmöglich.
Was benötigen wir dafür?
Zur Dekonstruktion unterdrückender Systeme braucht es einen allumfassenden Feminismus, der Gender, Sexualität und marginalisierte Personengruppen einschließt. Für mich geht Gleichstellungspolitik Hand in Hand mit Anti-Rassismus, Armutsbekämpfung und Klima-Aktivismus. Nur so kann Feminismus funktionieren; nur so setzen wir Diskriminierung als Ganzes ein Ende.
Fühlen Sie sich als queere, nicht-binäre* Person von Luxemburgs Politik gesehen?
Der überarbeitete Aktionsplan für LGBTIQ+-Rechte, den das MEGA 2025 vorstellte, überzeugt mich nicht. Bei „déi Lénk“ sorge ich gemeinsam mit queeren und „feminine representing“ Menschen dafür, dass entsprechende Themen in unserem politischen Programm angemessen repräsentiert werden. In unseren Statuten ist die Parität zwischen Frauen und Männern festgeschrieben. Ich halte das momentan für notwendig. Es braucht solche Regelungen, bis das Gleichgewicht organisch entsteht. Damit das geschieht, sollten erfahrene Mitglieder ihr Know-how gezielt an jüngere Frauen und nicht-binäre Menschen weitervermitteln und ihr Engagement fördern.
Inspiriert Sie die Luxemburger Frauenbewegung?
Meine Vorbilder sind vor allem queer-feministische Gleichaltrige, die sich unter anderem bei „déi jonk Lénk“ für unsere Forderungen einsetzen. Jede Person bringt eigenes Wissen mit. Abgesehen davon, befasse ich mich mit zeitgenössischen Leitfiguren aus dem Ausland, wie Judith Butler (Philosoph*in/Sozialwissenschaftler*in aus den USA, d.Red.).
Woran liegt das?
Ich habe mich mit 17, 18 Jahren politisiert. Bis dahin hatte ich keinen Bezug zu Feminismus und konnte mich nicht damit identifizieren. Es war kein Thema, worüber wir im Schulunterricht sprachen – also bin ich nur bedingt über Feminismus in Luxemburg informiert. Ich kenne mich besser mit den Anfängen amerikanischer Bewegungen aus. Ich kam erst durch ein Panel im Rainbow Center mit einer älteren Generation queerer Menschen aus Luxemburg in Kontakt, die ihre Erfahrungen und politischen Errungenschaften teilten. Ich finde, dass das in den Schulunterricht gehört und dieser Bildungsauftrag Teil der Gleichstellungspolitik sein sollte.
Backes vertritt Doppelstandards. Als Verteidigungsministerin unterstützt sie Konzepte, die feministischen Forderungen widersprechen. Die Regierung hat fragwürdige Positionen zu Immigration oder zum Krieg in Palästina – die stehen im Gegensatz zu allem, was Feminismus für mich ausmacht.
Versagt die Luxemburger Bildungspolitik in dem Kontext?
Ich kann nur für mich sprechen: Ich beobachtete während meiner Schulzeit ein starkes Bestreben nach möglichst neutralen Bildungsangeboten. Ich bin damit einverstanden – nur bedeutet es in der Realität, dass der Status quo als Maßstab gilt, und das ist ein Problem. Zum Beispiel in der sexuellen und affektiven Bildung.
Worauf beziehen Sie sich?
In meinem Fall wurden trans und intersex Identitäten im Biologieunterricht im Rahmen genetischer Behinderungen angesprochen. Auf „Première“ hatte ich im Englischkurs – was ich befremdlich fand – zwei Einheiten zu queeren Identitäten, in denen die Lehrkraft auf meine Expertise angewiesen war. Im Hinblick auf „safer sex“ wurde nur über die Risiken für heterosexuelle Menschen aufgeklärt. Es fehlt an inklusiven Bildungsangeboten, die verschiedene Beziehungsformen, Konsens, Emotionen, Geschlechtsidentitäten, Sicherheitsvorkehrungen bei gleichgeschlechtlichem Sex aufgreifen. Es ist unzureichend, Jugendliche zu lehren, wie sie eine ungewollte Schwangerschaft verhindern.
Wie sieht für Sie eine gelungene Gleichstellungspolitik aus?
Wir müssen Verantwortung für unsere Vergangenheit übernehmen und vieles dekonstruieren: unsere Haltung zu Gender, Rassismus, Immigration, Polizeigewalt. Das Ministerium für Gleichstellung und Diversität sollte einen dekolonialen, feministischen Ansatz verfolgen und die genannten Themen in dem Sinne angehen. Schritt für Schritt. Wir stehen strukturellen Problemen gegenüber, die wir nicht mit isolierten Aktionen bekämpfen können.
Was macht Ihnen Angst, wenn Sie an die Zukunft denken?
Der Rechtsextremismus. Er droht, die bescheidenen Fortschritte, die in Sachen Gleichstellungspolitik erreicht wurden, auszulöschen. Das hat mir die Petition zum Verbot von LGBT+-Inhalten an Luxemburgs Schulen vor Augen geführt. Genauso wie die Ablehnung der Forderung, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der Luxemburger Verfassung festzuhalten.
Kann das Ministerium für Gleichstellung und Diversität dem entgegenwirken?
Luxemburg ist ein kleines Land. Es hat keinen Einfluss auf globale Entwicklungen. Umgekehrt verhält es sich anders. Und das macht mir Angst, denn die Gefahr kommt meistens von außen: Weltweit findet ein Rechtsruck statt, der versucht, jeden gesellschaftlichen Fortschritt zu zerstören. Unser Hauptkampf muss sich deswegen gegen den Neoliberalismus und eine Politik richten, die rechtsextreme Tendenzen fördert. Etwa dadurch, dass soziale Ungleichheiten zunehmen. Das MEGA und das Bildungsministerium sollten sich stark auf altersgerechte, feministische und progressive Inhalte konzentrieren. Nur so können wir dafür sorgen, dass die jüngeren Generationen wählen – und zwar nicht rechts.
* Queer und nicht-binär bezeichnet hier einen Menschen, der sich weder ausschließlich als Mann noch als Frau identifiziert und heterosexuelle Normen ablehnt.
De Maart

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