Al-Dscholani ist der Chef von Hajat Tahrir al-Scham (HTS), einem früheren Zweig von Al-Kaida in Syrien, der sich allerdings vor Jahren offiziell von dem Terrornetzwerk lossagte. Die HTS-Kämpfer und verbündete Gruppen hatten nach Jahren des weitgehenden Stillstands im syrischen Bürgerkrieg am 27. November überraschend eine Großoffensive gegen die Regierungstruppen gestartet – und waren blitzschnell vorgerückt.
Jahrelang hatte al-Dscholani im Verborgenen agiert. Nun steht er im Rampenlicht, gibt Erklärungen ab und spricht mit internationalen Medien. Den Turban der Dschihadisten, den er noch zu Beginn des syrischen Krieges im Jahr 2011 getragen hatte, trug er immer seltener, stattdessen zeigt er sich vermehrt in einer Militäruniform. Bereits seit seinem Bruch mit Al-Kaida im Jahr 2016 versuchte al-Dscholani, sein Image zu glätten und sich moderater zu zeigen. Experten und westliche Regierungen überzeugte das nicht. Sie stufen die HTS weiter als Terrorgruppe ein.
Der Wissenschaftler Thomas Pierret von Frankreichs nationalem Forschungsinstitut CNRS nennt ihn einen „pragmatischen Radikalen“. 2014 sei al-Dscholani auf dem Höhepunkt seiner Radikalität gewesen, sagt der Experte und verweist darauf, dass er sich damals gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) habe durchsetzen wollen. Seitdem habe der HTS-Chef „seine Rhetorik gemildert“.
Der 1982 geborene al-Dscholani wuchs in Masseh auf, einem gutbetuchten Stadtteil von Damaskus. Er stammt aus einer wohlhabenden Familie und war ein guter Schüler. Während der aktuellen Offensive fing er an, seinen bürgerlichen Namen zu nutzen: Ahmed al-Scharaa. Mit diesem wird er auch in allen aktuellen Erklärungen seiner Miliz genannt.
Keine Anschläge gegen den Westen
2021 sagte er dem US-Fernsehnetzwerk PBS, sein Kampfname nehme Bezug auf die Wurzeln seiner Familie auf den Golanhöhen. Seinen Angaben zufolge war sein Großvater nach der israelischen Annexion der Gegend im Jahr 1967 zur Flucht gezwungen worden. Nach einem Bericht der Website „Middle East Eye“ fühlte sich al-Dscholani erstmals nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zum Gedankengut der Dschihadisten hingezogen. Er habe an „geheimen Predigten und Podiumsdiskussionen in abgehängten Vororten von Damaskus“ teilgenommen.
Nach der US-geführten Invasion im Irak verließ er Syrien, um im Nachbarland zu kämpfen. Im Irak schloss sich er sich dem Terrornetzwerk Al-Kaida an und wurde anschließend fünf Jahre inhaftiert.
Je weniger Panik auf lokaler und internationaler Ebene herrscht und je mehr al-Dscholani wie ein verantwortungsbewusster Akteur und nicht wie ein toxischer Dschihad-Extremist erscheint, desto einfacher wird seine Aufgabe
Im März 2011, als die Revolte gegen Assads Regierung in Syrien begann, kehrte er in sein Heimatland zurück und gründete die Al-Nusra-Front – den syrischen Ableger von Al-Kaida, aus dem später die HTS hervorging. 2013 weigerte er sich, Abu Bakr al-Baghdadi, dem späteren Emir der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat, die Treue zu schwören. Stattdessen versicherte er dem Emir von Al-Kaida, Ayman al-Sawahiri, seine Loyalität.
Im Mai 2015 gab al-Dscholani an, dass er im Gegensatz zum IS nicht die Absicht habe, Anschläge gegen den Westen auszuführen. Auch erklärte er, dass es im Fall einer Niederlage Assads keine Angriffe aus Rache gegen die alawitische Minderheit geben werde, der Assads Familie entstammt. Als al-Dscholani die Verbindungen zu Al-Kaida kappte, erklärte er, dies zu tun, um dem Westen keine Gründe zu geben, seine Organisation anzugreifen. Nach Angaben von Pierret hat er seitdem versucht, sich auf den Weg zu einem „aufstrebenden Staatsmann“ zu machen.
Kriegsverbrechen gegen Andersdenkende
Im Nordwesten Syriens zwang al-Dscholani rivalisierenden islamistischen Gruppen im Januar 2017 einen Zusammenschluss mit der HTS auf und beanspruchte damit die Kontrolle über weite Teile der nordwestsyrischen Provinz Idlib. Die HTS baute in den von ihr kontrollierten Gegenden eine zivile Regierung auf und richtete eine Art Staat in Idlib ein, während sie zugleich ihre Rivalen zerschlug. Der HTS wurden in dieser Zeit von Bewohnern und Menschenrechtsgruppen brutales Vorgehen gegen Andersdenkende vorgeworfen – die Vereinten Nationen stufen diese als Kriegsverbrechen ein.
Womöglich im Wissen um die Angst und den Hass, den seine Miliz hervorrief, hat al-Dscholani sich an die Bewohner von Aleppo gerichtet, um ihnen zu versichern, dass ihnen nichts passieren werde. In Aleppo gibt es eine große christliche Minderheit. Außerdem rief er seine Kämpfer dazu auf, die Sicherheit in den nun eingenommenen Gebieten zu gewährleisten.
Das sei zunächst einmal ein politisch gutes Vorgehen, erklärte Aron Lund vom Politikinstitut Century International. „Je weniger Panik auf lokaler und internationaler Ebene herrscht und je mehr al-Dscholani wie ein verantwortungsbewusster Akteur und nicht wie ein toxischer Dschihad-Extremist erscheint, desto einfacher wird seine Aufgabe.“ Zugleich schränkt der Experte ein: „Ist er völlig aufrichtig? Sicherlich nicht.“ Bei al-Dscholanis derzeitigem Vorgehen sei aber klar: „Es ist das Klügste, was man im Moment sagen und tun kann.“ (AFP)
De Maart
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