Öltanker können gigantische Ausmaße annehmen. Das manövrierunfähige Schiff „Eventin“ gehört dabei nicht einmal zu den größten seiner Art. Und dennoch stellte es mit einer Länge von 274 Metern und fast 100.000 Tonnen Öl an Bord eine große Herausforderung für das Havariekommando in der Ostsee dar, das in den vergangenen Tagen den Tanker vor Rügen stabilisieren musste, um eine Katastrophe zu verhindern. Mittlerweile sind kommerzielle Schleppschiffe im Einsatz und haben die staatlichen Notschlepper abgelöst, um die „Eventin“ auf Position zu halten. Am Montagabend sollte der Tanker unter der Flagge Panamas in Richtung Skagen an der Nordspitze Dänemarks geschleppt werden. Wie es danach weitergeht, ist noch offen.
Weil alle Systeme an Bord ausgefallen waren, trieb das Schiff stundenlang manövrierunfähig in der Ostsee. Rettungsteams gelang es schließlich, am Freitagnachmittag auf hoher See Schleppverbindungen zur „Eventin“ herzustellen. So konnte das Schiff vor die Küste von Sassnitz gezogen werden. Die Wetterbedingungen auf See hatten den Schleppvorgang erheblich verlangsamt, zwischenzeitlich waren die Wellen bis zu vier Meter hoch.
Auch wenn zuletzt keine Gefahr mehr für die Umwelt bestand, wächst die Sorge vor Risiken durch die sogenannte russische Schattenflotte, zu der nach Angaben von Greenpeace auch der 20 Jahre alte Tanker „Eventin“ gehört. 192 Schiffe soll die russische Schattenflotte laut Umweltorganisation umfassen, der britische Informationsdienst „lloydslist.com“ rechnet sogar mit bis zu 460 Tankern. Teils sind sie in desaströsem Zustand und den Angaben zufolge oftmals nicht versichert. Die Eigentumsverhältnisse sind undurchsichtig, oft wechselt die Flagge, unter der die Schiffe fahren. Das vermutete Ziel: Mit diesen Tankern will der Kreml das Ölembargo und die Sanktionen umgehen, die gegen Russland verhängt wurden, seit der russische Präsident Wladimir Putin einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt.
Dass von diesen maroden Schiffen erhebliche Umweltgefahren ausgehen können, betont nun auch die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). „Der Transport von Erdöl über die Weltmeere birgt grundsätzlich hohe Risiken für die Umwelt. Bereits vielfach, auch in der jüngsten Vergangenheit, kam es zu Havarien von Öltankern mit gravierenden Folgen für Menschen, Tiere und die gesamte Umwelt in den betroffenen Meeren, einschließlich der Küstengebiete“, sagte sie dem Tageblatt. Die marode Schattenflotte Russlands in der Ostsee verschärfe dieses Problem und stelle ein zusätzliches Risiko für die Meeresumwelt und damit für Wohlstand und Wohlergehen aller Ostseeanrainer dar, sagte Lemke. „Russland nimmt durch den Einsatz der Schattenflotte in Kauf, dass die Umwelt und der Tourismus in der Region schwer beschädigt werden“, so Lemke. Aus diesem Grund habe die deutsche Regierung mit ihren EU-Partnern vorangetrieben, dass Schiffe der Schattenflotte konsequent mit Sanktionen belegt werden. Endlich, möchte man meinen. Denn Berichte über solche Schiffe gibt es bereits lange. Und seit 2022 wurden nach Angaben des Auswärtigen Amtes erst knapp 80 Schiffe mit Sanktionen belegt.
Marode Tanker als hybride Waffe
Was aber zuletzt vor allem für Alarmstimmung in den Regierungszentralen der EU-Staaten und bei der NATO führte, waren weniger die Umweltrisiken. Es waren mehrere Vorfälle, bei denen wahrscheinlich Schiffe der russischen Schattenflotte Infrastruktur in der Ostsee ausspionierten oder diese gar beschädigten. Die Liste solcher Sabotageakte wird immer länger. So stand der Tanker „Eagle S“, den die EU der Schattenflotte zurechnet, erst Ende Dezember unter Verdacht, seinen Anker über den Grund gezogen zu haben und eine Stromverbindung zwischen Finnland und Estland gekappt zu haben. Erstmals konnte mit der „Eagle S“ ein Schattenflotte-Schiff in der Nähe des Vorfalls festgesetzt werden. Seit Herbst 2023 hatte es aber schon elf Zwischenfälle in der Ostsee mit beschädigten Kabeln oder Pipelines gegeben. Das legt den Verdacht nahe, dass die Schattenflotte eine zentrale Rolle in der hybriden Kriegsführung Russlands gegen Europa spielt – zum Ausspähen und für Attacken gegen kritische Infrastruktur.
Jetzt will die deutsche Regierung gemeinsam mit anderen EU-Staaten gezielter gegen die Schiffe vorgehen. Die Koordinierung ist überfällig, dauert es doch bislang viel zu lange, bis zwischen den Staaten Informationen ausgetauscht werden. Die deutsche Regierung sei in Brüssel „sehr aktiv“, um die rechtlichen Mittel, „sprich Sanktionen“, gegen Aktivitäten der Schattenflotte voranzutreiben, erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. An diesem Dienstag wird der deutsche Kanzler Olaf Scholz am Gipfel der NATO-Verbündeten des Ostseeraums (Baltic Sea NATO Allies Summit) in der finnischen Hauptstadt Helsinki teilnehmen, hieß es aus Regierungskreisen. Dabei werden die Probleme mit der Schattenflotte im Vordergrund stehen. Es ist ein deutliches Signal, dass der Umgang mit den maroden Schiffen mittlerweile zur Chefsache geworden ist – auch wenn das Erwachen aus Sicht von Kritikern viel früher hätte passieren müssen. Schließlich ist die noch immer geltende NATO-Strategie zur Abwehr und Abschreckung hybrider Kriegsführung mittlerweile zehn Jahre alt. Zugleich weiß man in der EU und der NATO: Umfassenden Schutz kann es kaum geben, trotz verstärkter Patrouillen auf See. Und die maroden Tanker sind längst zur hybriden Waffe geworden.
De Maart
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