Samstag8. November 2025

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StandpunktWie eine Demokratie von innen zerstört wird

Standpunkt / Wie eine Demokratie von innen zerstört wird
Viktor Orban  Foto: AFP/Attila Kisbenedek

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Keine zwei Monate sind es mehr bis zu einer der folgenreichsten Wahlen in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Nicht wenige fürchten, die Demokratie stehe auf dem Spiel. Und in vielerlei Hinsicht kann man dem kaum widersprechen.

Donald Trump, dessen Wahlkampf von Gewalt überschattet ist, möchte sich nach eigenem Bekunden zum „Diktator“ aufschwingen und stellt seine Bewunderung für „starke Männer“ wie Ungarns Regierungschef Viktor Orbán klar und deutlich aus. Die Amerikaner sollten sich daher in Acht nehmen: Orbán und die Entwicklungen in Ungarn führen eindringlich vor Augen, wie schnell und umfassend eine Demokratie von innen heraus zerstört werden kann.

In der Nacht, als er 2010 wieder an die Macht gewählt wurde, krähte Orbán mit seiner bekannten, leicht schrillen Stimme über seinen Sieg: „Heute ist an den Wahlurnen eine Revolution geschehen. […] Die Ungarn haben ihr Urteil über eine Ära gefällt.“ Seine Fidesz-Partei würde wieder einmal die Fäden im Land in der Hand halten.

Revolution, und sei sie auch nur symbolisch gemeint, steht im Widerspruch zum Wesen parlamentarischer Demokratie. Damals hielten es viele mit Blick auf die Einbindung des Landes in die EU und die globalen Märkte für unwahrscheinlich, dass Orbán viel verändern können würde. Rückblickend macht seine Rede jedoch deutlich, dass er einen radikalen Kurswechsel vorbereitete. Das genaue Ausmaß war nicht zu erahnen, doch markierte dieser Abend den Beginn einer vorsätzlichen Aushöhlung der Demokratie in Ungarn.

Wie die Republikanische Partei hat auch die Fidesz heute einen ganz anderen Charakter als vor ein paar Jahrzehnten. Einen entscheidenden Wendepunkt erlebte die Partei nach der Wahlniederlage 2002. Orbán machte dafür die liberale Medienkontrolle und „erstarrte“ postkommunistische Machtstrukturen verantwortlich. Nach seiner Auffassung war der politische Status quo ungerecht und konnte nur mit radikaleren Mitteln überwunden werden. Die alten konservativen Eliten unterstützten ihn bei der Einführung einer in hohem Maße spaltenden Politik.

Nach einer weiteren Niederlage im Jahr 2006 verschärfte Orbán die Angriffe auf seine Konkurrenten und bediente sich einer populistisch-nationalistischen Rhetorik, um die linksliberale Regierungskoalition zum Feindbild zu stilisieren und Volksunruhen zu provozieren. Im Zuge der Wirtschaftskrise 2008 kulminierte diese Strategie in Orbáns erdrutschartigem Wahlsieg. Was folgte, war ein historisches Experiment, innerhalb der Europäischen Union ein illiberales Regime aufzubauen und zugleich die regelbasierte Ordnung offen infrage zu stellen.

Staatliche Institutionen mit Loyalisten besetzt

Mit einer in westlichen Ländern nur schwer vorstellbaren Mehrheit hat Orbáns Regierung Wahlgesetze durch umfangreiche Wahlkreiseinteilung geändert, sich selbst zusätzliche Mandate in entscheidenden Bezirken zugesprochen und die Verfassung des Landes 13 Mal geändert, um die Opposition zu schwächen und zu verunsichern.

Diese Machtfülle in den zentralen Säulen des Staates macht Orbán nahezu unantastbar – und wird pikanterweise zum Teil durch europäische Steuergelder gestützt

Durch diese Maßnahmen konnte Orbán zentrale staatliche Institutionen auf lange Sicht mit Loyalisten besetzen, was sicherstellt, dass Verfehlungen seines inneren Kreises unbestraft bleiben. Eine Kombination aus feindlichen Übernahmen, der Besetzung von Redaktionen mit Fidesz-nahen Unternehmern und dem Aufbau eines regierungsfreundlichen Mediennetzwerks setzte eine stärkere Medienkontrolle im Land durch. All dies dient der Meinungskontrolle durch die Regierung und etabliert den Schein, dass es in Ungarn keine andere politische Kraft gibt.

Während der Wahlen arbeitet die Fidesz ständig mit den Medienkonglomeraten des Landes zusammen, um die Ängste der Öffentlichkeit zu schüren. Es werden Geschichten über ruchlose ausländische Kräfte verbreitet, die Ungarn kontrollieren wollen, und jede aufkommende oppositionelle Kraft mit „globalistischen Liberalen“ verknüpft. Politiker, die sich kritisch zur Fidesz-Politik äußern, werden routinemäßig als Befürworter einer „massenhaften und unkontrollierten Zuwanderung“ verleumdet, oder – im Falle des russisch-ukrainischen Krieges – als „Kriegsbefürworter“, die Kiew helfen wollen.

Ungarns Schulterschluss mit Russland und China

Diese Machtfülle in den zentralen Säulen des Staates macht Orbán nahezu unantastbar – und wird pikanterweise zum Teil durch europäische Steuergelder gestützt. Mit einer überschaubaren Wirtschaftselite hat der Regierungschef einen Kreis von Getreuen aufgebaut, die allesamt in den Genuss von dem Staat zugesprochenen Entwicklungsgeldern der EU kommen. Dieser finanzielle Einfluss reicht über die Grenzen Ungarns hinaus: Orbán unterstützt rechtsextreme politische Verbündete in anderen Ländern, etwa Marine Le Pen, mit Krediten der MKB Bank, einem Institut, dessen Anteilseigner eng mit der Fidesz verbandelt sind.

Orbán unterstützt rechtsextreme politische Verbündete in anderen Ländern, etwa Marine Le Pen, mit Krediten der MKB Bank, einem Institut, dessen Anteilseigner eng mit der Fidesz verbandelt sind

Im Laufe von 14 Jahren hat Orbán ein System perfektioniert, das jedem Grundprinzip einer liberalen Demokratie zuwiderläuft. Auf dem Weg dorthin hat er durch seine konfrontative und spaltende Politik, den Schulterschluss mit Russland und China und fortwährende Verstöße gegen europäisches Recht Verbündete verloren. Und doch ist und bleibt Ungarn das favorisierte Modell für nationalistische, rechtsextreme Politik in Europa und den Vereinigten Staaten. Der Import der amerikanischen American Conservative Political Action Conferences (CPAC) nach Ungarn zeugt von der Bewunderung, die die amerikanischen Erzkonservativen genießen.

Illiberalismus ist gefährlich. Selbst wenn Orbán aus dem Amt entfernt wird, wird es nicht leicht werden, die institutionelle Unabhängigkeit in Ungarn wiederherzustellen. Die politische Sprache hat sich radikalisiert, die Eliten sind polarisiert, wichtige Säulen des Staates ausgehöhlt – und die amerikanischen Wähler täten gut daran, die realen Folgen eines solchen Vorgehens zu verstehen, bevor sie Trumps aufrührerischen Forderungen nach einer „Politik des starken Mannes“ anhängen. Ist die Demokratie erst einmal weg, ist es extrem schwer, sie zurückzubekommen.


Zsuzsanna Szelényi ist Direktorin des CEU Democracy Institute, Autorin von „Zerrüttete Demokratie: Viktor Orbán und die Unterwanderung Ungarns“ und koordiniert das 2024 Budapest Forum.