Samstag25. Oktober 2025

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Wilde Jagd auf ShakespeareZu Gast bei der Premiere von „Daddy Issues“

Wilde Jagd auf Shakespeare / Zu Gast bei der Premiere von „Daddy Issues“
In „Daddy Issues“ droht Pitt Simon (l.), einer der größten Schriftsteller aller Zeiten, von Nora Zrika ausgehöhlt zu werden Foto: Jeannine Unsen Photography

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Am Dienstag feierte „Daddy Issues. Or: Chasing Shakespeare in (b) Minor“ von Anne Simon im Escher Ariston Premiere. Worum es geht? Um die Auseinandersetzung mit dem westlichen Kanon und dem Wert von Kunst. Eigentlich, denn die Message geht unter. Eine Kurzkritik. 

„Daddy Issues. Or: Chasing Shakespeare in (b) Minor“

Das Stück ist heute Abend sowie an diesem Samstag, dem 21. Juni, um 20 Uhr, im Escher Ariston zu sehen. Es handelt sich um eine Produktion des Escher Theater. Das Projekt wurde im Rahmen der „micro-projets“ des Theaterkollektivs „Independent Little Lies“ konzipiert. Mehr Infos unter theatre.esch.lu.

Während sich die Ränge im „Ariston“ langsam mit Besucher*innen füllen, stehen Nora Zrika und Georges Goerens (Seed to Tree, Bartleby Delicate, ENGLBRT) bereits in Baustellenklamotten auf der Bühne. Zrika beschäftigt sich andächtig mit einem Zollstock, Goerens bedient Kontrollpulte. In ihrer Mitte thront eine Statue, eingehüllt in Plastikfolie. Eine Ausgangsszene, die Fragen aufwirft und die Neugier auf die Geschichte hinter dem Bühnenbild weckt.

Das Gerede des Publikums verstummt, die größtenteils englischsprachige Erzählung nimmt mit einem Anruf ihren Lauf. Es ist ein Gespräch, das Zrika und Goerens in Aufregung versetzt, denn nach dem Telefonat ist klar: Die beiden befinden sich auf einer Mission. Sie sind auf der Suche nach einem Universalgenie, dessen DNA sie extrahieren sollen. Schon bald ächzt es leise, dann lauter unter der Plastikfolie – die Statue, gespielt von Pitt Simon, erweckt zum Leben. Es ist „The Greatest Writer of All Times“. 

„Greatest Writer of All Times“

Der Grundgedanke von Anne Simons Stück ist interessant: Die Autorin und Regisseurin befasst sich mit der Rekonstruktion des westlichen Kanons, mit der Rolle der Kultur in einem Zeitalter der Schnelllebigkeit. In dem Sinne enthält das Drehbuch zahlreiche Verweise auf die Popkultur, Intellektuelle der vergangenen Jahrzehnte, frühere und zeitgenössische Kulturdebatten. So drängt sich die Frage nach der Vervielfältigung und Vermarktung von Kunst, beziehungsweise von Kulturschaffenden auf. Passt das Gesicht des „Greatest Writer of All Times“ auf einen Jutebeutel? Gehört es auf eine Kaffeetasse? Sind Shakespeare und Co. mehr Wert als ein Bitcoin?

Die Statue erweckt zum Leben
Die Statue erweckt zum Leben Foto: Jeannine Unsen Photography

Wer auf eine klare Erzählung, eine tiefgehende Analyse und Lösungsvorschläge hofft, wird enttäuscht. Simon beschreibt ihre Inszenierung selbst als „playful and clownesque take on the state of art“ und trifft es damit auf den Punkt. Bei der Premiere hielt sich das Publikum mehrmals vor Lachen den Bauch und reagierte freudig auf Interaktionen – etwa bei der Verteilung von „Goodies“ oder auf die Bitte, bei einem Song von Georges Goerens mitzusingen. Die Bühnenbildnerin Loriana Casagrande überrascht die Theaterbesucher*innen mit ihrer originellen, verspielten Szenografie. Zwischendurch tut Goerens das, wofür man ihn in Luxemburg bestens kennt: Musik spielen.

Trotz Helm, silberfarbenen Boots und Sicherheitsweste bleiben seine Stimme und sein Stil unverkennbar. Goerens Soundarbeit ist zweifelsfrei als einer der Höhepunkte des Stücks, zumal er sich ungewöhnlicher Instrumente bedient: An einer Stelle zupft er die Saiten seiner Gitarre nicht mit dem Finger, sondern bedient sie mit einem Bohrer, versehen mit einem besonderen Aufsatz.

Von den Looney Tunes zu Nawalny

Zrika (l.) versinkt in den Rohren, George Goerens (r.) spielt Musik dazu
Zrika (l.) versinkt in den Rohren, George Goerens (r.) spielt Musik dazu Foto: Jeannine Unsen Photography

Die Bühne in „Daddy Issues“ entpuppt sich als einzige Spielwiese für alle Beteiligten, die schauspielerisch und musikalisch durchaus überzeugen. Wer jedoch auf lineare Erzählungen und wenig „Tamtam“ auf der Bühne steht, ist hier eindeutig fehl am Platz. „Daddy Issues can be an experience for anyone open to let themselves float on a wave of thoughts“, formuliert die Regisseurin eine Empfehlung in der Stückbeschreibung. Die Liste der Inspirationsquellen spricht Bände: Sie reichen von den Looney Tunes über Alexej Nawalny und ChatGPT bis hin zu Schulklassen aus der St. George’s International School und dem Lycée Bel-Val. Selbst die Mitarbeitenden des Escher Theater werden bei der Aufführung in das Stück eingebunden – genauso wie die Regisseurin selbst, die „Fun Facts“ zu Shakespeare zum Besten gibt. Eine Mischung, durch die der eigentliche Inhalt stellenweise in den Hintergrund rückt. Als wäre es wichtiger, das Publikum bei Laune zu halten, als den Inhalt zu vermitteln. 

Am Ende ist es Zrika, die das Podest des „Greatest Writers of All Times“ besteigt, die Arme tief versunken in Silberröhren, die von der Decke hängen. Ist die Mission gelungen? Das bleibt Interpretationssache. Bevor das Publikum den Saal verlässt und die Lichter erlöschen, ist es jedenfalls der „Greatest Writer of All Times“ höchstpersönlich, der zum Hörer greift.