31. Dezember 2025 - 7.42 Uhr
Akt.: 31. Dezember 2025 - 8.50 Uhr
BrüsselWie eine Allianz aus elf Konzernen vorging, um die Lieferkettenrichtlinie zu Fall zu bringen
Dabei hat es lange gut ausgesehen für eine Umsetzung des Lieferkettengesetzes, besser gesagt: der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Diese gilt als Meilenstein zum Schutz von Menschen- und Umweltrechten sowie zum Klimaschutz – und als Teil des europäischen „Green Deal“. Unternehmen sollen vor europäischen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie von Menschenrechts- und Umweltrechtsverletzungen oder Kinder- und Zwangsarbeit profitieren. Der Durchbruch dazu gelang am 14. Dezember 2023. Nachdem bereits ein halbes Jahr zuvor das Europäische Parlament seine Position zur Lieferkettenrichtlinie formuliert und angenommen hatte, einigten sich die Vertreter des Europäischen Rats und des EU-Parlaments auf eine Kompromissfassung der Direktive.
Deren gesetzliche Umsetzung scheiterte zunächst bei einer Abstimmung unter den EU-Mitgliedstaaten am 28. Februar 2024, weil nicht die erforderliche Mehrheit von mindestens 15 Staaten zusammenkam. Nach weiteren Verhandlungen kam es am 15. März 2024 zur Einigung auf eine abgeschwächte Fassung. In der Neufassung konnten die Grenzen für die Anwendbarkeit auf Unternehmen mit mindestens tausend Beschäftigten und einem Umsatz von 450 Millionen Euro angehoben werden, allerdings mit längeren Übergangsfristen. Zudem wurden Risikosektoren aus dem Gesetzesentwurf gestrichen. Das EU-Parlament stimmte dem abgeschwächten Entwurf am 24. April 2024 zu, daraufhin der Rat der EU.
Verwässerung der Direktive
Rund anderthalb Jahre später erlebte das Ansinnen einen erheblichen Rückschlag, als das Europaparlament für eine wesentliche Abschwächung der Richtlinie stimmte. Sie soll nur noch Unternehmen ab 5.000 Beschäftigte und mit einem Jahresumsatz von mindestens 1,5 Milliarden Euro betreffen. Die Abstimmung erfolgte mit einer Mehrheit der konservativen EVP-Fraktion, der auch die luxemburgischen CSV-Europaabgeordneten Isabel Wiseler-Lima und Martine Kemp angehören, und den ultrarechten Fraktionen der „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR) und von „Identität und Demokratie“ (ID). Die oftmals beschworene „Brandmauer“ gegen die Rechtsfraktionen war dabei missachtet worden. Die Regeln zum EU-Lieferkettengesetz bzw. die Richtlinie wurden deutlich aufgeweicht – mit der Begründung des Bürokratieabbaus und der Vereinfachung der Regeln, im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Außerdem soll das Lieferkettengesetz erst bis Juli 2028 von den EU-Staaten umgesetzt und ein Jahr später angewandt werden.
Darüber hinaus sollen die Unternehmen nicht mehr alle Geschäftspartner überprüfen, sondern nur jene, von denen das größte Risiko ausgehen könnte. „Ein großer Tag für die Wettbewerbsfähigkeit“, posaunte der dänische EU-Ratsvorsitzende Morten Bodskov. Als das EU-Parlament das „Omnibus-I-Paket“ annahm, habe es die Entkernung der CSDDD besiegelt, teilte dagegen die Initiative Lieferkettengesetz mit. Mit dem Omnibus-I-Paket werde der EU-Lieferkettenrichtlinie ein Kernelement zum Klimaschutz genommen. Ebenso der Deregulierung zum Opfer gefallen sei die EU-weit harmonisierte zivilrechtliche Haftungsklausel. Unternehmen sind künftig nach nati-onalem Recht strafbar. Ein rechtlicher Flickenteppich werde befürchtet. „Das Verhalten der EVP war verantwortungslos und untergräbt die Kompromissfindung in der demokratischen Mitte“, so Robert Diendorfer vom Forum Fairer Handel.

Doch wie war es zur unternehmerfreundlichen Wende innerhalb weniger Monate gekommen? Das Zentrum für Forschung zu multinationalen Unternehmen (SOMO), eine in Amsterdam ansässige Nichtregierungsorganisation, hat es sich seit 1973 zur Aufgabe gemacht, die multinationalen Unternehmen, deren Praktiken und die Folgen ihrer Aktivitäten für Mensch und Umwelt zu untersuchen. Ein Anfang Dezember veröffentlichter Bericht von SOMO beschreibt, wie sich eine kleine Gruppe großer Unternehmen, die überwiegend in den USA ansässig und vor allem im Bereich fossiler Brennstoffe tätig sind, innerhalb der Lobbying-Plattform „Competitiveness Roundtable“ organisiert haben, um Druck auf die EU-Institutionen und Regierungen auszuüben. Ihr Ziel war es, die CSDDD zu schwächen oder gar zu Fall zu bringen. Die Initiative sei Teil eines diplomatischen Drucks der USA.
„Diese Entwicklungen schüren die Befürchtungen einer möglichen ‚Trumpisierung‘ der europäischen Politik in Bezug auf die Regulierung von Großunternehmen sowie Sozial- und Klimastandards“, so die „déi-gréng“-Abgeordnete Sam Tanson in einer parlamentarischen Frage an Premierminister Luc Frieden, ob die Regierung formelle oder informelle Kontakte zu Unternehmen oder Unternehmensplattformen habe, die in dem SOMO-Bericht genannt wurden. Schon vor der Verabschiedung des Omnibus-I-Pakets warnte Jean-Louis Zeien, Koordinator der hiesigen „Initiative pour un devoir de vigilance“ (IDV), dass die Entscheidung nicht auf Brüssel beschränkt bliebe. Weitere vier Jahre würden verloren gehen. Und er wies darauf hin, dass der Druck der Lobbyisten nicht nur von europäischen Unternehmen ausginge, sondern von US-Unternehmen, die nun in der Lage seien, die Politik der EU zu beeinflussen oder sogar zu steuern.
US-amerikanische Umweltverschmutzer
David Ollievier de Leth, der als Wissenschaftler für SOMO den Einfluss auf die Lieferkettengesetzgebung unter die Lupe nahm, sprach gegenüber dem Tageblatt von einer „Verschwörung US-amerikanischer Umweltverschmutzer“ und nennt eine Allianz aus großen multinationalen Unternehmen, die daran gearbeitet habe, die CSDDD als „das Flaggschiff der EU in Sachen Menschenrechte und Klimagesetze“ zu versenken. Aus geleakten Dokumenten gehe hervor, so De Leth, dass eine überwiegend in den USA ansässige Koalition aus elf Unternehmen, die meisten davon im Bereich fossiler Energien tätig, wie etwa Chevron, ExxonMobil und Koch, Inc., so auch der französische Konzern TotalEnergies, unter dem Deckmantel des „Competitiveness Roundtable“ zusammenarbeitete, um die CSDDD zu kippen. Koch, Inc. ist in Luxemburg mit Koch Global Financial Services lange Zeit in Bartringen ansässig gewesen, künftig in Hollerich. Das Unternehmen wird nicht zuletzt wegen seiner Unterstützung rechter Regierungen kritisiert.
Die Konzerne seien nach der Devise vorgegangen „im Rat zu spalten und zu herrschen“, beschreibt De Leth deren Vorgehensweise. Angesichts der Tatsache, dass die europäischen Gesetzgeber bald daran gehen werden, die CSDDD auf Kosten der Menschenrechte und des Klimas vollständig zu verwässern, deckt diese Untersuchung die Fragilität der europäischen Demokratie auf. Chevron und ExxonMobil waren dafür verantwortlich, Druck gegen die CSDDD aus Nicht-EU-Ländern zu mobilisieren – und waren darauf bedacht, den Einfluss der USA zu verschleiern. Aus den Dokumenten ging zudem hervor, dass der Runde Tisch eine „blockierende Minderheit“ anstrebte – mit dem Ziel eines Verzichts auf jegliche Klimaverpflichtungen in der CSDDD.

ExxonMobil ist nicht nur der weltgrößte Ölkonzern mit Umsätzen von mehr als 200 Milliarden US-Dollar, sondern auch Verursacher des größten Ölunfalls in der Geschichte der USA – als der Öltanker Exxon Valdez 1989 auf Grund lief. Der Konzern weigert sich bis heute, die Strafzahlung von fünf Milliarden US-Dollar zu bezahlen. Er kollaboriert zudem weltweit mit korrupten und diktatorischen Staaten, so der Vorwurf von Greenpeace. Für lukrative Erdölgeschäfte werden weltweit Menschen von den Regierungen mit Gewalt vertrieben. Nicht zuletzt weist ExxonMobil bis heute jegliche Mitverantwortung für den Klimawandel zurück. Chevron und TotalEnergies stehen vor allem wegen Umweltvergehen beziehungsweise Greenwashing in der Kritik. Die Einflussnahme der Ölmultis verlief auf unterschiedliche Weise. So waren etwa Che-vron und ExxonMobil dafür zuständig, Druck gegen die CSDDD aus Nicht-EU-Ländern zu mobilisieren und die Richtlinie ganz oben auf die Tagesordnung der Handelsverhandlungen zwischen den USA und der EU zu setzen.
Die Round-Table-Unternehmen bezahlten außerdem die TEHA Group – einen Think Tank – dafür, einen Forschungsbericht zu verfassen und eine Veranstaltung zur Wettbewerbsfähigkeit der EU zu organisieren, um Zweifel an der Einschätzung der Europäischen Kommission hinsichtlich der wirtschaftlichen Auswirkungen der CSDDD aufkommen zu lassen. Die Veranstaltung mit EU-Entscheidungsträgern wurde von ExxonMobil finanziert. Die deutsche Gewerkschaft Verdi bezeichnete die Entscheidung als politischen Dammbruch mit unmittelbaren Folgen für den Schutz von Menschenrechten und Umwelt sowie die politische Stabilität in der EU.
Big Oil‘s „Competitiveness Roundtable“
Der „Competitiveness Roundtable“ wird von Unternehmen aus dem Bereich fossiler Brennstoffe dominiert, darunter drei große Ölkonzerne (ExxonMobil, Chevron, TotalEnergies) und drei weitere Unternehmen, die im Öl- und Gassektor tätig sind (Koch, Inc., Honeywell und Baker Hughes). Weitere Mitglieder sind Nyrstar (Mineralien und Metalle, eine Tochtergesellschaft der Trafigura Group), Dow, Inc. (Chemikalien), Enterprise Mobility (Autovermietung) und JPMorgan Chase (Finanzen). Teneo, der Koordinator des Runden Tisches, kann auf eine lange Zusammenarbeit mit Unternehmen aus dem Bereich fossiler Brennstoffe zurückblicken, darunter Chevron, Shell und Trafigura, und wurde von der Regierung Aserbaidschans mit der Öffent-lichkeitsarbeit beauftragt, als das Land Gastgeber der Klimakonferenz COP29 war.
Quelle: SOMO
De Maart

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