PRO
Das Spektakel ist der Moment, worin die Ware zur völligen Besetzung des gesellschaftlichen Lebens gelangt ist. Das Verhältnis zur Ware ist nicht nur sichtbar geworden, man sieht sogar nichts anderes mehr: Die Welt, die man sieht, ist seine Welt.
Mit sich selbst im Reinen zu sein, mit all seinen altersbedingten Makeln, ist eine geschlechtsunspezifische, universelle Leitidee, die Coralie Fargeat ex negativo in „The Substance“ am Beispiel der Konsumgesellschaft durchdekliniert. Hier geht es um einen Menschen, der mit sich selbst nicht im Einklang ist, der sich gegen den natürlichen Lauf des Lebens stellt – anstelle der Akzeptanz tritt eine verzweifelt-narzisstische Hybris.
Inhaltliche Komplexität ist nicht das vordergründige Anliegen von Fargeat. Ihre angedachte Kritik ist schnell identifiziert, sie soll nicht intellektuell stimulierend durchexerziert werden, als vielmehr körperlich-affizierend erfahrbar gemacht werden. Es ist kein Film der Nuancen, der Zwischentöne, kaum eine Szene bietet eine zweite Ebene. Fargeat geht es mehr um eine Leitthese, die sie mit sehr viel Lust zur Provokation und Transgression, mit den Mitteln des Körperhorrors, steigernd illustriert. Es ist ja nicht so, dass hier eine realistische Abhandlung über den menschlichen Alterungsprozess beschrieben werden soll. Die Angst vor der Endlichkeit des eigenen Körpers wird so lustvoll und ekelerregend nach außen getragen, dass der Film einem stellenweise beim Sehen wehtun soll. Der Ekel erschöpft sich derart im Exzess, dass er nur Parabel sein kann.
Die Oberflächlichkeit dieser Welt liegt auf der formalen Oberfläche des Films. Das ist bei Fargeat kein Gegensatz, keine Fehlkonzeption. Form und Inhalt fallen in eins. Dann gibt es die überaus schwarzhumorigen, augenzwinkernden Einstellungsfolgen. Fargeat fragmentiert ihre Frauen- wie Männerkörper in einzelne Einstellungen. Der Körper in der Werbeindustrie ist Ware, ist Waffe einer kapitalistischen Logik, die nur die Profitmaximierung kennt. Keine der Filmfiguren ist ganz Subjekt, sie sind Körperteile, die am Ende wortwörtlich zerstückelt werden. Der Film gesteht beiden Heldinnen keine Subjektwerdung zu, sie sind Zeichen in einem System, das nach festen marktlogischen Regeln funktioniert. Straffe Körper, runde Formen, volle Lippen, Fargeats Kamera zelebriert all dies und in der Überbetonung liegt der ironische Kommentar.
In Cannes wurde „The Substance“ besonders als ein Post-#metoo-Film rezipiert, dafür gibt es gute Gründe: Die Kritik am Objektstatus des Frauenkörpers in der Werbebranche ist sein zentrales Thema, Bilder toxischer Maskulinität überwiegen in der Männlichkeitsdarstellung. Die Zeichen sind in ihrer Plakativität schnell erkannt, doch bleibt in dieser Zentrierung auf die Geschlechterrollen und -differenz nicht übersehen, dass Fargeats Film auch aufzeigt, dass Frauen und Männer Opfer des Systems sind. Es ist letztlich ein Mann, der Elisabeth die Substanz vermittelt, später wird sie das männliche Alter Ego im hohen Alter begegnen, der sich die gleichen existenziellen Sinnfragen stellt. Ob diese Anbindung an die Kritik der Gesellschaft letztlich „feministisch“ ist – darüber soll und muss diskutiert werden. Sicherlich zeigt der Film die Machtasymmetrien in einem patriarchal geprägten Gefüge, gleichwohl sagt er, dass beide Protagonistinnen sich aus dem angeprangerten Netz aus Abhängigkeiten und Trugbildern nicht lösen können. Das aber ist sein fatalistischer Punkt: Das System ist nicht zu durchbrechen, es ist eine selbstreproduzierende Endlosschleife, die stets nach Neuem und Besserem verlangt.
Fargeat überführt den Body-Horror in eine gewollt plakative Form, die zuvorderst das weibliche Körperbild in der Leistungsgesellschaft als reine Oberfläche ausstellt, mit spannenden Einfällen, skurrilen Figuren und grotesken Metaphern. Das ist ein Kino der kontroversen Reaktionen – in allen Fällen: Die Radikalität und die Lust an der Überschreitung, die Coralie Fargeat mit „The Substance“ betreibt, schafft einen der eindrücklichsten sinnlichen Filme des Jahres. (Marc Trappendreher)
CONTRA
Das wahre Geheimnis der Welt ist das Sichtbare, nicht das Unsichtbare
Coralie Fargeat wählt in ihrem zweiten Spielfilm ausdrücklich das Genre des „Bodyhorror“. Sie tut dies, weil sie in ihren Film zwar sehr viele Ideen und Diskurse hineinpackt, andererseits doch vor allem mit Bildern und Sinneseindrücken ihr Publikum berühren, verführen, aber auch schockieren will. Bemerkenswert ist also hier gar nicht die Geschichte über eine Versuchung und deren perverse Folgen, sondern das „Wie“: Wie und mit welchen Zeichen treibt Fargeat ihre Geschichte und setzt Themen und Argumente?
Es ist nun die paradoxeste vieler paradoxer Erfahrungen beim Sehen dieses Films, dass ausgerechnet ein Film, der vehement die Schönheitsideale und den Jugendwahn in Medien und Kulturindustrie, die die Gesellschaft als Ganzes im Griff halten, anzuklagen und infrage zu stellen beansprucht, diese so sehr bestätigt.
Er tut dies schon mit der Wahl seiner Hauptdarstellerin: Die 62-jährige Demi Moore, die mit ihren zahlreichen schönheitschirurgischen Eingriffen immer sehr offen umging, spielt eine gerade 50-Jährige. Moores Auftritt könnte man in der großzügigen Zurschaustellung ihrer reifen, künstlich ausgepolsterten Physiognomie als mutiges Selbstporträt betrachten, auch in der unangefochtenen Stärke ihrer Figur. Zugleich ist der ebenfalls schonungslos bebilderte Verfall dieses Körpers für die Figur der Elisabeth genau das große existentielle Problem. Weil ihr Körper „alt und hässlich“ wird, gerät sie in eine Identitätskrise.
Parallel wandert die Kamera mit großer visueller Lust immer wieder über die perfekten und perfekt in Szene gesetzten Formen ihrer jüngeren Abspaltung Sue (Margaret Qualley). Der Film verfällt nicht nur damit selbst dem Schönheits-, Jugend- und Oberflächenwahn, den er vermeintlich moralisierend beklagt.
Alles ist fotografiert wie ein Werbefilm: zu schön, zu ausgeleuchtet, zu glatt, kalt und chirurgisch rein. Der Film gefällt sich selbst aber auch in dieser Glätte. Er wird einem aber gerade dadurch zunehmend zuwider. Auf eine gewisse Weise möchte „The Substance“ einerseits „gory“ und schmutzig sein. Und dann in all dem vermeintlichen Bodyhorror plötzlich doch unglaublich sauber und clean – so wie die Frauen in diesem Film.
Was will „The Substance“ von uns Zuschauern? Zunächst geht es um Unterhaltung. Das Vergnügen des Publikums zu bedienen, ist legitim und essenzieller Bestandteil des Kinos. Der Film tut dies einerseits durch den Suspense seiner Geschichte, zugleich auch durch den visuellen Exzess, der alle möglichen niederen Instinkte des Publikums bedient und in einer hyperrealistischen Weise in Szene gesetzt ist, die an Paul Verhoevens Trash-Klassiker „Showgirls“ erinnert.
Das wäre nun beides die Verteidigung wert, würde „The Substance“ sich nicht zugleich selbst als „progressiv“ und „widerständig“ inszenieren und mit allerlei Verweisen auf akademische oder modische Diskurse eine tiefere Bedeutung anschminken, die der Film nicht einlöst.
„The Substance“ legt unter vielen Referenzen und Interpretationsangeboten nichts besonders nahe und weist nichts zurück; er ist einfach ungemein beliebig. Er macht sich genau all dessen selbst schuldig, was er zu kritisieren vorgibt. Insbesondere bedient Fargeat den infrage gestellten „male gaze“ fortwährend selbst. Dabei gibt es hier keine Charaktere, sondern nur Stereotypen oder grobschlächtige Karikaturen. Besonders alle Männer erscheinen als hassgetriebene Grotesken oder schlichte Narren.
So oder so ist „The Substance“ aber ein Film, der sein Publikum aufwühlt und nicht unbeteiligt lässt, der lange nachwirkt und über den man wunderbar debattieren kann. Solche Filme gibt es zu wenige, obwohl genau solche intelligente Form von Unterhaltung der Sinn des Kinos sowie der Kunst überhaupt ist. (Rüdiger Suchsland)
„The Substance“ in Kürze
Elisabeth Sparkle (Demi Moore) hadert mit sich selbst: Der einstige Film- und Fernsehstar kann an den Glanz des vergangenen Karriereruhms nicht mehr anknüpfen. Als ihre Fitness-Fernsehshow nicht mehr die gewünschten Einschaltquoten bringt, wird sie von ihrem Manager Harvey (Dennis Quaid) kurzerhand entlassen. Sie sei zu alt, ihr Körper verbraucht. Elisabeth fällt in eine tiefe Existenzkrise. Eine mysteriöse Substanz, die dem Film den Titel gibt, soll Abhilfe verschaffen. Per Injektion erfährt Elisabeth eine körperliche Transformation und gebärt eine jüngere Form ihrer Selbst – Sue (Margaret Qualley). Ein folgenreiches Experiment.
De Maart
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