Mittwoch22. Oktober 2025

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Neu eingeführtWie der Luxemburger Verband und die Leichtathletinnen mit den Geschlechtstests umgehen

Neu eingeführt / Wie der Luxemburger Verband und die Leichtathletinnen mit den Geschlechtstests umgehen
Leichtathletinnen müssen sich ab dem 1. September einem Geschlechtstest unterziehen, um bei internationalen Wettbewerben in der Frauen-Klasse starten zu können Foto: dpa/Sven Hoppe

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Mit einer kurzfristig eingeführten Gentest-Pflicht will World Athletics Fairness in der Frauen-Leichtathletik sichern. Eine Entscheidung, die wenige Wochen vor der Weltmeisterschaft in Tokio für Wirbel sorgt. So gehen der luxemburgische Verband und seine WM-Teilnehmerinnen mit der Einführung um.

Ab dem 1. September müssen Leichtathletinnen weltweit einen einmaligen Nachweis ihres biologischen Geschlechts erbringen, um bei internationalen Wettbewerben in der Frauen-Klasse antreten zu dürfen. Die neue Vorschrift greift damit bereits bei den vom 13. bis 21. September stattfindenden Weltmeisterschaften in Tokio. Der vom Weltverband World Athletics (WA) vorgesehene SRY-Test untersucht, ob das SRY-Gen vorhanden ist, welches Teil des Y-Chromosoms ist und die Entwicklung männlicher Merkmale bewirkt.

Laut WA gilt dieses Gen als „zuverlässiger Indikator für das biologische Geschlecht“. Der Nachweis erfolgt per Wangenabstrich oder Blutprobe. WA-Präsident Sebastian Coe hatte die Entscheidung mit dem Schutz des Frauensports und der Wahrung fairer Wettbewerbsbedingungen begründet. Coe argumentiert, dass Frauen mit einem SRY-Gen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz haben. 

„Unsere Philosophie bei World Athletics ist der Schutz und die Wahrung der Integrität des Frauensports“, begründete Coe die Maßnahme und fügte hinzu: „Wir sagen: Auf Eliteebene darf man nur dann in der Frauenkategorie antreten, wenn man biologisch weiblich ist.“ Zeit für Aufklärungsarbeit nach der Einführung der SRY-Tests blieb kaum. Die Bekanntgabe erfolgte am 30. Juli – rund sechs Wochen vor WM-Start. Um an der WM teilnahmeberechtigt zu sein, mussten die Tests schnell durchgeführt werden.

Gleiche Chancen

Beim luxemburgischen Verband FLA erfuhr man in einem Infoschreiben von World Athletics „überraschend“ von den neuen obligatorischen Gentests. „Wir wussten, dass sich World Athletics schon lange mit dem Thema beschäftigt, aber, nicht, dass diese Tests jetzt sofort kommen“, erklärt FLA-Generaldirektor Jean-Sébastien Dauch. „Wir sind das Ganze dann erst einmal pragmatisch angegangen. Ob man jetzt mit der Entscheidung von WA einverstanden ist oder nicht, die Tests mussten vor der Frist gemacht werden, damit unsere Athletinnen an der WM teilnehmen können. Deswegen haben wir sofort nach einem Labor in Luxemburg gesucht, das diese Tests durchführen kann.“

In einer ersten Phase organisierte die FLA die Tests für vier ihrer Athletinnen, die zum damaligen Zeitpunkt auf der Longlist für eine mögliche WM-Qualifikation standen. Unter ihnen Patrizia Van der Weken und Vera Bertemes-Hoffmann, die sich beide für die Weltmeisterschaft qualifiziert haben.

Patrizia Van der Weken
Patrizia Van der Weken Foto: Editpress/Luis Mangorrinha

Beide Athletinnen können nachvollziehen, warum die Tests eingeführt wurden. „Man kann darüber streiten, ob das zu weit in die Privatsphäre eingreift oder nicht. Ich persönlich finde das nicht. Das Laufen ist unser Job. Wenn einzelne Läuferinnen dann einen Vorteil haben, den andere nicht haben, ist das blöd. Beim Doping will man sich ja auch versichern, dass alle clean sind“, sagt etwa Van der Weken. „Es ist eine Blutanalyse, ich finde das nicht dramatisch. Für Betroffene ist es natürlich eine blöde Sache. Aber jeder will die gleichen Chancen haben.“ 

Kurzfristige Einführung als Kritikpunkt

Ähnlich schätzt auch Bertemes-Hoffmann die Situation ein. Sie bemängelt allerdings die kurzfristige Einführung der Tests. „Ich denke nicht, dass prozentual viele Athletinnen davon betroffen sein werden – aber etwas, das einen solch großen Impakt haben kann, sollte vielleicht nicht so kurzfristig umgesetzt werden. Wenn man das ganze Jahr auf die WM hinarbeitet und dann einen Monat davor herausfindet, dass man wegen der Genetik nicht starten darf, ist das ziemlich krass.“ Es ist nämlich durchaus möglich, dass eine Frau unwissentlich ein SRY-Gen in sich trägt.

Die Einführung der Tests selbst kann Bertemes-Hoffmann aber nachvollziehen. „Es ist im Sinne des Sports, dass alles so fair wie möglich läuft.“ „Im Sport trennt man nun mal klar zwischen Frau und Mann – und wenn man bei den Frauen mitläuft und genetisch anders aufgestellt ist, hat man schon einen Vorteil“, so die 28-Jährige. „All die Sachen – auch bei den Dopingkontrollen nimmt man jemanden mit auf die Toilette – greifen enorm in die Privatsphäre ein. Man gibt sehr viel von sich preis. Man muss das alles natürlich nicht machen, aber wenn man Sport auf diesem hohen Niveau betreiben will, gehört es dazu.“

Vera Bertemes-Hoffmann
Vera Bertemes-Hoffmann Foto: Editpress/Luis Mangorrinha

Während bei der FLA vor der anstehenden Weltmeisterschaft nur vier Athletinnen getestet werden mussten, stellte die Kurzfristigkeit die größeren nationalen Verbände aus dem Ausland vor Herausforderungen. Französische Sportlerinnen mussten nach Wettkämpfen und Trainingslagern außerhalb ihres Landes suchen, um die einmaligen Tests zu absolvieren, weil das Gesundheitsministerium und das Sportministerium diese in Frankreich für illegal erklärt haben. In Kanada wurden derweil in einer ersten Phase Tests im Rahmen der nationalen Meisterschaften Anfang August durchgeführt – die, wie sich herausstellte, aber nicht den Anforderungen von World Athletics entsprachen, sodass die Tests vor Ablauf der Frist wiederholt werden mussten.

600 Euro pro Test

„Im Infoschreiben war sehr klar, was genau gemacht werden muss“, sagt Dauch. „Wir wollten da auch kein Risiko eingehen und haben genau das getan, was verlangt wird.“ Die zuverlässigen Tests, die WA verlangt, bringen allerdings auch hohe Kosten mit sich. Die FLA musste 600 Euro pro Athletin zahlen. „Wenn wir mittelfristig alle unsere Athletinnen testen müssen, wird da einiges zusammenkommen“, so Dauch.

Die benötigen Ressourcen für die Durchführung der Tests stoßen auch im Ausland auf Kritik. Die deutsche Tokio-Olympiasiegerin Malaika Mihambo vermisst die Verhältnismäßigkeit. „Ich sehe diese Maßnahme sehr kritisch“, sagte sie. „Für ein sehr kleines Problem werden enorme Ressourcen aufgewendet, während die wirklich drängenden Themen – Doping, Missbrauch, Gewalt im Sport – weiter bestehen.“ Die deutsche Bioethikerin Katrina Karkazis geht davon aus, dass es weltweit nur eine sehr kleine Zahl von Athletinnen mit DSD (Abweichungen in der sexuellen Entwicklung) gibt, wie sie in einem Interview mit der FAZ erklärt. „Ich denke, weltweit werden es höchstens 20 sein.“ Die Maßnahme von WA erfordert allerdings einen enormen Aufwand.

Mihambo bezweifelt zudem, dass durch den Test die entscheidenden Fragen gelöst werden. „Ein einzelner Gentest klingt nach einer klaren Lösung, ist aber wissenschaftlich verkürzt und blendet aus, dass Geschlecht kein simples Entweder-oder ist.“

„Meinungen gehen weit auseinander“

„Die Meinungen gehen weit auseinander“, sagt Dauch. „Man kann einerseits sagen, dass der Sport von Natur aus unfair ist und es dazugehört, dass einige Athletinnen einfach begabter sind als andere. Andererseits kann man aber auch sagen, dass es sich um eine Anomalie handelt, wodurch vereinzelte Athletinnen bevorteilt werden. Wir wollen alle einen fairen Wettkampf. Für uns ist es wichtig, dass unsere Sportlerinnen die Tests als nicht dramatisch empfunden haben.“

Ausgangspunkt für die Einführung der Gentests ist unter anderem der Fall der zweimaligen Olympiasiegerin Caster Semenya, die als Person mit DSD eingestuft wurde. World Athletics hatte gefordert, dass sie ihren Testosteronspiegel durch Medikamente künstlich senkt, um an internationalen Wettkämpfen teilnehmen zu können. Die Südafrikanerin war gegen die umstrittene Testosteron-Regel juristisch bis vor den Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gegangen, hatte in der letzten Instanz Mitte Juli aber nur teilweise recht bekommen. Direkte Auswirkungen auf die Testosteron-Regel hatte dies nicht. Mit der Einführung der SRY-Tests verschiebt sich jetzt aber der Fokus von hormonellen Schwellenwerten hin zu einem genetischen Kriterium.

Laut Coe wurden mittlerweile 90 Prozent der für Tokio betroffenen Sportlerinnen getestet. „Wir wurden von den Athletinnen außerordentlich unterstützt“, erklärt er. Mit Blick auf Kritik sagt der 68-Jährige: „Wir führen keine Geschlechtstests durch. Wir verifizieren die weibliche Biologie.“