Jens Spahn, in die Schusslinie geratener Fraktionschef der Union, versuchte am Montagabend den Befreiungsschlag. In einem Schreiben an seine Abgeordneten gab er zu, dass der letzte Freitag, das Scheitern der Wahl neuer Richter für das Bundesverfassungsgericht im Bundestag, ein schwerer Tag für die Koalition gewesen sei. „Die Dimension der grundlegenden und inhaltlich fundierten Bedenken gegen eine der Kandidatinnen haben wir unterschätzt“, so Spahn. Er schrieb „wir“, nicht ich.
Hinter den Kulissen wabern aber weiter die Gerüchte und Spekulationen, nicht nur, ob Spahn womöglich mit seiner neuen Aufgabe, als Fraktionschef Mehrheiten für den Kanzler zu sichern und die Koalition zusammenzuhalten, überfordert ist. Denn vor allem Spahn hatte den Widerstand gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf in den eigenen Reihen unterschätzt. Getuschelt wird nun auch darüber, was sich hinter dem Vorgang eventuell noch verbergen könnte. Womit mal wieder die AfD ins Spiel kommt.
Angestachelt worden war der Unmut über die SPD-Kandidatin von rechten Medien. Selbst Unionsleute geben inzwischen zu, dass viele der Protestmails, die sie gegen Brosius-Gersdorf erreicht hätten, organisiert oder sogar gefakt gewesen seien. „Wir sind da auch einer Kampagne hinterhergerannt“, so ein CDU-Mann reumütig. Oder anders: Man hat die AfD unterstützt, die gegen die renommierte Potsdamer Juristin Stimmung gemacht hatte.
Wir sind da auch einer Kampagne hinterhergerannt
Zufall? Führende Unionspolitiker nennen es „Verschwörungstheorie“, wenn man in den Vorgang so etwas wie eine weitere Lockerungsübung zu den Rechten hineininterpretiert. Doch solche Fragen werden nun auch gestellt. Spahn eilt da ein gewisser Ruf voraus, nachdem er zum Anfang der Legislaturperiode angemerkt hatte, man müsse mit der AfD im Parlament umgehen wie mit anderen Oppositionsparteien. Gleichwohl wird in Unionskreisen betont, das Debakel bei der Richterwahl sei schlichtweg auf „handwerkliche Fehler“ des Fraktionschefs zurückzuführen – deshalb müsse auch er jetzt eine Lösung des Problems finden.
Die AfD will die Koalition spalten
Dass freilich in der Union die Abgrenzung zur AfD, die Brandmauer immer mal wieder bröckelt, steht außer Frage. Gerade im Osten, und gerade unter anti-liberalen Konservativen wird nach rechts geschaut. Der Druck in der Union dürfte größer werden, je mehr Zugeständnisse man noch an die SPD macht und je mehr Wahlversprechen man noch bricht. Hinzu kommt noch etwas anderes: Die AfD arbeitet nach Kräften daran, die Koalition zu spalten.
Ein Beispiel: Bei der Befragung des Kanzlers in der vergangenen Woche im Bundestag fragte die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch Friedrich Merz, ob dieser es mit seinem Gewissen vereinbaren könne, Brosius-Gersdorf für das Amt einer Richterin am Bundesverfassungsgericht zu wählen, „wissend, dass vermutlich diese Dame in Kürze über die Abschaffung des Paragrafen 218 StGB abstimmen wird“. Merz sagte „Ja.“ Obwohl das Thema innerhalb der Union für den größten Unmut gesorgt hatte. Dem Tageblatt sagte von Storch, erst das habe „zum entscheidenden Aufstand der Anständigen geführt und schließlich dann dazu, dass die christliche Basis, das werteorientierte Bürgertum, die Bischöfe und die CDU-Abgeordneten, denen das C noch etwas bedeuteten, nicht mehr länger schweigen konnten“. Das Kalkül der AfD ging auf.
Debatte gegen die Linke polarisieren
Ziel der Rechtspopulisten bleibt der Fall der Brandmauer, weil die AfD nur dann regieren kann, wenn die Union zu einer Koalition mit ihr bereit ist. Von Storch, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende ist, hatte für die Fraktionsklausur vor eineinhalb Wochen Ideen und Vorschläge zu einem Strategieprozess erarbeitet, um den „Weg in die Regierungsverantwortung“ zu ebnen. Demnach fällt die Brandmauer unter anderem dann, wenn „lagerübergreifende Koalitionen nicht mehr möglich sind, weil der Graben zwischen Union und den linken Parteien nicht mehr überbrückt werden kann“.
Die AfD habe „zwei Wege, diesen Graben zu vergrößern“, heißt es in dem sechsseitigen Dokument, das dem Tageblatt vorliegt. Zum einen die „Polarisierung der Debatte“ gegen die Linke, zum anderen „politischer Druck auf die Union“. Ziel sei eine Situation, „in der der politische Graben nicht mehr zwischen der AfD und den anderen politischen Strömungen verläuft, sondern sich ein bürgerlich-konservatives Lager und ein sich radikalisierendes linkes Lager gegenüberstehen, vergleichbar mit der Situation in den USA“. Der Streit um die Richterwahl erinnerte bereits an amerikanische Verhältnisse.
Spahn ist bei dieser ganzen Strategie ein zwiespältiger Kandidat. Zum einen ist er wegen seiner Maßnahmen als Gesundheitsminister in der Corona-Pandemie an der AfD-Basis äußerst unbeliebt. Zum anderen gehört er aber zu jenen Unionspolitikern, die sich halt schon für einen anderen Umgang mit den Rechten ausgesprochen haben. Nichtsdestotrotz, auf ihn bauen auch manche in der AfD.
De Maart
Dass eine Nummer wie Spahn,nach der Covid-Affäre überhaupt noch solche Posten bekleiden kann,ist doch erstaunlich. Aber Baerbock ist ja auch die Treppe raufgefallen.