Donnerstag25. Dezember 2025

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Alain spannt den BogenZu den Konzerten mit Tabea Zimmermann und dem kontroversen Dirigenten Sir John Eliot Gardiner

Alain spannt den Bogen / Zu den Konzerten mit Tabea Zimmermann und dem kontroversen Dirigenten Sir John Eliot Gardiner
Ein Dirigent, der 2023 in die Kritik geriet: Sir John Eliot Gardiner in Luxemburg Foto: Inês Rebelo de Andrade

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Diesmal standen keine Blockbuster auf dem Programm. Im Gegenteil: Der Liederabend mit Christian Gerhaher, Tabea Zimmermann und Gerold Huber sowie das Konzert mit dem Luxembourg Philharmonic unter Sir John Eliot Gardiner präsentierten Komponisten und Werke abseits des Mainstreams. Und wer Lust hatte, sich musikalisch auf verwunschene Pfade zu begeben, der wurde beide Male reich belohnt.

Es war ein Liederabend der besonderen Klasse, Bariton Christian Gerhaher zusammen mit seinem langjährigen Partner am Klavier, Gerold Huber, und der Bratschistin Tabea Zimmermann, Artist in residence der Philharmonie, am vorigen Montag im Kammermusiksaal der Philharmonie gab. Dass der Saal nicht ganz voll war, lag wohl an dem etwas ungewöhnlichen Programm, das unter dem Titel „Mutterherzen: Still und zerrissen“ Lieder von Johannes Brahms, Wolfgang Rihm, und Othmar Schoeck vorstellte. Christian Gerhaher gehört zweifelsohne zu den ganz großen Liedinterpreten unserer Zeit und setzt die Linie eines Dietrich Fischer-Dieskau, Hermann Prey oder Thomas Quasthoff auf allerhöchstem Niveau fort. Demnach ist Gerhaher ein grandioser Gestalter, der mit Einfühlsamkeit und psychologischem Gespür das Wesentliche der von ihm gesungenen Lieder weitergeben kann. Brahms liegt ihm sehr gut in der Kehle, ob das jetzt der Regenlied-Zyklus ist, der das Konzert eröffnete, oder aber die „Zwei Gesänge op. 91 für eine Altstimme mit Viola und Klavier“, mit denen das Konzert endete. Dazwischen entführte uns der Sänger in unbekannte Gefilde und ließ uns an einer herausragenden Interpretation von Rihms sperrigem und höchst komplexem „Stabat Mater für Bariton und Viola“ teilhaben. Allerdings ist dieses Werk mit seiner Dauer von 15 Minuten für einen Liederabend nicht unbedingt geeignet, da Rihms Sprache hier alles andere als eingängig oder gefällig ist. Besser zu hören war seine „Harzreise im Winter“ (2012), die innerlich sehr ausgewogen und musikalisch sehr ausdrucksstark ist. Dem Sänger verlangte Rihm alles ab, insbesondere „Stabat Mater“ ist eine vokale Herausforderung.

Begegnung mit Fuchs, Schoeck und Rihm

Mit Othmar Schoeck, diesem genialen Schweizer Komponisten, begegnen wir einem Liedkomponisten, der mit seinem Zyklus Elegie das Erbe der großen romantischen Komponisten Schubert und Schumann antritt und diese romantische Linie gekonnt ins 20. Jahrhundert führt. Der 1921/22 komponierte Zyklus wurde hier aber nur stark gekürzt wiedergegeben. Von den insgesamt 24 Liedern hatte Gerhaher nur sechs ausgewählt, was eigentlich schade war. Eigentlich ist dieses Werk für Kammerorchester geschrieben, aber die Fassung für Klavier lässt Schoecks Kunst ebenfalls hervorragend erkennen. Christian Gerhaher sang auch hier sehr präzise und textorientiert. Sein intimistischer Vortrag war nach innen gewandt, sowohl bei Schoeck als auch bei Brahms und Rihm. Große Gefühle wurden nur angedeutet, die Interpretation lebte von minimalistischen Nuancen und Klangfärbungen. Die Natürlichkeit des Vortrags begeisterte ebenso wie die klare, wohltimbrierte und unaffektierte Stimmführung.

Tabea Zimmermann beim Liederabend „Mutterherzen: Still und zerrissen“
Tabea Zimmermann beim Liederabend „Mutterherzen: Still und zerrissen“ Foto: Sébastien Grébille

Tabea Zimmermann ist eine hervorragende Begleiterin bei Rihms Stabat Mater und Brahms’ Gesängen. Solistisch fasziniert sie mit Ihrem unvergleichlich warmen und weit ausschwingenden Klang bei György Kurtágs „Signs, Games and Messages“ sowie auch in Robert Fuchs’ „Sechs Phantasiestücke op. 117 für Viola und Klavier“. Zusammen mit ihrem Klavierpartner Gerold Huber boten beide Musiker eine sehr lebendige und kommunikationsfreudige, in Stil und Ausführung sehr ausgewogene und immer dynamische Interpretation dieser schlichten und schönen Stücke. Gerold Huber, der schon seit über 30 Jahren mit Gerhaher aufritt, ist aber auch einer der besten Liedbegleiter der Gegenwart. Ein Interpret, der immer hellhörig agiert, die Phrasierung des Sängers vorauszuahnen scheint und ihm so einen idealen Klangteppich anbieten kann. Natürlich ist Huber nicht nur Begleiter, sondern auch ein kreativer Macher. Sein Klavierspiel trug wesentlich dazu bei, dass dieser ungewöhnliche Liederabend seine Intensität voll entfalten konnte. Für den herzlichen Applaus bedankten sich die Musiker mit einem Lied von Robert Schumann.

Frischer Orchesterklang für Sir John Eliot Gardiner

Die Sopranistin Fatma Saïd überzeugte das Publikum, das prompt eine Zugabe forderte
Die Sopranistin Fatma Saïd überzeugte das Publikum, das prompt eine Zugabe forderte Foto: Inês Rebelo de Andrade

Auch das Luxembourg Philharmonic konnte bei seinem Konzert am vergangenen Donnerstag kein volles Haus verzeichnen. Lag es am Dirigenten Sir John Eliot Gardiner, ebenfalls Artist in residence der Philharmonie, der nach seinem Ausrutscher bei vielen zu einer Persona non grata geworden ist, oder lag es auch am Programm? Jean Sibelius ist in unserem Land noch immer kein Publikumsmagnet, wenngleich er für mich zu den besten und außergewöhnlichsten Symphonikern des 20. Jahrhunderts zählt und seine 5. Symphonie (1914-19) einfach ein tolles Werk ist. Auch Maurice Ravels „Schéhérazade: trois poêmes pour chant et orchestre sur des vers de Tristan Klingsor“ (1903) bietet wunderschöne Musik und zeigt den Komponisten hier auf dem Höhepunkt seines impressionistischen Schaffens. Trotzdem ist „Schéhérazade“ nie zu einem Publikumsrenner geworden. Mit Fatma Saïd, der wunderbaren ägyptischen Sopranistin, hatte man für dieses Konzert dann auch eine Interpretin gewonnen, die Ravels Meisterwerk mit betörendem Vortrag und wunderschöner Stimme bis ins kleinste Detail auszuloten vermochte. Das Publikum war begeistert und forderte eine Zugabe. Diese erhielt es in Form des arabischen Lieds „Aatini Al Naya Wa Ghanni“ („Bring mir die Flöte und sing“).

Ausrutscher von Sir Eliot John Gardiner

Der Dirigent Sir Eliot John Gardiner ohrfeigte 2023 im Rahmen einer Europatournee den Bassisten William Thomas, weil er die Bühne nach einer Darbietung von der falschen Seite verließ. Es folgte eine Entschuldigung des Dirigenten, der anschließend den restlichen Konzerten der Tour fernblieb. Er trat außerdem als Leiter und künstlerischer Direktor des „Monteverdi“-Chors und -Orchesters zurück. 

Das Konzert aber begann mit der flotten Ouvertüre „Le Corsaire“ von Hector Berlioz. Und ab der ersten Note war man ebenso überrascht wie fasziniert, denn das Luxembourg Philharmonic klang auf einmal ganz anders als gewohnt. Die Akzente schienen geschärft, es gab wenig Vibrato in den Streichern und das Blech klang ziemlich grell und akzentuiert. Und der sehr entspannt wirkende Sir John Eliot Gardiner hatte die Musiker für sein Konzert scheinbar voll auf seiner Seite. Nicht nur, dass sie ihren typischen Klang für ihn änderten, sondern sie schienen von seiner Interpretation wirklich überzeugt zu sein. Er begnügte sich demnach nicht mit einem pathetisch-wuchtigen Klang, der ja heute gerade bei Berlioz zur Regel geworden zu sein scheint, sondern zeigte uns, dass dieses Werk für die damalige Zeit revolutionäre Klänge und eine außergewöhnliche Architektur besaß. Bei Gardiner hörte man alles und er schien seinen Berlioz quasi aus der Mitte des Orchesters, das heißt vom Holz aus, aufzubauen. Auch bei Ravel gab es keine seichten Momente.

Die Begleitung war klar, transparent und sehr solistisch angelegt, sodass sich alle Solopulte bestens darstellen konnten. Anstelle eines verwaschenen Klanges gab es viele Konturen, die die Musik einerseits aufhellten und ihr andererseits eine größere Dominanz gaben. In der 5. Symphonie von Sibelius hatte insbesondere die Bratschengruppe ihre Momente. Gardiner wusste genau, wie Sibelius dieses Werk gedacht hatte, nicht als pathetischen Pomp, sondern als eine Symphonie mit vielen Feinheiten und Nebenstimmen, voller Dialoge, solistischer Glanzpunkte und innerlich verwobener Themenkomplexe. Daneben baut die Fünfte nach und nach eine ungeheure Innenspannung auf, die wohl in einem der ungewöhnlichsten Finale gipfelt. Auch hier glänzten die Musiker des Luxembourg Philharmonic mit einem ganz anderen Klang, einer ganz neuen und frischen Dynamik und mit viel Spielfreude. Lobenswert die beachtenswerten Soli von Markus Brönnimann, Flöte, und David Sattler, Fagott. Sir John Eliot Gardiner schien am Ende des Konzerts mit dem Resultat jedenfalls sehr zufrieden und glücklich zu sein. Und die Musiker des Luxembourg Philharmonic auch.

Sir John Eliot Gardiner in der Philharmonie
Sir John Eliot Gardiner in der Philharmonie Fotos: Inês Rebelo de Andrade