Die Weltpolitik scheint weit weg zu sein – und ist doch so nah. Die Bedeutung eines politischen Gipfeltreffens lässt sich an der Entfernung vom Ort des Geschehens messen, in der noch ein Zimmer zum Übernachten zu finden ist. Ich habe es bis nach Voorhout eine halbe Fahrstunde von Den Haag geschafft, einem Dorf, das zu der Gemeinde Teylingen gehört und das für seine Dünen und Tulpenfelder bekannt ist. Mich begrüßt am frühen Morgen eine Kuh.
Schließlich bin ich auf einem Bauernhof gelandet, der außer landwirtschaftlichen Produkten auch Ferienapartments anbietet. Vom NATO-Gipfel in der nahen Stadt ist erst etwas nach ein paar Kilometern zu spüren, je weiter man sich dem Zentrum nähert. Die Polizeiautos an den Kreisverkehren und Ausfallstraßen häufen sich. Ein paar Militärfahrzeuge sind zur Verstärkung herangezogen worden und sorgen für martialisches NATO-Flair. Und je näher ich dem Zentrum komme, desto mehr Fahrräder kreuzen meinen Weg.
„Der sicherste Ort der Welt“
In diesen Tagen ist „Den Haag der sicherste Ort der Welt“, sagt kurze Zeit später der niederländische Justiz- und Sicherheitsminister David van Weel und weist auf die größte Sicherheitsaktion in der niederländischen Geschichte hin. Eine groß angelegte Militär- und Polizeiaktion mit dem Namen „Orange Shield“ soll die niederländische Stadt und die 9.000 Gipfelteilnehmer in dem modernisierten Weltforum schützen: 27.000 Polizeibeamte und etwa 10.000 Militärangehörige, darunter 5.000 Soldaten der königlichen Gendarmerie werden eingesetzt, ein fünf Kilometer langer Zaun errichtet. Im Umkreis von 16 Kilometern um Den Haag gilt ein absolutes Flugverbot, auch der Schiffsverkehr ist eingeschränkt. Verschiedene Quellen berichten, dass Flugabwehrgeschütze positioniert worden sein. Etliche Maßnahmen für die Cybersicherheit wurden ergriffen. Die niederländische Regierung verwies auf die Angriffsversuche prorussischer Hacker.
Das Akkreditierungszentrum für Journalisten unterstreicht dies mit dem Charme eines Hochsicherheitstrakts. Derweil ist das Personal anhaltend freundlich. Zu den professionellen Sicherheitskräften haben sich Hunderte von freiwilligen Kräften der Stadt gesellt, wie mir eine Sprecherin der Organisatoren erklärt. Sie sind unter anderem mit der Betreuung der mehr als zweitausend Journalisten betraut, die mehr als „nur“ aus den 32 NATO-Mitgliedstaaten kommen, sondern aus mindestens 13 weiteren Staaten. Von insgesamt 45 ist die Rede. Schließlich sind auch die indopazifischen Partner des Verteidigungsbündnisses mit von der Partie.
Rianna Thissen hat allerhand zu tun. Seit sieben Uhr morgens beantwortet die Freiwillige an ihrem Infostand die Fragen der Journalisten, Fotografen und Kameraleute, die mit ihren Notebook- und Fototaschen sowie Kamerastativen per Shuttle zum Pressezentrum gebracht wurden. Ein Schwede, der sich mit einem finnischen Kollegen über den Medienrummel unterhält, gesteht, dass es sein erster Gipfel ist. Kein Wunder, sein Land ist erst vor einem Jahr der NATO beigetreten, nach Finnland – beide Staaten reagierten auf die zunehmende russische Aggressionspolitik, als NATO-Staaten 31 und 32.
Derweil verfügt Eva, eine estnische Zeitungsjournalistin, bereits über viel Gipfelerfahrung: „2008 war ich zum ersten Mal dabei“, sagt sie stolz. Nur einen Gipfel habe sie verpasst. Ihr Landsmann von einem Radiosender in Tallinn befürchtet, die Staats- und Regierungschefs, die im Laufe des Tages eintreffen, nicht zu Gesicht zu bekommen. „Dafür findet sich sicherlich eine Gelegenheit“, beruhigt ihn Eva. Zumindest besitzt NATO-Generalsekretär Mark Rutte, ein gebürtiger „Haager“, eine gewisse Omnipräsenz. Im Vorfeld der zweitägigen Veranstaltung gab er eine Pressekonferenz, am Morgen des ersten Gipfeltags eröffnet in Form eines Zwiegesprächs im Public Forum mit dem Geschäftsführer der Münchner Sicherheitskonferenz, Benedikt Franke.
Alte Sprüche und neue Kriegsrhetorik
Danach tritt der „Gastgeber“ zusammen mit dem in der Nacht eingeflogenen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kurz vor die Presse. Rutte kündigt an, dass die Ukraine mit weiterer Militärhilfe von den NATO-Staaten rechnen kann. Dieses Jahr haben die Mitgliedsländer – wohlgemerkt nicht die NATO als Organisation – eine Sicherheitsunterstützung im Wert von etwa 35 Milliarden Euro zugesagt, im vergangenen Jahr sollen es noch 50 Milliarden gewesen sein. Im Anschluss daran gibt Rutte sein Stelldichein beim Defence Industry Forum und ein in den vergangenen Jahren bis zur Unsäglichkeit strapaziertes Sprichwort zum Besten: „Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.“ Aus dem lateinischen „Si vis pacem para bellum“ ist ein kriegsrhetorischer Neusprech geworden, den Verteidigungsminister gerne praktizieren. Dann steht ein Treffen mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf Ruttes Programm. Der Zulauf im Public Forum ist riesig, der Saal bis auf den letzten Platz besetzt.
Ein Großteil der Presse hat sich derweil ins nahe Pressezentrum verzogen, das sich unterirdisch in einer Art umgebauter Tiefgarage befindet. In den niedrigen Räumen ohne Tageslicht, aber mit Teppichboden, haben viele bereits in den Morgenstunden ihren Platz reserviert und mit einem Zettel markiert. Von den Presseagenturen sowie TV- und Radiosendern bis zu den Magazinen und Tageszeitungen haben sich alle hier niedergelassen. Der erste Raum ist bereits ausgebucht, im zweiten deutet ein kleines belgisches Fähnlein auf einem Tisch, dass der Claim bereits abgesteckt ist. Eine rumänische Delegation hat auch gleich einen Tisch reserviert.
Ein Team von AFP sitzt wie Hühner auf der Stange an einem langen Tisch und tippt in die Laptops. Sky Italia hat sich neben CNN Türkiye Platz gemacht, ein Slowene von dem Kabelnachrichtensender N1 nimmt sich per Smartphone auf. Der Lärmpegel steigt. Die Journalisten bewegen sich wie in einer Art unterirdischer Bubble, das eigentliche Geschehen findet an der Erdoberfläche statt. Ein Kollege vom Spiegel meint beiläufig: „Das ist hier wie im Bunker.“ Ein anderer: „Zum Glück kommt kein Lagerkoller auf.“
Weder ein Bunker- noch ein ausgeprägtes Lagerdenken hilft im Moment dem Verteidigungsbündnis. „Was hier auf dem Spiel steht, betrifft viele Millionen Menschen“, weiß Anna van Zoest, die zum Public Forum gekommen ist, um an einer Diskussion teilzunehmen. Die Direktorin der niederländischen Atlantic Association. Der Einsatz in dem Spiel ist mehr als das viel zitierte „burden sharing“ unter den NATO-Mitgliedstaaten, das Trump ins Spiel brachte und das besagt, dass künftig fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgegeben werden sollen.
Wir leben ständig mit der russischen Bedrohung. Aber wir lassen uns dadurch nicht stressen.
Zwar seien viele Staats- und Regierungschefs versammelt, aber „only one matters“, sagt eine weitere politische Analystin. Rachel Rizzo vom Atlantic Council’s Europe Center weiß um die Problematik zwischen den USA unter Trump. Wenn die USA Truppen von Europa abziehen, müssen die Europäer vorbereitet sein. Und wenn die Diskussion um das „burden sharing“ nur eine Form von Appeasement gegenüber Trump ist? „Einen Quantensprung“ nennt Rutte daher das Fünf-Prozent-Ziel.
Jedenfalls fällt an kaum einem Tag wie heute auf, wie sehr zwischen dem europäischen Alltag und der Diskussion um Rüstungsmilliarden eine Lücke klafft. „Für uns ist es tagtäglich Realität“, sagt Linas Kojala vom Geopolitics and Security Center in Vilnius. „Wir leben ständig mit der russischen Bedrohung. Aber wir lassen uns dadurch nicht stressen.“ Derweil wirft der niederländische Minister van Weel die Frage auf, ob sich mit der veränderten Sicherheitspolitik in der Welt auch die Gewohnheiten der Menschen ändern: „Werden wir etwa alle zu Preppern und decken uns mit dem Nötigsten für den Ernstfall ein?“
Große Sprünge können unterdessen die Anwohner in unmittelbarer Nähe des Weltforums während des Gipfels kaum machen. Sie haben dies zu spüren bekommen, wenn sie ihre Häuser und Wohnungen verließen, und rund 60 Kilometer Straßen ganz oder teilweise gesperrt wurden. „Selbst das Brötchenholen wurde heute Morgen zum Spießrutenlauf“, sagt mir ein Familienvater, der seine Kinder im Lastenrad vor sich hat. Ich weiß, dass am Abend die Idylle von Voorhout wartet, auch wenn die Tulpen längst verblüht sind – und die Kühe bekommen von Trump & Co. nichts mit.

De Maart
Eierlech an Fein Leit brauchen keen Militär and Polizei Schutz an och neischt ze färten , do schengen vill anerer zesummen ze sin resp zesummen kommen.
Wenn man diesen laecherlichen nato zirkus und das geldverbrennen das dort veranstaltet wird sieht,kann man nur laender wie Irland,die Schweiz oder Austria beneiden die nicht mitmachen.