Andrij Melnyk hat wie kaum ein anderer Diplomat die Geschicke seines Landes in Deutschland vertreten – immer pointiert, oft hat er wegen seiner klaren Worte irritiert und manchmal auch das Gastgeberland vor den Kopf gestoßen. Jetzt geht er zurück von der diplomatischen Front in Deutschland an eine andere Front: in die Ukraine.
Andrij Melnyk ist seiner Linie treu geblieben. Bis zum Schluss. Quasi als Abschiedsgruß hat er noch einmal eine Breitseite gegen sein Gastland abgeschossen. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, seinem bevorzugten Kanal für die schnelle, scharfe Nachricht, listete der ukrainische Botschafter in Berlin rund 80 namhafte deutsche Unternehmen auf, die auch bald acht Monate nach dem russischen Überfall auf die Ukraine in Russland geblieben seien. Melnyk stellte dazu eine Grafik mit dem jeweiligen Firmenemblem. Dann wird er deutlich. Mit Investment und Steuern unterstützten diese Firmen, darunter viele namhafte Konzerne, weiter „dieses mörderische Terrorregime“. Mit diesem „blutigen Geld“ würden Raketenangriffe auf ukrainische Städte und Zivilisten finanziert. Melnyk kann seine Wut kaum zügeln: „Das werden die Ukrainer NIE vergessen und NIE vergeben“, endet seine Botschaft an die deutschen Konzerne und letztlich auch an das Gastland.
Wenn der ukrainische Botschafter an diesem Freitag seinen letzten Arbeitstag in Deutschland hat und dann am Samstag in sein Heimatland zurückkehrt, verlässt ein höchst ungewöhnlicher Diplomat seinen Posten in Berlin. Viele seiner Gesprächspartner aus Parlament und Regierung fragten sich: Darf ein Diplomat tatsächlich so über sein Gastland reden, schreiben, agieren, wo er doch hier schließlich die Interessen seines Landes vertreten will? Mal titulierte er Bundeskanzler Olaf Scholz eine „beleidigte Leberwurst“, als sich dieser entschieden hatte, vorerst nicht nach Kiew zu reisen, nachdem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zuvor von seinem geplanten Ukraine-Besuch ausgeladen worden war. Melnyk handelte sich prompt Kritik ein. Er sei schlicht der „undiplomatischste Diplomat“. „Dreistigkeit“, „Frechheit“ und „Unverschämtheit“ waren weitere Reaktionen auf Melnyks Wurstvergleich. Nur ein Metzger aus der Pfalz reagierte launig: Er schickte Melnyk eine selbstgemachte Leberwurst – und wurde von ihm nach Berlin eingeladen. Der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstellte Melnyk: „Trotzdem halluziniert sie (Merkel) von der ‚Einbeziehung Russlands‘ für einen dauerhaften Frieden.“ Reichlich undiplomatisch für einen Diplomaten. Zurück in der Ukraine wird Melnyk einer der drei stellvertretenden Außenminister von Chef-Diplomat Dmytro Kuleba.
Wer Melnyk persönlich trifft, erlebt einen Mann, der freundlich, wenn auch bestimmt, moderat im Ton, aber klar in der Sache formuliert. Kaum zu glauben, dass derselbe Mensch, wenn der Besucher dessen Amtszimmer in der Albrechtstraße in Mitte verlassen hat, gleich wieder auf Twitter die Keule auspackt. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagte Melnyik kurz nach Kriegsbeginn: „Wir haben vertraut. Wir haben Deutschland und Angela Merkel blind vertraut.“ Und dann die Enttäuschung für Melnyk: „Wir haben Tausende Stunden im Normandie-Format miteinander verhandelt. Und es bleibt das Gefühl zurück: Die Deutschen verstehen uns gar nicht. Sie verstehen nicht, dass Wladimir Putin spätestens mit Annexion der Krim 2014 den Plan hatte, die Ukraine von der Landkarte zu löschen.“
Jetzt also geht er zurück in die Ukraine – nach fast acht Jahren auf Posten in Berlin. In ein Land im Krieg. Das Berliner Verwaltungsgericht bescherte gewissermaßen noch ein schönes Abschiedsgeschenk, als es in dieser Woche entschied, dass ein zerschossener russischer Panzer als zeitweiliges Mahnmal gegenüber der russischen Botschaft in Berlin aufgestellt werden darf. Melnyk jubelte auf Twitter: „Bravo Berliner Verwaltungsgericht für diese mutige Entscheidung gegen politische Feiglinge im Bezirk Mitte.“ Seine Frau Switlana Melnyk und seine beiden Kinder – der Sohn 20 Jahre alt, die Tochter elf Jahre alt – sollen vorerst in Berlin bleiben. Melnyks Nachfolger ist der ukrainische Top-Diplomat Olexij Makejew. Just jener Mann, der ihm einst zum Amtsantritt in Berlin geraten habe, wenn er nach Deutschland komme, solle er sich tunlichst einen Twitter-Account zulegen, erzählte Melnyk unlängst. Fortsetzung folgt also.
(Von unserem Korrespondenten Holger Möhle, Berlin)
De Maart
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