Luxemburg ist Opfer des eigenen wirtschaftlichen Erfolges: Immer mehr Menschen ziehen ins Land, die Wohnungspreise schießen in absurde Höhen. Kaufen? Kaum mehr eine Option. Mieten? Fast genauso unerschwinglich. Das Wohnen ist längst zum Geschäft geworden, und die Luxemburger Politik scheint seit Jahren nach einem funktionierenden Konzept zu suchen, wie dem entgegengewirkt werden kann. „Our New Housing – An Invitation to Cooperate“, die neue Ausstellung von Kuratorin Céline Zimmer im Luxembourg Center for Architecture (LUCA), stellt jetzt eine Lösung in den Mittelpunkt, die in vielen Ländern längst funktioniert: Wohngenossenschaften.
Was ist eine Genossenschaft?
Eine Wohngenossenschaft ist ein Wohnmodell zwischen Miete und Eigentum. Die Bewohner besitzen nicht einzelne Wohnungen, sondern sind Mitglieder einer kooperativen Gesellschaft, die ein oder mehrere Gebäude verwaltet. Dadurch haben sie ein lebenslanges Wohnrecht und profitieren von fairen Mieten, da die Genossenschaft nicht gewinnorientiert arbeitet.
Doch was steckt eigentlich hinter diesem Modell? Wie könnten Genossenschaften das Luxemburger Wohnungsproblem entschärfen? Und warum wurde das Konzept in Luxemburg bisher nie ernsthaft verfolgt?
Anlässlich der Ausstellungseröffnung am vergangenen Donnerstag versammelten sich zahlreiche hochkarätige Gäste aus Politik, Architektur und Stadtplanung. Céline Zimmer betont in ihrer Rede, dass Genossenschaften eine Alternative und eine funktionierende Lösung seien. „Wir stehen an einem historischen Wendepunkt“, sagt sie. „Die Frage ist nicht mehr, ob Wohngenossenschaften in Luxemburg möglich sind, sondern ob wir bereit sind, sie zuzulassen.“
Ein Land im Wohnungsdilemma
Zwei Prozent. Das ist der Anteil an Wohnraum in Luxemburg, der in öffentlicher Hand liegt. 98 Prozent gehören dem privaten Markt. Eine Zahl, die erklärt, warum Mieten und Kaufpreise außer Kontrolle geraten sind. Luxemburg ist fast vollständig den Mechanismen von Angebot, Nachfrage und Spekulation überlassen, und der Mittelstand wird zunehmend aus dem urbanen Raum verdrängt.
Am Eingang der Expo empfängt die Besucher eine unaufhörlich tickende Installation – der Mietenzähler. „Seit Mitternacht wurden bereits über 1,35 Millionen Euro an Mieten gezahlt“, erklärt Kuratorin Céline Zimmer. „Dieses Geld verlässt den Kreislauf des bezahlbaren Wohnens – in drei Monaten werden es rund 180 Millionen Euro sein.“ Geld, das stattdessen in leistbaren Wohnbau fließen könnte.

Die eigentliche Stärke der Expo: Sie zeigt nicht nur Missstände, sondern bietet auch Lösungen. Sie hinterfragt ein System, das Wohnraum zur Kapitalanlage macht, und stellt ihm das Modell der Wohngenossenschaften gegenüber: gemeinschaftlich verwalteter Wohnraum statt Privatisierung. In der Schweiz und Deutschland etabliert, gibt es in Luxemburg bisher nur eine – ohne ein einziges realisiertes Projekt, ausgebremst durch bisher fehlenden politischen Willen und praktikable Rahmenbedingungen.
Dabei hatte Luxemburg bereits eine Genossenschaftsbewegung: 1920 gründete sich „Le Progrès“ und errichtete 17 Häuser. Doch nach nur zwei Jahren zog die Politik die finanzielle Unterstützung zurück. Die Genossenschaft musste aufgeben, ihre Gebäude wurden an die Stadt verkauft – und mit ihnen verschwand die Idee von Genossenschaftswohnungen für fast ein Jahrhundert aus dem politischen Bewusstsein.
Wohngenossenschaften sind jedoch keine Utopie, sondern seit über 100 Jahren bewährte Modelle in europäischen Metropolen. Drei Prinzipien machen sie nachhaltig: Sie dekommodifizieren Wohnraum, indem die Wohnungen nicht den Bewohnern, sondern der Gemeinschaft gehören, was Weiterverkauf und Spekulation unmöglich macht. Sie sind selbstverwaltet, das heißt, Entscheidungen liegen bei den Mitgliedern, nicht bei von der Nutzung entkoppelten Investoren. Und sie sind gemeinnützig, sodass erzielte Gewinne nicht in Privattaschen fließen, sondern in neue Wohnprojekte reinvestiert werden.
Europäische Vorbilder
Die Ausstellung führt durch verschiedenste europäische Beispiele gelungener Wohnprojekte: „Kraftwerk 1“ in Zürich verwandelte Industrieflächen in ein lebendiges Quartier, Münchner Architekten entwickelten das „atmende Haus“, das sich Bewohnerbedürfnissen anpasst, und in Barcelona entstand mit „La Borda“ die erste Genossenschaft der Stadt als Antwort auf die Finanzkrise.
Die wichtigste Erkenntnis: Genossenschaften können weit mehr sein als Einzelprojekte. Viele starteten klein und wurden schließlich zu wichtigen Marktakteuren. In Zürich besitzt die ABZ 2024 5.052 Wohnungen (5.519 bis 2030), Amsterdam plant, dass bis 2030 mindestens zehn Prozent des Wohnraums genossenschaftlich organisiert sind. Luxemburg könnte folgen – wenn jetzt gehandelt wird.
Luxemburgs „Moment 0“
Dass die Debatte um Wohngenossenschaften nun an Dynamik gewinnt, ist kein Zufall. Das Thema fand durch verschiedene Impulse Eingang in den aktuellen Koalitionsvertrag der Regierung. Zu einem Zeitpunkt, als Céline Zimmer gerade dabei war, ihr Doktorat abzuschließen. Im Prüfungsausschuss saß eine Vertreterin des Wohnungsbauministeriums.
In diesem Sinne gehört die „Moment 0“-Installation zu den wichtigsten Elementen der Expo. Hier wird deutlich, dass Luxemburg sofort loslegen könnte. Die Gesetze für genossenschaftliche Wohnmodelle existieren bereits. Subventionen für deren Bau sind im Rahmen der „Aides à la pierre“ vorhanden. Es gibt Interesse aus der Bevölkerung. Und es gibt Bauland – zwei Grundstücke in Belval sind bereits für Genossenschaften reserviert.

Céline Zimmer hat dafür die Online-Plattform „For Future Members Only“ ins Leben gerufen – eine Art Dating-Plattform für Menschen, die eine Genossenschaft gründen wollen. Wer sich einträgt, kann Gleichgesinnte finden und sich vernetzen.
„Our New Housing“ könnte somit als Wendepunkt der Luxemburger Wohnungspolitik gelten. Oder als Mahnmal für eine verpasste Chance. Zimmers Ausstellung lässt auf jeden Fall keine Ausreden mehr zu. Wer wirklich etwas gegen die Wohnkrise unternehmen will, findet hier eine Blaupause. Die Frage ist nur, wer den ersten Schritt macht.
Die Ausstellung
„Our New Housing – An Invitation to Cooperate“ läuft bis zum 7. Juni 2025 im LUCA, Luxembourg Center for Architecture. Mehr Infos unter www.luca.lu.
De Maart
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