
„Habe ich Erich Honecker gestürzt?“ Das fragt sich Lukas Braak zu Beginn der Erzählung (2024, Capybarabooks). Es folgt der Rückblick auf ein bewegtes Leben: Braak war Schiffskapitän in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und überzeugter Sozialist; ein Kontakt zum Westen wurde seiner Familie zum Verhängnis.
Im Zuge eines inneren Monologs dekonstruiert die Autorin Margret Steckel gekonnt Braaks Leben, aber auch die Politik der DDR. Sie skizziert die Schattenseiten eines wichtigen Kapitels deutscher Geschichte: Steckel schreibt über die Spionage und die Arbeitsbedingungen in der DDR, über den politisch motivierten Suizid, über junge Menschen auf der Flucht in den Westen. Interessante Randinformation – die Autorin lebte selbst in der DDR, welche sie 1955 verließ.
In ihrem Werk sind die politischen Ereignisse – nicht zuletzt der Rücktritt von Erich Honecker als Generalsekretär der „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ – mit dem persönlichen Schicksal der Figuren verflochten. Das mag unter anderem mit der Vorlage zusammenhängen: Steckel basiert sich auf die Erlebnisse ihres Bekannten Lothar Borbe, der als Kapitän und Ausbildungsoffizier bei der „Deutfracht Seereederei Rostock“ tätig war. Ein Brief an Erich Honecker, der am Ende des Buches steht, stammt gar aus seiner Feder. Daher rührt wohl auch die spürbare Authentizität der Geschichte, die mehr hergibt als nur einen weiteren Bericht über das Leben in der DDR.
Von der Form her erinnert „Doswidanja, Genosse“ an die Novelle „Mutterrache“: Auch dort treibt nur eine Erzählstimme die Handlung voran und ist eine problematische Mutter-Kind-Beziehung entscheidend für das Geschehen. Beide Male meistert Steckel es, auf engem Raum in die Tiefe zu gehen und menschliche Beziehungsgeflechte zu entwirren. „Mutterrache“ hat nur 54, „Doswidanja, Genosse“ 92 Seiten – und es braucht offensichtlich nicht mehr, um Zusammenstürze treffend zu beschreiben. Oder wie es die Literaturkritikerin Valerjia Berdi auf „Radio 100,7“ ausdrückt: „[D’Margret Steckel] seet an engem Saz esou vill, wou anerer eng ganz Säit brauchen.“
Zur Autorin
Margret Steckel, Jahrgang 1934, lebte bereits in Deutschland, Irland und England. Seit 1983 wohnt sie in Luxemburg. Ihre berufliche Karriere ist vielseitig: Sie war unter anderem als Assistentin für Dramaturgie und Drehbuch sowie als Übersetzerin von Synchron-Drehbüchern im Film tätig. 1997 wurde sie in Luxemburg für ihre Erzählung „Der Letzte vom Bayrischen Platz“ mit dem Servais-Preis ausgezeichnet, 2023 erhielt sie den „Prix Batty Weber“ für ihr Lebenswerk und 2024 den „Lëtzebuerger Buchpräis“ für die Novelle „Mutterrache“.
De Maart

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