Sonntag9. November 2025

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GroßbritannienWie weit reicht der Einfluss der neuen Frau Johnson auf den britischen Premierminister?

Großbritannien / Wie weit reicht der Einfluss der neuen Frau Johnson auf den britischen Premierminister?
Boris Johnson und Carrie Symonds kommen am 6. Mai aus der Methodist Central Hall, wo sie bei den Londoner Bürgermeisterwahlen ihre Stimmen abgegeben haben Foto: dpa/PA Wire/Stefan Rousseau

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Eines immerhin passiert Carrie Symonds schon lang nicht mehr: als dämliche Blondine abqualifiziert zu werden, jüngste in einer langen Reihe hübscher, junger Frauen, die dem Charme des berühmtesten englischen Zeitungskolumnisten anheimfallen und von diesem alsbald wieder verstoßen werden.

Das geht schon deshalb nicht, weil der weithin bekannte Journalist Boris Johnson, 56, am vergangenen Samstag mit der 33-Jährigen vor den Traualtar der katholischen Kathedrale von Westminster trat. Damit gehört die neue Mrs Johnson zu einem exklusiven Zirkel von drei Frauen, mit denen Großbritanniens amtierender Premierminister im Lauf der Jahre die Ehe eingegangen ist. Glaubt man an die Sophistereien der katholischen Kirche, handelt es sich sogar um Ehe Nummer eins.

Am Glück des frischvermählten Paares ließen die wenigen, in sozialen Netzwerken kursierenden Fotos keinen Zweifel. In den Medien des Landes und weit darüber hinaus gab Johnsons öffentliches Bekenntnis zur Mutter des gemeinsamen Sohnes Wilfred einer anderen Interpretation von Symonds’ Rolle neue Nahrung: Die politisch erfahrene Instagram-Jüngerin nehme in der Downing Street eine politisch unbekömmliche, weil viel zu einflussreiche Stellung ein. Tatsächlich verfügt Symonds trotz ihrer jungen Jahre über breite politische Erfahrung als Pressechefin der Torys und PR-Beraterin konservativer Minister.

Selbst literarisch wenig gebildeten Briten fällt beim Stichwort der politischen Ehefrau sofort Shakespeare ein: Lady Macbeth als sinistre, ehrgeizige Figur, die mittels ihres sexuellen Einflusses den wohlmeinenden Mann zu immer neuen Schandtaten anfeuert. Entsprechende Anspielungen müssen sich die Frauen von Premierministern stets gefallen lassen, sobald sie als politisch interessiert oder gar politisch versiert bekannt sind.

Das betraf besonders Cherie, die Frau des Labour-Premiers Tony Blair (1997-2007). Sie bestand – shocking! – darauf, in ihrem Berufsleben als brillante Kronanwältin weiterhin Ms Booth zu bleiben. Hingegen nahm an Theresa Mays (2016-2019) Ehemann Philip niemand Anstoß, obwohl er bekanntermaßen eminent wichtiger, dabei stets diskreter politischer Berater seiner Frau war, dafür sogar vergangenes Jahr den Ritterschlag erhielt. Ähnliche Ehrungen für die Gattinnen der Premierminister sind ausgeblieben.

Männlich geprägtes Umfeld

Symonds bewegt sich also in einem noch immer ausgesprochen männlich geprägten Umfeld. Davon macht Johnson nur bedingt eine Ausnahme: Sein Beraterkreis besteht überwiegend aus Männern, von rühmlichen Ausnahmen wie der Chefstrategin Munira Mirza abgesehen.

Klassischer Macho-Mann war vor allem der frühere Chefberater Dominic Cummings. Nach seiner Entlassung fütterte er die Medien mit der Enthüllung, dass Symonds und Johnson 67.000 Euro zusätzlich zu den staatlich erlaubten 35.000 Euro für die Umgestaltung der Dienstwohnung ausgegeben haben, unter anderem für goldfarbene Tapeten. Offenbar sollte das Geld durch einen geheimen Fonds von Parteispendern bezahlt werden – was der Ethikberater der Regierung kürzlich milde als „unklug“ tadelte.

Neben dieser echten Peinlichkeit verbreitete Cummings allerhand Unbewiesenes: Die damals noch Verlobte des Premiers habe Freunde in einflußreiche Positionen gehievt, durch ihre Schwangerschaft Johnson vom Kampf gegen die Corona-Pandemie abgelenkt, wegen einer trivialen Geschichte über ihren Hund Dilyn die Pressestelle der Downing Street verrückt gemacht. Verrückt sei nicht Symonds, findet die Telegraph-Kolumnistin Bryony Gordon: „Verrückt ist die nackte Frauenfeindlichkeit, die offenbar so normal ist, dass sie kaum jemandem auffällt.“

Misstrauen gegen kluge, junge Frau

Hinter den Angriffen gegen die junge Frau des Regierungschefs, vermutet Ex-Staatssekretärin Anna Soubry, stecke zudem eine politische Absicht. Symonds unterstützte den Brexit und gilt als Fiskal-Konservative; mit vielen Angehörigen ihrer Generation teilt sie aber auch das brennende Interesse am Klimaschutz, an Nachhaltigkeit und gesunder Ernährung. Dies ist den Rechtsaußen der Partei ein Dorn im Auge, wie Ben Harris-Quinney von der Bow Group unter Beweis stellte, als er eine „dringende Untersuchung“ von Symonds’ Rolle in der Regierungszentrale forderte.

Neben dem Misstrauen gegen eine kluge, junge Frau verraten solche Bedenken das geringe Vertrauen vieler Erzkonservativer in Boris Johnson. Der setzte zwar den harten Brexit durch, vertritt aber seit langem progressive Positionen etwa bei der Gleichstellung von Mann und Frau oder bei der Schwulenehe – anders hätte es der Konservative kaum geschafft, in der linksliberalen Hauptstadt zweimal das Rathaus zu erobern. Wie großzügig die Regierung in der Pandemie an viele Berufsgruppen Staatsgelder verteilt, treibt altgedienten Thatcheristen längst die Zornesröte ins Gesicht.

Ein „pragmatischer Tory“ eben, urteilt Johnsons Biograph Andrew Gimson. Daran wird auch die neue Mrs Johnson wenig ändern, wie groß auch immer ihr Einfluss sein mag.