Donnerstag30. Oktober 2025

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Interview mit GeophysikerWie ein unterirdisches Labor in Walferdingen zum Verständnis der Welt beigetragen hat

Interview mit Geophysiker / Wie ein unterirdisches Labor in Walferdingen zum Verständnis der Welt beigetragen hat
Der Weg zum Laboratorium führt durch die alten Gipsstollen Foto: MNHNL

Ein Interview mit dem Geophysiker Nicolas d’Oreye, dem Verantwortlichen der Bereiche Geo- und Astrophysik Eric Buttini und dem Direktor des Naturmuseums Patrick Michaely über das unterirdische Labor in Walferdingen.

Tageblatt: Was macht die Gipsmine von Walferdingen so besonders?

Nicolas d’Oreye, Geophysiker
Nicolas d’Oreye, Geophysiker Foto: Editpress/Julien Garroy

Nicolas d’Oreye: Durch die perfekten Bedingungen in der Mine konnten wir eine ganze Reihe von Geräten testen. Ob für russische, chinesische, japanische, isländische, italienische oder amerikanische Instrumente, die Menschen kamen aus der ganzen Welt mit ihren Geräten hierher und damit wurde der Ort zu einem der größten zivilen Geophysiklabore der Welt. Das war sozusagen das goldene Zeitalter. Mit dem Fortschreiten der Erdgezeitenforschung blieb bis heute vor allem die Entwicklung der Instrumente. Um das Jahr 2000 wurde aus dem Labor ein Zentrum für das Vergleichen von Absolutgravimetern errichtet. Davon gibt es etwa nur 50 Stück weltweit. Bei diesen Geräten wird die Fallzeit eines Objekts mithilfe von Lasern und einer Atomuhr im luftleeren Raum gemessen. Da die Messung absolut ist, kann das Instrument nicht per se kalibriert werden. Vielmehr geht es darum, die wenigen Geräte, die es auf der Welt gibt, zusammenzubringen, um sicherzustellen, dass sie alle unter den gleichen Bedingungen dieselben Messwerte erfassen. Es gibt nicht viele Orte, an denen das so gut möglich ist wie in der Gipsmine. Zudem befinden wir uns zentral in Europa, was die Anreise sehr vereinfacht.

Woran genau forschen Sie in der Mine?

N.d.O.: Am Anfang richteten wir Geräte auf, um die Erdgezeiten zu messen. Das Phänomen ist seit der Antike bekannt und beschreibt die Wölbung der Erdkruste unter der Anziehungskraft von Sonne und Mond. Genau wie bei den Ozeanen gibt es Flut und Ebbe, sodass sich die Erdkruste zweimal am Tag um etwa 40 Zentimeter hebt und wieder senkt. Der einzige Unterschied ist, dass man die Veränderungen des Meeres an der Küste sehen kann. Auch wenn 40 Zentimeter viel erscheinen, ist es im Vergleich zum Erdradius von rund 6.400 Kilometern wenig. Um diese Erdgezeiten jedoch präzise messen zu können, müssen ganz bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Am besten geschieht das 100 Meter unter der Erde, wo sich weder die Feuchtigkeit noch die Temperatur sich verändern. Wir haben also verschiedene Geräte aufgestellt, darunter auch Gravimeter, um diese Messungen vorzunehmen. Die Qualität der Messungen in der Gipsmine war so gut, dass wir noch weiter gehen konnten. Wir erfassten Signale, mit denen wir die Zusammensetzung der Erde studieren konnten.

Ein supraleitender Gravimeter in den Tiefen der Gipsmine
Ein supraleitender Gravimeter in den Tiefen der Gipsmine Foto: MNHNL

Worin liegt der Sinn dieser Forschungen?

N.d.O.: Die Navigationssysteme, darunter das GPS im Mobiltelefon, funktionieren deswegen, weil durch die Erstellung eines Dreiecknetzes mit Satelliten die Position des Empfängers bestimmt wird. Für eine präzise Standortbestimmung muss auch die Position der Satelliten klar erfasst werden. Allerdings sind auch die Satelliten der Schwerkraft ausgesetzt. Wenn sich die Masse der Erde aufgrund der Erdgezeiten verändert, kann sich die Flugbahn der Satelliten um mehrere Meter verschieben. Wenn man diese Faktoren nicht berücksichtigt, ist die ganze Navigation verfälscht. Hinzu kommt die Eigenschaft eines Observatoriums. Wir zeichnen die Daten schon sehr lange auf.

Der Mond ist dabei, sich von der Erde zu entfernen. Fällt das bei den Messungen mit den Gravimetern auf?

N.d.O.: Das ist eine gute Frage. Der Mond entfernt sich jedes Jahr um wenige Zentimeter und dafür müsste man die Messungen über einen sehr langen Zeitraum miteinander vergleichen.

Eric Buttini: Über 200 Jahre würde man es vielleicht merken.

Eric Buttini, Leiter der Geophysik und Astrophysik im Naturmuseum
Eric Buttini, Leiter der Geophysik und Astrophysik im Naturmuseum Foto: Editpress/Julien Garroy

Wann wurde mit den Forschungsarbeiten begonnen?

N.d.O.: Die ersten Messgeräte wurden nicht in der Mine, sondern in den Kasematten aufgestellt. Das geschah in den 1960er-Jahren, um ein Profil von der Erde zu erstellen. Weltweit wurden Gravimeter aufgestellt, um die Deformation des Erdglobus zu kartografieren. Das Forschungszentrum befand sich in Brüssel, im „Oberservatoire royal de Belgique“, und der Leiter war Paul Melchior. Die Messbedingungen in den Kasematten waren jedoch aufgrund der Temperaturveränderungen und der Vibrationen unter der Stadt nicht optimal. Man stand also vor der Frage: Entweder man findet einen neuen Standort oder die Messungen müssen beendet werden. Der luxemburgische Ingenieur Jean Flick brachte dann die Gipsmine von Walferdingen ins Spiel. 

Seit wann ist das Naturmuseum für die Gipsminen zuständig?

E.B.: Richtig offiziell wurde es 1988 mit dem Gesetz der Neustrukturierung der Museen. Im selben Jahr entstand der „Accord partiel ouvert sur les risques naturels et technologiques majeurs“ (APO). Dadurch wurden europäische Finanzleistungen in dem Bereich ermöglicht. Um diese zu erhalten, wurde in Luxemburg die Stiftung „Centre européen de géodynamique et de séismologie“ (ECGS) gegründet. Die Stiftung und das Naturmuseum arbeiten seitdem zusammen.

Patrick Michaely, Direktor des Naturmuseums
Patrick Michaely, Direktor des Naturmuseums Foto: Editpress/Julien Garroy

Der Eingang zur Mine ist einsturzgefährdet. Wie zugänglich ist das Labor derzeit?

Patrick Michaely: Es gibt immer wieder kleine Erdrutsche am Eingang, die jedoch keine sehr große Gefahr darstellen. Trotzdem sollte man vorsichtig sein und deshalb wurden viele Kontrollen gemacht, auch von der „Inspection du travail et des mines“ (ITM). Mit der Instandsetzung des Eingangs sind natürlich Kosten verbunden, die derzeit von der „Administration des bâtiments publics“ bewertet werden, wobei diese Verwaltungsstelle sich nicht wirklich dafür zuständig sieht. Jedenfalls laufen derzeit Gespräche, an denen wir nicht mehr beteiligt sind, und dabei steht die Frage im Raum, welche Priorität diese Arbeiten haben.

E.B.: Die ITM hat in einer Studie festgestellt, dass die Deckenstützen in den 70 Metern am Eingang der Mine Mängel aufweisen. Diese wurden zuletzt vor 30 Jahren erneuert. Das Ausmaß der notwendigen Instandsetzungsarbeiten ist noch nicht ganz bekannt. Im Moment gehen nur Personen in die Mine, um die Instrumente im Labor zu warten. Sie müssen Bescheid geben, wenn sie hineingehen und wenn sie herauskommen. Zusätzlich gibt es seit Jahren ein Alarmsystem.

Das Labor in der Gipsmine
Das Labor in der Gipsmine Foto: MNHNL