11. November 2025 - 21.14 Uhr
DeutschlandWie kann der Niedergang der SPD gestoppt werden?
In der SPD grummelt es. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr hatte das der damalige SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich eingeräumt. Anlass war die Frage, wer nach dem Ampel-Bruch der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten sein sollte. Olaf Scholz etwa, der unbeliebte Kanzler ohne Regierungsmehrheit? Oder doch lieber der schon damals und bis heute unangefochtene Umfrageliebling Boris Pistorius? Dass es nicht der weiterhin amtierende Verteidigungsminister wurde, Scholz die Wahl krachend gegen Friedrich Merz (CDU) verlor und die SPD ihr schlechtestes Bundesergebnis jemals einfuhr, ist hinlänglich bekannt.
Das Grummeln ist danach nie verschwunden. Es ist lauter geworden. Und es wächst sich in der SPD langsam aber sicher zu offenem Widerstand gegen den Kurs der Parteispitze um Lars Klingbeil und Bärbel Bas aus. Denn die SPD ist in Umfragen kein bisschen vom Fleck gekommen, verharrt seit Monaten bei Werten noch unterhalb des Wahlergebnisses von 16,4 Prozent. Und so nimmt die Nervosität in der Partei zu. Die Frage steht im Zentrum, wie man wieder mehr Rückhalt gewinnen kann bei den Menschen. Die Geschlossenheit der Genossen jedenfalls, die Scholz einst ins Amt trug und ihm auch dank des damaligen Parteivorsitzenden-Duos Klingbeil und Saskia Esken sowie Mützenichs Integrationsarbeit in der Fraktion sicher war, löst sich langsam auf.
Das lässt sich an mehreren aktuellen Debatten festmachen. Beispiel Bürgergeld. Der Koalitionsausschuss der schwarz-roten Bundesregierung hatte sich Anfang Oktober auf Verschärfungen für Bürgergeldempfänger geeinigt, die angebotene Jobs ablehnen. Partei-Co-Chefin Bas ist als Arbeitsministerin zuständig für die Reform, die noch nicht vom Kabinett verabschiedet wurde. Merz, der mit der Union auf die Pläne gedrungen hatte, will sie bis zum Frühjahr in Kraft treten lassen.
Unruhe wegen Bürgergeldreform
Doch gegen die Verschärfungen der Sanktionen gehen jetzt Teile der SPD-Basis vor. Eine Gruppe von Parteimitgliedern beantragte am Montag ein Mitgliederbegehren. Eine der Initiatorinnen, die frühere Juso-Chefin Franziska Drohsel, übergab dazu die nötige Anzahl von mindestens 4.000 Unterschriften. Auch der amtierende Juso-Chef Philipp Türmer gehört zu den Unterstützern. Das Verfahren wird nun geprüft. Klingbeil ist verärgert. Dies sei „genau das falsche Signal“, sagte Klingbeil am Montagabend bei einer Diskussionsveranstaltung der Wochenzeitung Die Zeit. Klingbeil ergänzte, er stehe weiterhin „zu 100 Prozent“ hinter den Plänen der Bundesregierung. „Ich halte das für total richtig, dass wir beim Bürgergeld jetzt Entscheidungen getroffen haben.“ Er betonte, dass es Fehlentwicklungen im Sozialstaat gebe. „Das heißt nicht, dass ich den Sozialstaat kaputt schlagen will. Aber wenn ich die Debatte nicht führe, dann führen sie andere.“
Darum geht es. Die SPD, die stets für den Sozialstaat einsteht, sieht sich vor dem Hintergrund von Fehlentwicklungen und explodierenden Kosten zu einem Reformkurs gezwungen. Dass dabei aber Erinnerungen an die für die SPD traumatische Zeit nach den Agenda-Jahren von Ex-Kanzler Gerhard Schröder wach werden, ruft die Parteilinke auf den Plan. Ihnen ist Klingbeils Vorgehen seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge, sein pragmatischer Mitte-Kurs vergrätzt viele an der Basis. Dass das Begehren kaum Aussicht auf Erfolg haben wird, weiß man auch bei den Initiatoren. Doch es ist bislang die stärkste Kritik am Regierungskurs. Bislang war da eher ein dumpfes, pessimistisches Grollen angesichts der miesen Umfragen und des häufigen Koalitionsstreits – auch vor dem Hintergrund des starken Rückhalts für die AfD.
Von Wahlgewinnern lernen
Dass die SPD aber nicht nur bei Fragen zu Sozialstaatsreformen auseinander strebt, hat sich in der sogenannten Stadtbild-Debatte gezeigt. Es waren SPD-Abgeordnete aus vornehmlich großen Städten, die mit einem Acht-Punkte-Plan die Debatte versachlichen wollten – und die Kritik an nicht integrierten Migranten aussparten. Sie forderten einen Stadtbild-Gipfel im Kanzleramt, durchaus ein Seitenhieb gegen Merz. Andere in der SPD gaben dem Kanzler, der die Debatte angestoßen hatte, hinter vorgehaltener Hand hingegen Recht. Sie wollten aber nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen und die für die Koalition missliche Diskussion verlängern.
Dazu passt, wie die Berliner SPD mit ihrem Bürgermeister im Multi-Kulti-Bezirk Neukölln umgesprungen ist. Martin Hikel war von Parteilinken für seinen Law-and-Order-Kurs angegangen worden. Kurz vor einem Landesparteitag kam es nun bei einer Wahlversammlung zum Eklat, Hikel, der seit mehr als sieben Jahren Bezirksbürgermeister ist, bekam ein schlechtes Ergebnis und will nun im kommenden Jahr bei der Wahl in Berlin nicht erneut kandidieren. Ein Paukenschlag, der auch etwas mit der inhaltlichen Ausrichtung der Partei zu tun hat.
Inhaltlich dem Prinzip folgend, wirtschaftlich vernünftig und sozial gerecht zu sein, möchte Klingbeil die Parteiströmungen einbinden. Auf der Suche nach Wegen aus der Krise will er aber auch auf erfolgreiche Sozialdemokraten in den Regionen setzen. Nicht umsonst waren in der vergangenen Woche mehrere frisch gewählte Bürgermeister in Berlin, darunter Shoaiub Nazir aus Oer-Erkenschwick in Nordrhein-Westfalen. Er saß in der Sitzung der Bundestagsfraktion neben Klingbeil, der selber gute Direktwahlergebnisse vorweisen kann. Von den Erfolgsrezepten der Wahlgewinner lernen – das scheint die Strategie der SPD-Spitze zu sein. Ob sie aufgeht, wird sich bei den nächsten Wahlen zeigen. Bis dahin grummelt es wohl weiter in der Partei.
De Maart
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