Donnerstag6. November 2025

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LuxemburgWie die „Stroossenenglen“ Hilfe direkt zu den Menschen bringen

Luxemburg / Wie die „Stroossenenglen“ Hilfe direkt zu den Menschen bringen
Luc, Carole und René Foto: Carole Theisen

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In einem der reichsten Länder Europas bleibt Armut oft unsichtbar: Die „Stroossenenglen“ setzen mit kreativen Lösungen, starken Partnerschaften und unermüdlichem Einsatz alles daran, denen zu helfen, die von der Gesellschaft vergessen wurden.

Donnerstagabend, kurz nach 18 Uhr. Am Hintereingang der Bonneweger Kirche bildet sich langsam eine Schlange. Die Dunkelheit ist bereits hereingebrochen und die Kälte beißt, aber die Menschen warten geduldig. Sie warten auf den Lieferwagen der „Stroossenenglen ASBL“ mit einer großen Auswahl an Lebensmitteln – Obst, Gemüse, Sandwiches, Kuchen, Schokolade … Jede Person hier hat eine Geschichte. Jede Geschichte erzählt von Verlust und Überlebenswillen.

Wir machen das nicht für uns. Wir machen es für die Menschen da draußen, die oft vergessen werden. Und es gibt noch so viel zu tun.
Fast oder erst kürzlich abgelaufene Lebensmittel werden an den Verein abgegeben
Fast oder erst kürzlich abgelaufene Lebensmittel werden an den Verein abgegeben Foto: Carole Theisen

Vor sieben Jahren hat Präsident und Gründer Luc Lauer die „Stroossenenglen“ als gemeinnützigen Verein gegründet, um Menschen zu helfen, die auf der Straße leben oder in akuter Not sind. „Wir haben mit einer einfachen Baustellenhütte und ein paar Freiwilligen angefangen. Heute fahren wir mit fünf Transportern und verteilen Lebensmittel, Kleidung und Möbel. Alles, was gebraucht wird, wird organisiert, gesammelt und weitergegeben“, erklärt Luc Lauer. „Wenn eine Familie ein Sofa braucht, machen wir einen Aufruf in der Gemeinschaft. Aber wir müssen sicherstellen, dass wir keinen Schrott bekommen. Wir sind kein Recyclinghof.“ Heute ist der Verein eine dynamische Organisation, die auf die Unterstützung von 40 Freiwilligen zählen kann.

Ein wichtiger Bestandteil der Arbeit sind die Konventionen mit Tankstellen und Supermärkten, die fast oder kürzlich abgelaufene Lebensmittel kostenlos an die Organisation abgeben. Mittlerweile hat der Verein Absprachen mit rund 30 Tankstellen und zahlreichen Supermärkten in Luxemburg getroffen.

„Die Betriebe sind froh, dass sie diese Produkte nicht wegwerfen müssen. Für sie bedeutet es weniger Aufwand bei der Entsorgung und gleichzeitig helfen sie, Bedürftigen eine wichtige Unterstützung zu bieten“, erklärt Luc Lauer. Die Inspiration für das Projekt kommt aus seiner Kindheit. „Ich wurde adoptiert und hatte Eltern, die sich stark sozial engagierten. Sie haben immer geholfen, wenn sie gebraucht wurden. Das hat mich geprägt“, sagt Lauer.

Eine Mission, eine Leidenschaft

Die „Stroossenenglen“ arbeiten ohne Unterbrechung. „Wir fahren von Montag bis Sonntag. Feiertage? Die Armut kennt keine Feiertage“, sagt Luc. „Wir sind sowohl in der Hauptstadt als auch im Minett unterwegs, von Petingen bis Roeser.“ Die Fahrer und Freiwilligen haben eine beeindruckend effiziente Logistik aufgebaut, um so viele Menschen wie möglich zu erreichen.

Denn die Zahlen sind alarmierend: „Als wir angefangen haben, waren es 100 Obdachlose. Heute sind es über 300 Menschen, und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Auch Familien und Alleinerziehende sind immer häufiger betroffen.“

Carole, eine der Freiwilligen, erklärt, warum sie sich engagiert: „Ich finde es traurig, dass es in einem so reichen Land wie Luxemburg überhaupt so viel Armut gibt. Selbst meine 16-jährige Tochter macht mit, weil sie es so wichtig findet.“

Luc Lauer fügt hinzu: „Viele unserer Helfer jonglieren ihre freiwillige Arbeit mit einem Beruf. Wir sind wie eine große Familie: Wenn ich abends nicht mehr kann, rufe ich René an. Er arbeitet bis spät in die Nacht. Gemeinsam schaffen wir es.“

Liubava fand bei den Stroossenenglen Unterstützung für einen Neuanfang
Liubava fand bei den Stroossenenglen Unterstützung für einen Neuanfang Foto: Carole Theisen

Ein berührendes Beispiel für die Arbeit der „Stroossenenglen“ ist die Geschichte von Liubava, einer jungen Mutter aus der Ukraine, die vor dem Krieg nach Luxemburg geflüchtet ist. Mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Sohn, der hier geboren wurde, lebt sie in einer Sozialwohnung. „Wir haben Licht und ein warmes Zimmer – das ist im Moment wichtig. Wir bekommen nur eine kleine Sozialhilfe, die gerade für das Essen reicht. Deshalb ist jede Hilfe unglaublich wichtig für uns“, erklärt sie. Besonders die Unterstützung durch die „Stroossenenglen“ habe ihr geholfen, in Luxemburg Fuß zu fassen.

Anis, ein junger Algerier, hat eine andere Geschichte. „Ich kam als Student hierher. Doch als ich meine Studienrichtung wechselte, wurde mein Aufenthaltstitel nicht verlängert. Jetzt bin ich in einem Teufelskreis, ohne Papiere, ohne Arbeit“, erklärt er. Seine Talente – er spricht vier Sprachen – bleiben ungenutzt, während er auf eine Entscheidung der Behörden wartet.

Dann ist da Stanislas, der auf der Straße lebt. „Ich habe kein Problem mit Hunger, sondern mit der Kälte. In den Unterkünften ist es zu gefährlich, deshalb schlafe ich allein auf der Straße“, sagt er. Seine Hoffnung liegt in der Zukunft: „Wenn der Sommer kommt, finde ich vielleicht eine Arbeit in der Landwirtschaft.“

Hoffnungsvolle Zukunftsperspektiven

Für die Zukunft haben die „Stroossenenglen“ große Pläne. Sie wollen ihr Engagement auf das gesamte Land ausweiten und auch in ländlichen Regionen im Norden und Osten Luxemburgs aktiv werden. Doch ohne festes Personal bleibt es schwierig. Die Freiwilligen, die jeden Tag alles geben, stoßen an ihre Grenzen. „Wir brauchen eine Perspektive, um zeitlich und finanziell abgesichert zu sein. Deshalb sind wir auf Partner und Sponsoren angewiesen“, erklärt Luc Lauer.

Die jährlichen Ausgaben liegen bei rund 100.000 Euro. Diesel, Fahrzeugwartung, Versicherungen und die täglichen Betriebskosten machen es fast unmöglich, ohne private Spenden auszukommen.

Der Verein unterstützt Menschen, die von der Gesellschaft vergessen wurden
Der Verein unterstützt Menschen, die von der Gesellschaft vergessen wurden Foto: Carole Theisen

Eine besondere Spende, die den Freiwilligen enorm geholfen hat, ist die „Fausti-Camionnette“. Nach dem Tod des berühmten luxemburgischen Musikers spendete seine Familie den Wagen dem Verein. Luc Lauer verkaufte das Fahrzeug später zu einem sozialen Preis an eine alleinerziehende Mutter und legte selbst Geld dazu, um einen dringend benötigten Kühlwagen für die „Stroossenenglen“ zu finanzieren. Dieser neue Wagen trägt heute Faustis Gesicht und ermöglicht es, Lebensmittel sicher an Bedürftige zu verteilen.

Die Straßenengel haben bisher keine nennenswerte staatliche Unterstützung erhalten. „Wir haben vor ein paar Jahren einmalig 2.000 Euro vom Familienministerium bekommen und wurden seither jedes Mal abgelehnt. Wenn das Ministerium uns nur einen regelmäßigen Beitrag geben würde, könnten wir zwei feste Mitarbeiter einstellen. Das würde uns ermöglichen, noch mehr Menschen zu erreichen und eine stabilere Struktur aufzubauen. Wir verlangen nicht viel. Wir brauchen keine Sozialarbeiter, sondern Menschen, die anpacken und guten Willen zeigen“, erklärt Lauer und fügt noch hinzu: „Wir machen das nicht für uns. Wir machen es für die Menschen da draußen, die oft vergessen werden. Und es gibt noch so viel zu tun.“