Sonntag26. Oktober 2025

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RusslandWie der Kreml seine IT-Spezialisten im Land behalten will

Russland / Wie der Kreml seine IT-Spezialisten im Land behalten will
Marat Gratschew, Leiter eines Geschäfts, das Apple-Geräte repariert, steht vor einem Schild in russischer Sprache mit der Aufschrift „Nein zum Krieg“. Er wurde denunziert und im Rahmen einer offiziellen Niederschlagung der Proteste wegen Verunglimpfung des Militärs angeklagt.  Anna Matveeva/Anna Matveeva/AP/dpa

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Die Sanktionen des Westens treffen die russische Hochtechnologiebranche hart. Junge IT-Spezialisten verlassen in Scharen das Land. Der Kreml will sie halten.

Seine Augen schauen nervös, er gestikuliert wild, wirkt unruhig. „Jungs“, sagt der russische Ministerpräsident Michail Mischustin vor dem russischen Parlament. Der 56-Jährige, der sonst wie ein unbeweglicher Stein dasitzt, klingt geradezu flehentlich. „Entwickler, Programmierer, IT-Spezialisten, lasst uns ein eigenes Ökosystem schaffen. Wir haben alles dafür da, wir müssen uns nur anstrengen.“ Das „Ökosystem“, von dem Mischustin bei seinem Rechenschaftsbericht spricht, sind eigene Internet-Plattformen, eigene Apps, eigene Entwicklungen im IT-Bereich. „Habt keine Angst, es wird alles gut werden, ihr werdet in Ruhe im eigenen Land arbeiten können, gut verdienen können, bequem hier leben können“, sagt er. Viele russische IT-Spezialisten glauben den Worten ihres Staates allerdings längst nicht mehr – und verlassen in Scharen ihr Land, seit Russland seine „militärische Spezialoperation“ in der Ukraine gestartet hat, wie Moskau den Krieg in seinem Nachbarland offiziell nennt.

Zehntausende Russen sind seit dem 24. Februar aus Russland geflohen. Nicht nur aus politischen und moralischen Motiven. Viele sind schlicht darauf angewiesen, ihren Job zu behalten oder schnell einen zu finden. Der Exodus aus der Hochtechnologiebranche ist besonders stark. Bereits im März sprach Sergej Plugotarenko, der Chef der russischen Vereinigung elektronischer Kommunikation, von bis zu 70.000 IT-Spezialisten, die das Land verlassen hätten. Für April kam er auf Zahlen von 100.000 Programmierern und Software-Entwicklern. Dabei hatte das russische Ministerium für digitale Entwicklung noch im Januar Zahlen vorgelegt, wonach der IT-Branche im Land etwa eine Million Fachkräfte fehlten.

Wir fallen auf Anfang der 90er zurück, und viel Eigenes haben wir nicht

Ein Programmierer, will anonym bleiben

Die oft jungen und gut ausgebildeten Spezialisten fürchten um ihre Entwicklungsmöglichkeiten im Land. Es sind nicht nur politische Verhärtungen, die bis zur Abriegelung des Internets führen können. Es ist vor allem die Technik aus dem Ausland, die nun fehlt. Wegen der Sanktionen kommen die Entwickler nicht mehr an in westlichen Ländern gefertigte Komponente wie beispielsweise Halbleiter heran, die Lieferketten sind unterbrochen oder ganz eingestellt. Westliche Tech-Riesen haben Russland verlassen. „Wir fallen auf Anfang der 90er zurück, und viel Eigenes haben wir nicht. Die IT-Branche ist auf internationale Zusammenarbeit angewiesen. Klar, dass viele von uns gehen wollen. Woanders ist einfach mehr Freiheit“, sagt ein Programmierer, der seinen Namen nicht nennen will, weil er eine Ausreise plant.

Einige wollen Ausreiseverbot einführen

Der aufstrebenden russischen IT-Branche droht der Ruin. Und so klammert sich die russische Führung geradezu an die „Aitischniki“, wie die IT-ler im Russischen genannt werden. Bereits Anfang März hatte der russische Präsident einen Ukas unterschrieben, wonach Fachkräfte in der IT-Branche vom Militärdienst befreit würden. Zudem sollen IT-Unternehmen von der Gewinnsteuer und staatlichen Überprüfungen für drei Jahre ausgenommen werden. Patriotisch gesinnte Russen fordern dagegen andere Maßnahmen: IT-ler sollen erst mit einer Genehmigung des russischen Geheimdienstes FSB ins Ausland reisen dürfen. Gerade auch solche Drohungen führen dazu, dass junge, auf offene Grenzen und internationalen Austausch setzende Spezialisten sich von Russland abwenden.