Mittwoch24. Dezember 2025

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ÖsterreichWiener Koalitionsverhandlungen auf der Kippe

Österreich / Wiener Koalitionsverhandlungen auf der Kippe
Die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) war bei der Parlamentswahl im September mit 28,85 Prozent der Stimmen erstmals stärkste Kraft im österreichischen Parlament geworden Foto: AFP/Alex Halada

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Für ihre 180-Grad-Hinwendung zu den Rechtspopulisten ernten Österreichs Christdemokraten einen bitteren Lohn: Die FPÖ bedankt sich beim Koalitionspartner in spe mit Provokationen und Demütigungen en suite. Die Verhandlungen stehen auf der Kippe.

Mehr als vier Monate nach der Parlamentswahl Ende September steht Österreich weiter ohne neue Regierung da. Noch nie in der zweiten Republik hat es so lange gedauert. Und es könnte noch länger dauern. Denn die anfängliche Euphorie über die binnen drei Tagen erzielte Einigung auf ein Sparbudget zur Abwendung des drohenden EU-Defizitverfahrens ist verflogen.

In der ÖVP macht sich Ernüchterung breit, die sie allerdings nicht überraschen sollte. Schon zum Auftakt der im Wahlkampf noch strikt ausgeschlossenen Koalitionsverhandlungen mit den Rechtspopulisten war der ÖVP vom Wahlsieger ausgerichtet worden, dass sie sich mit der Rolle des Zweiten abzufinden und andernfalls Neuwahlen zu gewärtigen hätte. Er erwarte sich „vom Gegenüber ein Bewusstsein, wer die Wahl gewonnen hat“, forderte FPÖ-Chef Herbert Kickl türkise Unterwürfigkeit ein. Obwohl die Blauen mit 28,8 Prozent der Stimmen nur zweieinhalb Prozentpunkte vor der ÖVP liegen, gönnt Kickl dem Juniorpartner kein Gefühl von Augenhöhe.

Allmachtsfantasie

In den vergangenen vier Wochen wurden all jene Beobachter eines Besseren belehrt, die nach dem Scheitern der Gespräche über eine Austro-Ampel aus ÖVP, SPÖ und NEOS eine schnelle Einigung zwischen Rechtspopulisten und Rechtskonservativen prognostiziert hatten.

Die tatsächlich weitgehende Kongruenz in der Migrations- und Wirtschaftspolitik verdeckte gravierende Divergenzen, die sich nun als potenzielle Soll-Bruchstellen erweisen. Sowohl bei der Ressortverteilung als auch in inhaltlichen Fragen gehen die Vorstellungen von FPÖ und ÖVP weiter auseinander. Und Kickl, den auch Parteifreunde als ungeselligen Asketen beschreiben, bemüht sich nicht einmal um eine gute Atmosphäre. Vielmehr lässt er seinen Allmachtsfantasien freien Lauf und richtet dem Partner in spe ungeachtet vereinbarter Vertraulichkeit via Social Media aus, welche Ressorts der FPÖ zustünden. Das Innenministerium und das Finanzministerium beansprucht Kickl. Zudem sollten die aus dem Außenministerium herausgelösten Europa-Agenden sowie die Medien- und Kulturpolitik in das von ihm geführte Kanzleramt verlagert werden.

Irritierende Putin-Nähe

Käme es so, wäre tatsächlich Ärger mit wichtigen EU-Partnern programmiert: Im Innenministerium ressortiert die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DNS). Allein die Aussicht auf einen direkten FPÖ-Zugriff auf den Geheimdienst veranlasst etwa in Deutschland mehrere Politiker zu öffentlichen Warnungen vor einem Stopp der Geheimdienst-Kooperation mit den Österreichern. Nicht nur Sozialdemokraten zeigten sich alarmiert. Auch der CDU-Abgeordnete Christoph de Vries hält als Mitglied des Geheimdienstausschusses „mit Blick auf die engen Verflechtungen der FPÖ und der Dienste mit Russland in der Amtszeit Kickls als Innenminister Sorgen für die weitere Zusammenarbeit (für) nicht unbegründet“.

Cäsarische Ambitionen: Ein im Web kursierendes KI-Video karikiert Kickls Machthunger
Cäsarische Ambitionen: Ein im Web kursierendes KI-Video karikiert Kickls Machthunger Foto: Screenshot X

Für Kickl ist das Innenministerium nicht nur ein verlockendes Machtinstrument, sondern auch eine persönliche Trophäe, hatte ihn doch Bundespräsident Alexander van der Bellen 2019 nach dem Ibiza-Skandal als Innenminister entlassen. Ein Jahr davor führte eine inzwischen für rechtswidrig befundene Razzia beim Verfassungsschutz, bei der sich Kickls Truppe besonders für Ermittlungsakten über Rechtsextremisten interessierte, zum Ausschluss Österreich aus dem Berner Club, einem informellen Zusammenschluss europäischer Nachrichtendienste. Das droht erneut, sollte die FPÖ das Innenministerium zurückerobern.

Verbot der EU-Flagge?

Nicht weniger problematisch wäre eine Verlagerung der Europapolitik ins Kanzleramt, also direkt zu Kickl. Dieser beteuert zwar, keinesfalls den „Öxit“ anzustreben. Als bekennender Orban-Fan mit ähnlich russland-freundlicher Haltung wie der ungarische Premier könnte er im Verbund mit diesem ordentlich Sand ins europäische Getriebe bringen. Sichtbar werden soll das durch ein Verbot der EU-Flagge auf Amtsgebäuden.

Das zum dritten Jahrestag des Überfalles auf die Ukraine anstehende nächste EU-Sanktionspaket gegen Russland könnte die erste Nagelprobe werden: Die FPÖ lehnt die Sanktionen ab und will durch Gaskäufe in Russland weiter Wladimir Putins Kriegskasse befüllen. Gleichzeitig will sie die Westorientierung unterminieren. Einem am Wochenende geleakten Verhandlungsprotokoll zufolge fordert Kickl den Austritt aus der NATO-Partnerschaft für Frieden. Da kann die ÖVP ebenso wenig mit wie beim geforderten Pushback von Migranten an der Grenze, wenngleich dies mittlerweile auch Position der deutschen Unionsparteien ist.

Die ÖVP sträubt sich nicht nur gegen die vorgeschlagene Ressortverteilung, sie möchte einen Kanzler Kickl in Brüssel quasi an die kurze Leine legen. Um zu verhindern, dass der Rechtspopulist gemeinsam mit seinem magyarischen Spezi im Rat permanent die Veto-Keule schwingt und dabei auch den Ruf der ÖVP als Europapartei endgültig ramponiert, möchten die Christdemokraten Kickl an die Leine legen. Eine Koalitionsvereinbarung soll, so der Wunsch, solche Alleingänge ausschließen. Dem Koalitionspartner die Richtung vorzugeben, war der ÖVP freilich nicht einmal im Chefsessel gelungen. Im vergangenen Sommer hatte die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler im EU-Ministerrat entgegen dem ausdrücklichen Willen von ÖVP-Kanzler Karl Nehammer für das EU-Renaturierungsgesetz gestimmt. Dass sich ein Kanzler Kickl vom Juniorpartner das Stimmverhalten im Rat vorschreiben lässt, erscheint ausgeschlossen.

Kickl am längeren Ast

Neben diesen vielen Streitfragen bedeutet die Medienpolitik einen weiteren Sprengsatz: Die FPÖ hält fest an ihrem Wahlversprechen, die von ÖVP und Grünen gerade eingeführte Haushaltsabgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzuschaffen und den ORF stattdessen aus dem Steuertopf zu finanzieren. Diese durchaus populäre Forderung bedeutet allerdings das Risiko von noch mehr parteipolitischem Einfluss auf den ORF, wenn die jeweils Regierenden die Hand am Geldhahn haben. Außerdem will die FPÖ die Medienförderung auf völlig neue Beine stellen, sprich: so umgestalten, dass auch ihr ergebene rechtsextreme Online-Plattformen in den Genuss staatlicher Förderungen kommen.

Da der ÖVP im Gegensatz zur FPÖ bei Neuwahlen ein Desaster droht, hat sie kaum Druckmittel. Kickl sitzt am längeren Ast und testet aus, wie sehr sich die Christdemokraten vorführen und abräumen lassen. Diese Woche könnte die Entscheidung fallen, ob Österreich wirklich den ersten rechtspopulistischen Kanzler bekommt oder doch – möglicherweise über den Umweg einer Expertenregierung – Richtung Neuwahlen steuert.