Donnerstag13. November 2025

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Gastbeitrag„White Saviour“-Komplex: Gut meinen heißt nicht gut machen

Gastbeitrag / „White Saviour“-Komplex: Gut meinen heißt nicht gut machen
So gut die Hilfe auch gemeint ist, Fotos wie dieses können durchaus problematisch sein Foto: Pixabay

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Fröhlich wirkende Kinder aus dem globalen Süden, die dankbar scheinen für die Hilfe einer weißen Person. Diese Bilder sind bekannt. Man sieht sie gepaart mit den Bildern von Weißen, oftmals Personen aus dem öffentlichen Leben, die sich der Armut der Welt annehmen. Dass es sich hierbei um die Reproduktion von postkolonialistischen Machtstrukturen handelt, wissen die wenigsten.

Der Begriff „White Saviour“, also „weißer Retter“, reicht bis in das Jahr 1899 zurück. In einem Gedicht appelliert Rudyard Kipling an den „weißen Mann“, „wilde, kindliche Barbaren“ auf den Philippinen zu zivilisieren. Hat es damals einen eindeutigen imperialistischen Ton, so beschreibt der Aktivist Brendan Orsinger den „weißen Retter“ als einen „gut gemeinten, unauffälligen rassistischen weißen Liberalen mit einem Besserwisser- Komplex“. Dabei beschreibt der „White Saviour“-Komplex das Phänomen des vornehmlich westlichen Retter*innen Narrativs, in dem sich potenzielle Helfer*innen in Länder des globalen Südens begeben, um „Gutes zu tun“ und „Entwicklungs- und Hilfsarbeit“ zu leisten. Daraus entwickelte sich in den letzten Jahren die Branche des Voluntourismus, deren Ausbeutungsmechanismen über diesen Artikel hinausgehen.

Warum dieses Phänomen ethisch problematisch ist, erklärt sich auf verschiedenen Ebenen. Zum einen wird in den wenigsten Fällen auf eine korrekte Ausbildung der Helfer*innen geachtet, was auf das Überlegenheitsgefühl des globalen Nordens hindeutet, in dem davon ausgegangen wird, dass man keine Ausbildung braucht, um „den Wilden“ helfen zu können.

Zum anderen ist vielen Menschen nicht bewusst, dass auch wenn sie ehrenhafte Motive verfolgen, sie dazu beitragen, bestehende Machtstrukturen zu reproduzieren. Dabei wird in westlichen weiß sozialisierten Ländern oft ein eindimensionales Bild des globalen Südens wiedergegeben. Während die „Hilfe“ in den Mittelpunkt gestellt wird, wird kaum über bestehende Kolonial-, Macht- und die daraus resultierenden Abhängigkeitsstrukturen geredet. Sicherlich sind Spenden ein wichtiges Mittel, um Menschen in Notlagen zu unterstützen. Allerdings sollte man die Frage aufwerfen, wer mit welchen Motiven diese Arbeit organisiert. Spenden helfen nur wenig, wenn sie indirekt dazu beitragen, dass sich die Abhängigkeitsstrukturen reproduzieren. Zudem sollte darauf geachtet werden, wie die Berichterstattung darüber gestaltet wird. Wer steht im Mittelpunkt und wie nachhaltig ist Arbeit?

Welche Rolle spielen soziale Medien?

Die Berichterstattung ist heutzutage durch soziale Medien nicht nur traditionellen Medien vorbehalten. Dadurch dokumentieren Privatpersonen, NGOs sowie Personen des öffentlichen Lebens ihre eigenen Erfahrungen aus ihren Perspektiven. Jede*r hat wohl schon einmal ein Bild gesehen einer weißen Person inmitten einer Gruppe von schwarzen Kindern. Oft wird das Bild mit einem Text beschrieben wie „beautiful humans“. Dass man dabei die Persönlichkeitsrechte der Kinder missachtet, ist das eine. Das andere ist, dass man befremdliche Gefühl entwickelt, dass man Erwachsenen dabei zusieht, wie sie in einem Zoo mit „fremden Menschen“ spielen. Es erinnert an eine moderne Version der Menschenzoos.

„White Saviourismus“ geht über Entwicklungshilfe hinaus

Der „White Saviour Complex“ geht über die vermeidliche Entwicklungshilfe von Prominenten und Privatpersonen aus. Es geht auch um umstrittene Spendenplakate und Werbungen, in denen ein eindimensionales Bild der Menschen im Zielland porträtiert wird. Aus Marketinggründen scheint es plausibel zu erscheinen auf die Tränendüse des*r Betrachters*in zu drücken. Ethisch scheint es aber äußerst zweifelhaft, wenn man eine Bevölkerung nur im Elend zeigt und den Eindruck weckt, eine weiße Einzelperson könnte zum/zur Retter*in werden. Hinzu kommt, dass in Filmen der letzten Jahre wie „Green Book“, „Hidden Figures“ und anderen immer wieder das Narrativ eines weißen Retters dargestellt wurde. Dadurch verfestigen sich Stereotypen in den Köpfen des Betrachtenden.

Ein weiterer Aspekt der Problematik ist, wenn sich eine Arbeitsgruppe aus weißen Personen zusammensetzt, um über Rassismus zu referieren. Nicht selten stellt man fest, dass eine weiße Person darüber urteilt, ob etwas als rassistisch gilt oder nicht. Trotz guten Absichten kann es schnell dazu führen, dass weiße Personen die Debatte um rassistische Themen monopolisieren und direkt betroffenen Person den Raum nehmen.

Was muss sich ändern?

Zum einen sollte man versuchen, das eigene Handeln zu hinterfragen. Gesellschaftlich sollten wir daran arbeiten, eurozentrische Weltbilder aus den Köpfen zu verbannen, um langfristig bestehende Überlegenheitsgefühle zu verbannen und neue authentische Geschichten des globalen Südens zu erfahren. Zudem sollten wir versuchen, im Volksmund nicht verallgemeinernd und herablassend über Entwicklungsländer zu sprechen. Ein differenzierter Blick sowie ein Reflektieren der kolonialen Geschichte im Zusammenhang mit den aktuellen Zuständen würden ein vollständigeres Bild ermöglichen.

Dies würde die Tür öffnen für einen Medienkonsum, der erkennt, wenn diverse Stereotypen reproduziert werden. Zusätzlich würde es die Grundlage legen für eine Sensibilität zu der eigenen Position in der Gesellschaft.

Dabei geht es nicht darum, Menschen das Engagement auszureden, sondern soll anregen, den „guten Willen“ auch in ethisch vertretbare Taten umzusetzen. Ein Beispiel wäre die Anti-Rassismus-Arbeit. Als weiße Person sollte man nicht davon ausgehen, allwissend zu sein, sondern sollte Direkt-Betroffenen zuhören und sie fragen, wie man sich einbinden und helfen kann.

* Andy Schammo studiert Erziehungswissenschaften an der Universität Luxemburg und schreibt seine Abschlussarbeit zum Thema „Institutionelle Diskriminierung im Luxemburger Bildungswesen“. Er setzt sich privat gegen Diskriminierung und Ungleichheiten ein.

Jean Lichtfous
3. Februar 2021 - 13.31

Schade, Herr Schammo, dass Sie mir eine Antwort schuldig bleiben.

Jean Lichtfous
1. Februar 2021 - 16.52

"wenn sich eine Arbeitsgruppe aus weißen Personen zusammensetzt, um über Rassismus zu referieren (...) kann es schnell dazu führen, dass weiße Personen die Debatte um rassistische Themen monopolisieren und direkt betroffenen Person den Raum nehmen. "
Herr Schammo, wenn nur weisse Personen in der Arbeitsgruppe sitzen, wie können sie dann direkt Betroffenen den Raum nehmen, denn die sind ja von Beginn an nicht da ? Hab ich da was falsch verstanden, oder haben Sie da was durcheinander gebracht ? Danke für Ihre Antwort

Noelle
1. Februar 2021 - 13.11

Merci vir desen Artikel!??