Europa-Pathos weht durch die voll besetzen Reihen der Saarbrücker Kongresshalle, als Anke Rehlinger den Geist eines Pioniers des europäischen Projekts beschwört. „Was für die Generation von Robert Schuman Kohle und Stahl war, sind für uns erneuerbare Energien und Wasserstoff.“ Die saarländische Ministerpräsidentin eröffnet an diesem Maimittwoch den Handelsblatt-Wasserstoff-Gipfel 2025 – und hat große Pläne. So wie Schuman in seiner berühmten Erklärung vor 75 Jahren die CECA ins Leben rief, brauche es heute ein ähnlich ambitioniertes Projekt, sagt Rehlinger. „Wir brauchen die europäische Wasserstoffunion.“ Wenn es nach der SPD-Politikerin geht, steht die Großregion heute vor einem ähnlichen Schlüsselmoment wie vor 75 Jahren. Wenn man sich an diesen Tagen auf dem Gipfeltreffen der Wasserstoffbranche umhört, dann hoffen nicht wenige auf einen zweiten historischen Moment. Bis 2050 will die EU klimaneutral werden, die Mobilität soll grün werden, die Industrie dekarbonisiert. Ohne Wasserstoff als Treibstoff, Energieträger und Speichermedium wird das nicht funktionieren.

Die Großregion nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein. Mit einem Projekt namens „mosaHYc“, kurz für „Moselle-Saar-Hydrogen-Conversion“, eine Kooperation von Netzbetreiber Creos in Luxemburg und Deutschland sowie dem französischen Gegenpart NaTran. 90 Kilometer Wasserstoff-Leitungen zwischen Völklingen, Dillingen, St. Avold und Bouzonville, bis hoch nach Perl. 90 Kilometer, um Wasserstoff zwischen Produzenten und Verbrauchern zu transportieren. Ein Pionierprojekt, der Grundstein für ein grenzüberschreitendes europäisches Wasserstoffnetz. Geplante Inbetriebnahme: 2027. „Wir sind im Zeitplan“, sagt Laurence Zenner, Direktorin von Creos Luxembourg, auf der Bühne des Wasserstoff-Gipfels. Knapp die Hälfte der Infrastruktur verläuft in Frankreich. Dort müssten kaum neue Rohre verlegt werden, man könne zu mehr als 80 Prozent bereits bestehende Leitungen nutzen, ergänzt Sandrine Meunier, Direktorin von NaTran. Auf deutscher Seite hingegen muss neu gebaut werden. Auch, um „mosaHYc“ an das deutsche Wasserstoffkernnetz anzubinden. Dafür erteilte die Bundesnetzagentur Ende vergangenen Jahres die Genehmigung.
Ein wichtiger Schritt, denn ohne Anbindung sind auch einem grenzüberschreitenden Netzwerk Grenzen gesetzt. „Wir denken weiter“, sagt Zenner. Im vergangenen Jahr haben die Netzbetreiber Creos Luxembourg, Fluxys Hydrogen aus Belgien und GRTgaz aus Frankreich das Projekt „HY4Link“ gestartet, um „mosaHYc“ nach Norden und Süden an europäische Infrastruktur anzubinden. Zwischen 2030 und 2035 soll ein 230 Kilometer langes Netzwerk entstehen, das Verbindungen herstellt zu den Häfen von Rotterdam, Seebrügge, Antwerpen und Dünkirchen, wo Wasserstoff importiert wird, aber auch zu Offshore-Windparks im Norden und Solarparks im Süden, wo erneuerbare Energie produziert wird und gespeichert werden muss.
Resilienz und Souveränität
Wenn es um den Ausbau von europäischer Infrastruktur geht, liegen die Hoffnungen beim Wasserstoff-Gipfel in Saarbrücken auf der neuen deutschen Bundesregierung. Die hat in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, die nationalen Energiemärkte stärker vernetzen zu wollen und die Entwicklung und Genehmigung „gemeinsamer, grenzüberschreitender Energienetze einschließlich Wasserstoff“ voranzutreiben. „Wir brauchen eine echte Energieunion“, heißt es in dem Papier von Union und SPD. Jene Energieunion, die 2014 vom damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker initiiert wurde, um die Energiepolitik Europas zu reformieren. Was damals unter dem Eindruck der russischen Annexion der Krim entstand, hat heute, im vierten Jahr des Krieges in der Ukraine, nur an Dringlichkeit gewonnen. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass auf dem Gipfeltreffen immer wieder von Wasserstoff als Garant der Resilienz und Souveränität Europas die Rede ist.
Im Großherzogtum ist man dabei, eigene Projekt in Sachen Souveränität zu starten: Wasserstoff made in Luxembourg. In den kommenden Jahren soll das Pilotprojekt „Luxembourg Hydrogen Valley“ (LuxHyVal), getragen von Enovos, in Niederkerschen grünen Wasserstoff herstellen – mit einer vollständigen Wertschöpfungskette von der Produktion von Wind- und Solarenergie über einen Elektrolyseur bis hin zum industriellen Nutzen. Der Staat unterstützt LuxHyVal und ein zweites Projekt zur Speicherung von erneuerbarer Energie in Wasserstoff auf der „Energiewiss“ der Gemeinde Kehlen mit insgesamt 47 Millionen Euro. Die luxemburgische Industrie verbraucht jedes Jahr etwa 450 Tonnen Wasserstoff. Zusammen sollen die beiden Projekte etwa 500 Tonnen pro Jahr produzieren. Wasserstoff wird hierzulande jedoch nicht nur in der Schwerindustrie benötigt. Auch der Transportsektor setzt vermehrt auf Wasserstoff als Treibstoff. Auch wenn die Industrie direkt von LuxHyVal profitieren könnte, verstehen seine Macher es in erster Linie als Forschungs- und Entwicklungsprojekt. In Sachen Wasserstoffversorgung wird Luxemburg Importland bleiben.

Um das zu ermöglichen will „HY4Link“ das Großherzogtum in zwei Phasen an das europäische Wasserstoffnetz anschließen. Im ersten Schritt soll Infrastruktur entstehen, die „mosaHYc“ über Thionville mit Frisingen verbindet. Damit könnten die Industriezentren rund um Esch und Differdingen mit Wasserstoff versorgt werden. Ebenfalls geplant ist eine lokale Infrastruktur von Frisingen nach Käerjeng, die Verbindung zu LuxHyVal. In einer zweiten Phase soll „HY4Link“ nach Norden und Süden verlängert werden, um in Belgien und Frankreich auf europäische Pipelines zu stoßen.
Angebot versus Nachfrage
Über allem schwebt jedoch die Frage nach den Kosten des Netzausbaus. Wer übernimmt die Garantie, dass diese Infrastruktur tatsächlich gebraucht wird? Noch ist die Nachfrage nach Wasserstoff nicht groß. „Das Risiko muss gemeinschaftlich getragen werden“, sagt Laurence Zenner vom Netzbetreiber Creos, das gehe nicht ohne öffentliche Gelder. Auf dem Gipfel begrüßt sie die Idee des deutschen Wasserstoffkernnetzes. Dieses stellt, einfach gesagt, durch sein Finanzierungsmodell (privatwirtschaftlich, mit staatlichen Darlehen) eine finanzielle Absicherung dar. So sollen Leitungen errichtet werden können, selbst wenn die Auslastung der Infrastruktur zu Beginn noch gering ist.
Noch gibt es nicht viele Abnehmer. Die saarländische Stahlindustrie hat sich festgelegt. In den kommenden Jahren wird der Umstieg auf Elektrohochhöfen und die Produktion von grünem Stahl realisiert. Wie viel Wasserstoff die Produktion brauchen wird, wie viel Wasserstoff ihr zur Verfügung stehen wird, das ist, Stand heute, ungewiss. Allgemein gilt: Noch ist Erdgas wesentlich günstiger als Wasserstoff. Doch das könnte sich in Zukunft ändern – mit dem nötigen politischen Willen. Je teurer die CO₂-Zertifikate werden und je stärker die Wasserstoffpreise auf europäischer Ebene gefördert werden, desto größer wird die Nachfrage nach Wasserstoff und einem leistungsfähigen Netz werden.
Farbenlehre
Grüner Wasserstoff wird durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt. Dafür wird Strom aus erneuerbaren Energiequellen verwendet. Es entstehen keine CO₂-Emissionen.
Grauer Wasserstoff wird mittels Dampfreformierung meist aus fossilem Erdgas hergestellt. Dabei entstehen rund zehn Tonnen CO₂ pro Tonne Wasserstoff.
Blauer Wasserstoff ist Grauer Wasserstoff, bei dessen Entstehung das CO₂ jedoch teilweise abgeschieden und im Erdboden gespeichert wird.
Türkiser Wasserstoff ist Wasserstoff, der über die thermische Spaltung von Methan (Methanpyrolyse) hergestellt wird. Anstelle von CO₂ entsteht dabei fester Kohlenstoff, der entsprechend nicht in die Atmosphäre entweicht. Das Verfahren der Methanpyrolyse befindet sich derzeit noch in der Entwicklung.
Gerade, so die einhellige Meinung auf dem Wasserstoff-Gipfel, hat man in der Branche jedoch eher das Gefühl, die EU versuche die Entwicklung des Wasserstoffhochlaufs zu torpedieren. In den vergangenen Tagen machte ein Entwurf zu einer Delegierten Rechtsakte der EU-Kommission die Runde. Dort wird definiert, wie viele CO₂-Emissionen Wasserstoff maximal verursachen darf, um noch als „kohlenstoffarm“ zu gelten. Unternehmer und Politiker befürchten auf dem Wasserstoff-Gipfel gleichermaßen, dass sich unter diesen strengen Vorgaben die Wasserstoff-Technologie nicht werde durchsetzen können. Von „De-facto-Verboten“ von grauem und blauem Wasserstoff ist die Rede.
Auch die saarländische Ministerpräsidentin warnt vor Perfektionismus im Umgang mit den „Wasserstofffarben“ und wirbt für mehr Pragmatismus. „Wir brauchen Mengen an Wasserstoff, die allein erneuerbare Energien zu Beginn noch nicht hergeben werden.“ Wer jetzt die Anforderungen zu hoch schraube, hemme die Entwicklung in der EU. Auf dieser Linie liegt auch die neue deutsche Bundesregierung. „Im Hochlauf müssen wir alle Farben nutzen“, heißt es im Koalitionsvertrag von Union und SPD.
De Maart

Wasserstoff selber herstellen mit Photovoltaik funktioniert. Wirtschaftlicher als Batterien zu speisen? Wenn ich Platz und Geld hätte würde ich es versuchen. In Deutschland gibt es schon einige Pilotanlagen in Privathaushalten die sehr vielversprechende Resultate hergeben.
Wenn es überall H2 Tanken gäbe, würde ich es machen wie der Guy aus Kehlen!
Total Energies ist unverschämt, bezahlt man an deren Tanken die CO2 Steuer mit?
Preis / kg müsste unter 10 € bleiben.
Die Nachfrage wird kommen.Nämlich dann wenn wir mit unserer Solar-Windproduktion an die Grenzen stoßen und wir merken dass es nie langen wird .Allein der Verkehr wird auf Wasserstoff angewiesen sein.
Laster und schwere Maschinen werden niemals mit Batterieantrieb laufen.Und der Pkw-Betrieb wartet doch nur auf den Wasserstoff.Jeder sollte sich fragen was er kaufen würde wenn es auch ein H-Netz gäbe wie heuer die Tankstellen. Und wenn ITER einmal in Betrieb geht dann werden die Solarzellen marginal. Also EU. Diesmal auf der richtigen Seite bitte.