Der durchschnittliche US-Zollsatz liegt derzeit bei 18,6 Prozent und damit auf dem höchsten Stand seit den Smoot-Hawley-Zöllen, die die Weltwirtschaft lahmlegten und zur Weltwirtschaftskrise beitrugen. Vorbei ist es mit den Grundsätzen der Inländerbehandlung (Gleichbehandlung ausländischer und inländischer Produzenten) und der Meistbegünstigung (Gleichbehandlung von Handelspartnern), also den Eckpfeilern der Nachkriegsordnung, die den Handel, grenzüberschreitende Investitionsströme und die wirtschaftliche Entwicklung weltweit begünstigt haben.
Ebenso vorbei ist es mit der Glaubwürdigkeit der USA. Trump ist nicht vertrauenswürdig. Er kann die Zollsätze jederzeit und aus beliebigen Gründen ändern. Seine mündlichen Vereinbarungen sind nicht rechtsverbindlich und können weder kontrolliert noch durchgesetzt werden. Darüber hinaus dürften sie keiner gerichtlichen Überprüfung standhalten. Trump behauptet, nicht der Kongress, sondern er selbst verfüge über die Befugnis, als Reaktion auf einen „nationalen Notstand“ Zölle zu erheben. Da jedoch kein Notstand vorliegt, sollte der Oberste Gerichtshof der USA die Zölle im Rahmen seiner endgültigen Entscheidung für verfassungswidrig erklären. Ob dies jedoch geschehen wird, ist ungewiss.
3,4 Mio.
. Im Jahr 2023 beschäftigten europäische Unternehmen mehr als 3,4 Millionen US-Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
Das jüngste Handelsabkommen der USA mit der Europäischen Union – „ausgehandelt“ im Rahmen eines herablassend geführten Treffens zwischen Trump und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – unterstreicht eines der erklärten Ziele Trumps: die Reindustrialisierung Amerikas durch Protektionismus für heimische Produzenten und Verpflichtungen der Handelspartner, in den Vereinigten Staaten zu investieren. Daher beschränken sich die Zölle auf den Warenhandel. Während die USA gegenüber der EU ein anhaltendes Warenhandelsdefizit ausweisen (183 Milliarden Dollar im Jahr 2023), verzeichnen sie im Dienstleistungshandel mit der Union durchweg einen Überschuss (127 Milliarden Dollar im Jahr 2023).
Trumps Ziel: Reindustrialisierung
Zudem ist die EU in den USA bedeutende Investorin, Produzentin und Arbeitgeberin. Vor der Handschlagvereinbarung hatten EU-Unternehmen bereits mehr als 2,4 Billionen US-Dollar in die US-Wirtschaft investiert und die grenzüberschreitenden Investitionen zwischen den USA und der EU wurden im Jahr 2023 mit fast 5 Billionen US-Dollar angesetzt. Viele EU-Unternehmensinvestitionen in den USA entfallen auf dieselben Sektoren wie die EU-Exporte in die USA – Biotechnologie (Pharmazeutika), Automobilindustrie, Luft- und Raumfahrt sowie Chemie. Im Jahr 2023 beschäftigten europäische Unternehmen mehr als 3,4 Millionen US-Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Nun werden die meisten Importe europäischer Waren jedoch mit einem Zollsatz von 15 Prozent belegt. Ausgenommen sind bestimmte strategische Güter und der Zollsatz für Stahl und Aluminium beträgt 50 Prozent (eine Politik, die im Widerspruch zu Trumps Ziel der Reindustrialisierung steht, da sie die Produktions- und Baukosten in den USA erhöht). Während Europa den Satz von 15 Prozent als Obergrenze betrachtet, sieht Trump ihn als Ausgangsbasis.
Ebenso wenig sind die Zölle reziprok: Die EU erklärte sich bereit, ihre verbleibenden niedrigen Zölle auf die meisten US-Industriegüter zu streichen und gleichzeitig den Marktzugang für einige US-Agrar- und Fischereiprodukte zu „verbessern“. Unterdessen behält die EU ihre niedrigen Zölle auf Importe aus anderen Ländern bei, um ihren Verpflichtungen aus der Meistbegünstigung nachzukommen. Im Rahmen des Abkommens hat die EU außerdem zugestimmt, bis 2028 US-Energie im Wert von 750 Milliarden Dollar zu kaufen und bis 2029 in den USA Unternehmensinvestitionen in Höhe von 600 Milliarden Dollar zu tätigen.
Die Investitionszusage ist nicht durchsetzbar, da diese Entscheidungen letztlich von den europäischen Unternehmen getroffen werden. Dennoch ist das Ziel von 600 Milliarden Dollar erreichbar, wenn man bedenkt, dass EU-Unternehmen in den letzten drei Jahren etwa 605 Milliarden Dollar in den USA investiert haben. Illusorisch ist hingegen die Verpflichtung im Bereich Energie. US-Unternehmen hätten nämlich größte Schwierigkeiten, jedes Jahr Energie im Wert von 250 Milliarden Dollar in die EU zu exportieren, wenn man bedenkt, dass sich ihre weltweiten Energieexporte im Jahr 2024 auf nur 165 Milliarden Dollar beliefen. In jedem Fall würde die Verfolgung des 250-Milliarden-Dollar-Ziels die Dynamik des weltweiten Energiemarktes durcheinanderbringen.
Warum der Energie-Deal scheitern wird
Der Energie-Deal wird sicherlich scheitern, ebenso wie das Energieabkommen zwischen den USA und China der Jahre 2019 bis 2021. Und längerfristig wird Trumps Anti-Erneuerbaren-Politik die US-Produzenten in diesen Sektoren schwächen und die Zukunft der Branche in die Hände Chinas und anderer Länder im asiatisch-pazifischen Raum legen, die bereits 90 Prozent der weltweiten Produktionskapazitäten für Elektrofahrzeugbatterien und Brennstoffzellen sowie fast alle Solarmodule stellen.
Wer „gewinnt“ also bei dem Abkommen zwischen den USA und der EU? Viele sehen die EU als klare Verliererin, da es den USA offensichtlich gelungen ist, ihre Hegemonialmacht zu nutzen, um günstige Bedingungen zu erzwingen. Diese Macht beruht jedoch auf der Stärke der US-Wirtschaft, die durch Trumps Politik – untragbare Defizite, Kürzungen im Bereich der wissenschaftlichen Forschung, Angriffe auf die Unabhängigkeit der Zentralbank, Einwanderungsbeschränkungen, Subventionen für die fossile Industrie – rasch untergraben wird. Darüber hinaus werden die Zölle kurzfristig zu Preissteigerungen für US-Verbraucher und zu höheren Kosten für US-Produzenten (sowie für ausländische Investoren in den USA) führen und damit die Wirtschaft bremsen. Die daraus resultierenden Verwerfungen im Welthandel werden auch in der EU Preissteigerungen und ein langsameres Wachstum mit sich bringen, allerdings in deutlich geringerem Maße.
Die EU stand vor der Wahl: entweder ein kostspieliger Handelskrieg oder Zustimmung zu „dem besten Deal, den wir unter sehr schwierigen Umständen erzielen konnten“ – Umstände, zu denen auch die implizite Drohung der USA gehörte, ihre NATO-Unterstützung zu streichen. Die EU kann den negativen Auswirkungen der Zölle durch eine Diversifizierung ihrer Handelspartner und die Aushandlung neuer Handelsabkommen entgegenwirken. Die US-Zölle ermutigen bereits zu engeren Handelsbeziehungen mit gleichgesinnten Industrieländern wie Australien, Kanada, Japan und Südkorea. Außerdem wäre es möglich, dass diese Zölle den Handelsgesprächen zwischen der EU und dem lateinamerikanischen Mercosur sowie mit den für die globalen Lieferketten wichtigen „Verbindungsländern“ der ASEAN neuen Schwung verleihen. Und schließlich hat Trump durch die Sabotage der transatlantischen Zusammenarbeit der EU gegenüber China die Möglichkeit eröffnet, eigene Handels- und Investitionsabkommen mit der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt zu schließen.
Die EU ist aus Krisen stets gestärkt hervorgegangen. Das notwendige, zweitbeste Handelsabkommen mit den USA sollte ihr Hauptziel nicht gefährden: die Verwirklichung einer „offenen strategischen Autonomie“ mit integrierter verteidigungsindustrieller Basis, einem differenzierten Handelsprofil als Ausdruck ihres Bekenntnisses zum Multilateralismus und einer Politik zur Förderung nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit und Innovation, insbesondere in Hochtechnologiebranchen, wo die EU hinter den USA und China steht. Wenn dies gelingt, wird sich Europa zu einem wichtigen pro-demokratischen und marktfreundlichen Vorreiter in einer multipolaren Welt entwickeln.
* Laura Tyson war Vorsitzende des wirtschaftlichen Beraterstabes des US-Präsidenten während der Clinton-Administration und ist derzeit Professorin an der Haas School of Business der University of California in Berkeley sowie Beiratsmitglied bei der Angeleno Group. Giorgos Papakonstantinou ist ehemaliger griechischer Finanzminister und verhandelte das erste Rettungspaket für Griechenland. Er ist Professor für internationale politische Ökonomie am European University Institute sowie Ko-Autor des (gemeinsam mit Jean Pisani-Ferry verfassten Buchs) „New World New Rules: Global Cooperation in a World of Geopolitical Rivalries“ (Columbia University Press, 2025).
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier.
Copyright: Project Syndicate, 2025.
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