Mittwoch29. Oktober 2025

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„Decolonise 101“Wie durch eine Eventreihe eine neue Gemeinschaft entstehen soll

„Decolonise 101“ / Wie durch eine Eventreihe eine neue Gemeinschaft entstehen soll
Das Organisationsteam von „Decolonise 101“ begriff die Aktion als Erfolg: Einblicke in das Zeltlager vor dem European Convention Center Luxembourg Mitte Oktober Foto: Natalia Dembowska

Die Kollektive „déi aner“, „Spiral Magazine“ und „Megaphone“ organisieren seit zwei Monaten die Eventreihe „Decolonise 101“ in Luxemburg-Stadt. Über Protestkultur, Kolonialismus und die Rolle von Gemeinschaft.

Am Sonntagabend, dem 19. Oktober, öffnete Gabrielle Antar dem Tageblatt ihr grünes Zelt auf der place de l’Europe auf Kirchberg, vor dem European Convention Center Luxembourg. Am folgenden Tag fand dort der Rat für Auswärtige Angelegenheiten der EU statt, weshalb verschiedene Kollektive – darunter „déi aner“, „Spiral Magazine“ und „Megaphone“ – übers Wochenende ein Zeltlager mit aktivistischen Veranstaltungen organisierten. Das Ziel war es, die einreisenden EU Außenminister*innen anzutreiben, strikte Sanktionen gegen Israel einzuberufen. Antar erklärte: „Diese Zelte und dieses Wochenende sind ein Beweis dafür, dass Decolonise 101 funktioniert.“ Doch was verbirgt sich hinter dieser Eventreihe?

Eine Eventreihe für eine neue Protestkultur

Diskussionsrunde mit Amnesty International Luxemburg über die luxemburgische Protestkultur
Diskussionsrunde mit Amnesty International Luxemburg über die luxemburgische Protestkultur Foto: Jang Kapgen

Ein Filmabend, Kunst-Workshops, Diskussionsrunden und Panels – all diese Veranstaltungen sind Teil der Eventreihe Decolonise 101. Weitere Veranstaltungen sind schon in Planung und werden via Instagram angekündigt (siehe @megaphonelu). Die Kollektive „déi aner“ und „Spiral Magazine“, welche die Events im Rocas bei der Badeanstalt mit organisieren, sind beides Online-Magazine, die hauptsächlich politische Beiträge, die auf „déi aner“ spezifisch über Luxemburg, „Spiral Magazine“ auf europäischer Ebene. Megaphone ist hingegen ein informeller Dachverband von queer-feministischen, antirassistischen und antikapitalistischen Organisationen in Luxemburg, dem beide Web-Magazine angehören.

Zentral geht es Gabrielle Antar, Co-Gründerin von „déi aner“, darum „einen Raum für radikale Konversationen zu schaffen“. Diese Diskussionen, ob nun von Filmen oder Gastvorträgen eingeleitet, handeln meist von luxemburgischer Protestkultur, internationaler Solidarität und direkten Aktionen. So luden die Kollektive im September zu einem Panel zur Thematik „Protestieren in Luxemburg“ ein, in Zusammenarbeit mit Amnesty International Luxemburg. Das kleine Obergeschoss der Bar Rocas, wo die Events wöchentlich oder jede zweite Woche stattfinden, war prall gefüllt. Danach konnten die Teilnehmer*innen im Rahmen eines „Open Decks“-DJ-Abends gemeinsam feiern oder trafen sich ein Stockwerk tiefer am Tresen.

Davor waren wir unzufrieden mit den Protesten [in Luxemburg]. Es fühlte sich an, als würde man in die Leere schreien.

Natalia Dembowska, Co-Organisator*in von Decolonise 101

Natalia Dembowska, Co-Gründer*in von „Spiral Magazine“, war auch im Zeltlager auf der place de l’Europe anzutreffen und gesellte sich im Zelt dazu. Sie stimmte Antar zu, was die Ausrichtung von Decolonise 101 angeht: „Wir waren unzufrieden mit den Protesten [in Luxemburg]. Es fühlte sich an, als würde man in die Leere schreien – deshalb wollten wir uns mobilisieren und Leute zusammenbringen, um radikale Diskussionen zu führen.“ Erneut fällt das Wort „radikal“. Ein Begriff, der verschiedene Interpretationen zulässt. Dembowska erklärte, was sie darunter versteht.

„Radikal“ beschreibe für sie den Willen, die Fundamente unserer Gesellschaft umgestalten zu wollen. Im Gespräch kommt in dem Zusammenhang eine Auseinandersetzung zwischen pro-palästinensischen Protestierenden und dem Luxemburger Außenminister Xavier Bettel (DP) im Oktober auf. Die Protestierenden warfen ihm Untätigkeit gegenüber den Geschehnissen in Palästina vor, während er beim Mittagessen saß. Er verließ daraufhin das Lokal. Die Aktion wurde kritisiert, unter anderem in einem Artikel im Luxemburger Wort. „déi aner“ und „Spiral Magazine“ haben sie hingegen begrüßt. Dembowska erklärt, weshalb: „Manche Menschen sind sich ihrer Privilegien und der Ungerechtigkeiten, die diese Privilegien ermöglichen, nicht bewusst.“ Wenn politische Reaktionen ausblieben, müssten Aktivist*innen eingreifen und Druck machen. Auch wenn das manchmal unbequem sei.

Konkrete Veranstaltungen über abstrakte Konzepte

Zu Besuch bei einem „Decolonize 101“-Vortrag über nicht-gewaltsame, direkte Protestaktionen
Zu Besuch bei einem „Decolonize 101“-Vortrag über nicht-gewaltsame, direkte Protestaktionen Foto: Natalia Dembowska

Um dieses Bewusstsein für Ungerechtigkeiten zu schaffen, entschieden sich die genannten Kollektive für die Eventreihe Decolonise 101. Die Organisation kreativer und kultureller Workshops ist Teil davon, „damit die Teilnehmer*innen große sozialpolitische Konzepte, in denen wir alle leben, besser verstehen“. Das Format der Events variiert. Das luxemburgische Kunstkollektiv Richtung22 hat eine Vorlesung zur Luxemburger Kolonialgeschichte und Amnesty International Luxemburg eine Info-Session zu den Rechten von Protestierenden angeboten. „Nashama in Luxembourg“ wählte einen partizipativen Ansatz und bot einen gemeinschaftlichen Malerei-Workshop an. Vergangenen Freitag organisierten die Kollektive eine Party mit einer Spendenaktion für die Nyota-Yetu-Grundschule, Kongo, wo drei neue Schulsäle dringend benötigt werden. „Wir dürfen nicht vergessen, dass Kongo seit langem kolonialer Gewalt und nach wie vor einem brutalen, anhaltenden Völkermord ausgesetzt ist – einem Völkermord, an dem westliche Regierungen aus dem Wunsch heraus, die riesigen natürlichen Ressourcen des Landes zu kontrollieren, weiterhin mitschuldig sind“, schreibt das Organisationsteam erklärend dazu auf seinem Instagram-Account.

Obwohl manche Veranstaltungen vielleicht keinen offensichtlich dekolonialen Ansatz haben, zieht sich dieser Gedanke durch die Eventreihe: Während europäische und nordamerikanische Nationen dezentralisiert werden, treten das Wissen und die Erfahrungen von Völkern aus anderen Regionen sowie von marginalisierten Gruppen stärker in den Vordergrund. Manchmal kommen nur ein paar Menschen, manchmal bis zu 30 Personen zu den Events. Antar betonte gegenüber dem Tageblatt: „Es geht darum, eine Community zu erschaffen und Wissen zu teilen.“

Eine dekoloniale Zukunft?

Es geht nicht nur um Palästina. Was in Palästina passiert, passiert – in anderen Formen – auch im Sudan, im Kongo und auch in der Ukraine.

Gabrielle Antar, Co-Organisatorin von „Decolonise 101“

Zeltlager mit aktivistischen Veranstaltungen auf der place de l’Europe, Kirchberg
Zeltlager mit aktivistischen Veranstaltungen auf der place de l’Europe, Kirchberg Foto: Natalia Dembowska

„Wir wollen die Menschen besser kennenlernen, die mit uns auf Protesten sind. Und man sieht schon, dass viele der Personen, denen wir während Decolonise 101 begegnet sind, heute auch hier im Zeltlager an Aktivitäten teilgenommen haben“, sagte sie und wies darauf hin, dass Decolonise 101 vor allem für diejenigen gedacht ist, die sich engagieren wollen, aber noch nicht wissen, wie. Die Aktivistin unterstrich auch: „Es geht nicht nur um Palästina. Was in Palästina passiert, passiert – in anderen Formen – auch im Sudan, im Kongo und auch in der Ukraine.“

Am Ende unseres Gesprächs blickte Antar über das Zeltlager. „Dies ist ein gutes Beispiel dafür, was wir erreichen wollen: Menschen mit den verschiedensten Hintergründen und von unterschiedlichen Organisationen miteinander verbinden.“