Kino als sakraler RaumWer ist Terrence Malick? (Teil 1)

Kino als sakraler Raum / Wer ist Terrence Malick? (Teil 1)
Lange her: Terrence Malick beim Dreh von „Days of Heaven“ im Jahr 1978 Foto: Jester-being, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

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Dass esoterische, höchst spiritistisch aufgeladene Filme sich einer konstanten Publikumsnachfrage erfreuen, ist im amerikanischen Kino äußerst selten, es gibt jedoch einen Regisseur, der diesen Anspruch seit rund fünfzig Jahren bedient und mit nur neun Spielfilmen unentwegt und mit determinierter Konstanz zu seinem künstlerischen Prinzip gemacht hat: Terrence Malick. Umstandslos darf Malick zu den bemerkenswertesten und kontroversesten Ausnahmefiguren des US-amerikanischen Kinos gerechnet werden. Die erste Ausgabe eines zweiteiligen Streifzugs durch das Werk.

Der US-amerikanische Filmemacher Terrence Malick ist zweifelsohne ein Sonderling des gegenwärtigen Kinos. Er gilt vielen als ein Formalist, die Qualität seines Werkes liege in der Bildsprache, weniger in der Dramaturgie der Erzählungen oder noch den Figurenzeichnungen. Um diesen Wesenszug griffig auf den Punkt zu bringen, wird eine gern genutzte Kritikerformel herangezogen: Form über Inhalt. Diese Frage nach der Gewichtung beider Tendenzen in einem Kunstwerk stellt sich bei Malick auf äußerst dringliche, polarisierende Weise. Malicks Schaffen gilt den einen oft als gottgleich anmaßend, kitschig und prätentiös in seinem unbedingten Kunstwillen; poetisch, lyrisch, strebend, die wahrste aller Künste meint die andere Seite – ja, ein Mittelfeld scheint es nicht zu geben. Noch vor dem Kinostart seines neuen Films, „The Way of the Wind“, werden momentan wieder entsprechende Vorwürfe und Lobpreisungen laut. Egal wie man Malicks Filmschaffen auch betrachten mag: Der Versuch eines Verständigungsangebotes scheint nahezu unerlässlich, will man die Polarisierung, die den Künstler umgibt, besser begreifen.

Die Anfänge: „Badlands“ und „Days of Heaven“

Sein Spielfilmdebüt gab Malick mit „Badlands“ (1973), ein Film über zwei Ausgestoßene: Kit (Martin Sheen) und Holly (Sissy Spacek) sind ein mordlustiges junges Pärchen, das durch das South Dakota der 1950er Jahre zieht. Zunächst funktioniert dieses noch recht konventionelle Erstlingswerk nach den dramaturgischen Mustern, die sich im New Hollywood etabliert haben. Zum einen gibt es die Muster eines Roadmovies, ähnlich wie „Easy Rider“ (1969), und ferner gibt es das Motiv des ‚couple on the run‘ aus „Bonnie & Clyde“ (1967), um daraus eine Hinterfragung des amerikanischen Gründer-Mythos zu gewinnen. Da wird nahezu ironisch Pfeil und Bogen als etwas Archaisches zitiert, was die Figuren dieses Films noch aus der Zeit der Besiedlung des Landes zu kennen glauben. Bei näherer Betrachtung erkennt man indes unschwer die Stilismen, die Malick späterhin berühmt und so singulär erscheinen lassen: Das Paar wirkt wie in die Natur hineingeworfen, eine wirksame motivische Grundkomponente bei Malick – die Natur selbst ist indifferent, sie entfaltet durch das Kameraauge Malicks eine ungemein poetische, ja magische Kraft. Malicks nächster Film „Days of Heaven“ (1978) ist in mancher Hinsicht eine Weiterentwicklung des Vorgängerfilms: Es ist eine Erzählung um den Fabrikarbeiter Bill (Richard Gere), der sich nach dem Mord an seinem Vorgesetzten als Tagelöhner auf einem Erntefeld arbeitet. Die Beziehung zu seiner Geliebten Abby beginnt aber zunehmend die Ordnung der Wandergesellschaft zu stören. Für viele Gegner Malicks hatte sich mit diesem Film bestätigt, was „Badlands“ nur in Ansätzen andeute: Sein Kino sei bildgewordene, prätentiöse Esoterik – tatsächlich sind seine charakteristischen Stilmerkmale auch hier schnell identifiziert: Landschaftsaufnahmen, besonders die im Wind wehenden Weizenhalme, darüber die Off-Stimme, die die Überredung zum großen Gefühl stiften möchte.

„The Thin Red Line“ und „The New World“

Es dauerte zwanzig Jahre, bis Malick mit „The Thin Red Line“ (1998) zurück auf die Leinwand kehrte – vielleicht ist es diese Arbeit, die sich genretechnisch einfacher zuordnen lässt als andere Filme des Regisseurs, nämlich als Kriegsfilm. 1942, Guadalcanal: Der Pazifikkrieg wütet, für die Amerikaner gilt es einen strategisch günstigen Hügel zu erstürmen, um dort einen Luftwaffenstützpunkt gegen die Japaner zu errichten. Weniger auf die reine Kampfhandlung ausgelegt, ist dieser Film eine Abhandlung über Krieg als Grenzerfahrung, die es vermag, den Menschen in all seiner Kreatürlichkeit offenzulegen. Malicks Formensprache, vor allem die Kamerabewegungen, spüren diesen Fragen eindringlich nach. Da versucht sich ein Soldat den Gräueln der Kriegshandlung mental zu entziehen. Wieder braucht es dafür feste Bildformeln: eine zurückgelassene Frau als überhöhter Sehnsuchtsgedanke; Soldaten, die im Meer oder in weiten Feldern stehen. Malick ist jemand, der die Schönheit in den Dingen sucht, in der Natur, in einer polynesischen Lagune, im Tropenwald. Das Unerklärliche der Boshaftigkeit in der menschlichen Natur lässt Malick als unerklärlich stehen. Lediglich in Form einer Fragestellung ist sie ansatzweise zu fassen: Wie kommt das Böse in die Welt?

Beachtlich ist zudem, dass der naturalistische und veristische Ansatz in Steven Spielbergs „Saving Private Ryan“, auch 1998 erschienen, Malick in seiner Aussagekraft über die Bedeutung des Krieges in Bezug auf die Bedingungen des Menschseins so nicht erreichen kann. Das mystische Naturbild, das Malick entwirft, führt er in „The New World“ fort: Es ist die bekannte Liebesgeschichte um Pocahontas und Smith, die hier einmal mehr inmitten der gewaltvollen Besiedelung des amerikanischen Kontinents erzählt wird. Indes lässt sie sich bei Malick allenfalls qua genretypischer Oberflächlichkeiten als Abenteuerfilm bezeichnen. Malick geht es um etwas anderes: Wieder dekonstruiert er die Mythen, die den tradierten Stoff umgeben, Pocahontas hat keinen Namen, auch über diesen Smith erfährt man nichts. Vielmehr lebt der Film von einer sehr losen Szenenfolge, deren Rhythmus besonders von idyllischen Naturaufnahmen bestimmt und von flüsternden inneren Monologen begleitet wird. Die alte und die neue Welt kollidieren hier, ein Paradies wird offenbar, das für die Siedler ebenso wenig begreifbar ist, wie es für Malick wahrhaftig zu durchdringen ist. Seine Kamera ist voller Demut angesichts dieser Schönheit, sie vollzieht Suchbewegungen, hin zum Licht.

Die Zäsur: „The Tree of Life“

„The Tree of Life“ (2011), der Malick im amerikanischen Raum rehabilitierte, setzt die stärkste Zäsur in seiner Arbeit und er dient womöglich als Schlüsselfilm zum Verständnis dieser Arbeit, da er den pantheistischen Anspruch am deutlichsten ausdrückt. Allein an dem Grundriss der Handlung zeigt sich, wie wenig der Film an konventioneller Dramaturgie interessiert ist: Eine Familiengeschichte der Fünfzigerjahre in Texas wird rückblickend und fragmentarisch aus der Sicht des erwachsenen Sohnes Jack erzählt. Daneben werden immer wieder mittels Natur- und Trickaufnahmen auf die spirituelle Dimension des Films verwiesen, der mit existenziellen Fragen aus dem Off begleitet abgerundet wird.

Inhaltlich ist diesem Film kaum beizukommen, da seine assoziativen Verästelungen zu breiten philosophischen Reflexionen einladen. Deutlicher als seine Vorgängerfilme markiert „The Tree of Life“ diese Reflexionen aber als immanent in die Form eingebunden: Malick philosophiert mehr über die Kamera und mit Klängen, weniger über die Stimmen seiner Schauspieler. Das Voice Over kann nicht aufschlüsseln, was in den Bildern ausgedrückt sei, wie diese zu lesen seien. Es sind Stimmen der Ratlosigkeit, sie können – wie so oft bei Malick – allenfalls Fragen stellen. Es ist die Formensprache, die nach mehr strebt: Der wiederholte Kamerablick gen Himmel ist gerade deshalb das markanteste Stilmittel des Films, sie wendet sich bei Malick immer wieder dem Licht zu. Dieses Sehnsuchtsempfinden ist Quell für die harsche Kritik, der Malick ausgesetzt ist. Etwas Wahrhaftiges auszudrücken, ist das künstlerische Anliegen von Malick, unerschöpflich und kompromisslos verschreibt er sich dieser programmatischen Leitidee.

Obwohl Malick kaum Interviews gibt und sich ganz abseits der Filmvermarktung halten möchte, äußerte er sich diesbezüglich indes sehr genau: „Wenn Menschen das ausdrücken, was ihnen am wichtigsten ist, dann geschieht das oft in Form von Klischees. Das macht sie nicht lächerlich, sondern hat etwas Zartes an ihnen. Als ob sie in ihrem Bemühen, das Persönlichste zu erreichen, nur auf das Unverhüllteste kommen könnten.“1) Malicks Filme strotzen demgemäß nur so von einer positiven Naivität angesichts des Unsagbaren. In diesem Willen der allumfassenden Erkundung des Spirituellen wurde Malick in seinen späteren Filmen radikaler, ja folglich verlagerte sich auch die filmkritische Position, sie wurde auch radikaler: Malicks Filme seien unfreiwillige Parodien, die im esoterischen Exzess, den sie betreiben, ganz aufgingen.

Wer ist Terrence Malick?

Dieser Text ist der erste von zwei Artikeln über den Regisseuren Terrence Malick. Der zweite Teil der Serie von Marc Trappendreher erscheint am Samstag.

1) „When people express what is most important to them, it often comes out in clichés. That doesn’t make them laughable; it’s something tender about them. As though in struggling to reach what’s most personal about them, they could only come up with what’s most public.“