Es gehört zum guten Ton in den EU-Ministerräten, sich für die Bemühungen des jeweiligen Präsidenten zu bedanken. Doch was sich bei den letzten Dezember-Sitzungen bei den Zusammenkünften der 27 Fachminister in unterschiedlichen Zusammensetzungen abspielte, war eine Mischung aus Überraschung, Hochachtung und Bewunderung. Zum Ende seiner Ratspräsidentschaft brachte das kleine Tschechien Kompromisse am laufenden Band zustande. Selbst auf Feldern, auf denen die Protagonisten der nationalen Regierungen nicht mehr an eine Einigung geglaubt hatten. Pfiffiges Verhandeln, unermüdliche Suche nach gangbaren Korridoren und ein großes Stück Nachdruck schmückten Tschechiens Phase europäischer Führung.
„Die tschechische Ratspräsidentschaft hat sehr gute Arbeit geleistet und gute Kompromisse geschnürt“, lautet denn auch das Fazit des Grünen EU-Palrlamentariers Rasmus Andresen. „Sehr hoch“ liege daher die Messlatte für den schwedische Ratsvorsitz, der offiziell mit dem Jahreswechsel beginnt. Doch der Wahlausgang in Schweden kurz vor Beginn ihrer für lange Zeiten einflussreichsten Phase in Europa haben in Brüssel für Befürchtungen gesorgt. „Aufgrund der Beteiligung der rechtsextremistischen Schwedendemokraten sind wir skeptisch, welche Rolle die schwedische Regierung in den kommenden Monaten einnehmen wird“, sagt Andresen dem Tageblatt.
Die Rollen der europäischen Institutionen greifen nach der Konstruktion der EU-Verträge ineinander. Die Kommission mit ihren 32.000 Mitarbeitern ist eine Art Regierung Europas. Sie überwacht die Umsetzung der gemeinsamen Beschlüsse und bereitet neue EU-Gesetze vor. Weil die einzelnen Generaldirektionen, Abteilungen und Referate international zusammengesetzt sind, herrscht bereits an dieser Stelle ein großes Maß an europäischer Kompromissfindung.
Der Ratsvorsitz gibt die Richtung an
In der nächsten Phase greift der jeweilige Fachausschuss des Parlamentes und der betroffene Ministerrat die Entwürfe der Kommission auf und bildet dazu eine wieder international abgestimmte Position. In der letzten Phase läuft der Trilog, das Aushandeln der letzten Textfassung zwischen Parlament und Ministerrat unter Beteiligung der Kommission. Bei vielen EU-Regelungen kommt es in dieser Phase vor allem auf die jeweiligen Fachminister der 27 Regierungen an, wie etwa bei der Gaspreisbremse des Energie-Ministerrates.
Ob es bei diesen Ratstagungen tatsächlich eine Verständigung gibt, hängt sehr wesentlich von der Arbeit des jeweiligen Vorsitzenden ab, der in fast allen Ministerräten vom jeweiligen Land der amtierenden Ratspräsidentschaft gestellt wird. Nur bei den Außen- und Sicherheitsfragen übernimmt das der fest installierte Außenbeauftragte der Europäischen Union. In allen anderen Themenfeldern entscheidet die Ratspräsidentschaft, welche Themen auf die Tagesordnung kommen und in welche Richtung sie die Kompromissfindung lenken will.
Nun ist Schweden an der Reihe. Es hat vier Prioritäten gewählt: Sicherheit und Einigkeit, Widerstands- und Wettbewerbsfähigkeit, Wohlstand und ökologischer Wandel sowie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Andresen verweist darauf, dass 2023 das letzte Jahr vor der Europawahl sei und es somit darauf ankomme, in zentralen Fragen voranzukommen. „Danach wird die EU durch die Europawahl und die Bildung der neuen EU-Kommission auf Monate lahmgelegt“, sagt der Grüne voraus. Gerade bei finanzpolitischen Themen, einer gemeinsamen Migrationspolitik und strukturellen Reformen wie einer Abschaffung der Einstimmigkeit müsse die schwedische Ratspräsidentschaft noch viel bewegen. „Sehr viele verlorene Monate können wir uns nicht leisten“, so Andresen.
Die kommenden Ratspräsidentschaften
In der zweiten Hälfte des Jahres wird das europa-freundliche Spanien ebenfalls noch viele Chancen bekommen, wichtige Vorhaben ins Ziel zu bringen. Das EU-Gastgeberland Belgien ist dann Anfang 2024 an der Reihe. Allerdings wird seine Präsidentschaft im laufenden Wahlkampf und den ersten Anläufen einer Neuaufstellung von Parlament und Kommission wenig Inhaltliches liefern können. Und dann, wenn es besonders drauf ankommt, wie die wichtigen neu zu installierenden Institutionen ab 2024 ans Werk gehen, ist ausgerechnet das EU-skeptische Ungarn Viktor Orbáns an der Reihe. Der macht seit Langem keinen Hehl aus seinem Plan, die EU zu verlassen, wenn er mit EU-Mitteln sein Land so weit nach vorne gebracht hat, dass es anfängt, mehr Finanzen in den Gemeinschaftstopf hineinzustecken als herauszuholen. Einen Vorgeschmack bekamen seine Kollegen bereits 2022 zu spüren, als sie sich von Ungarn mehrfach erpresst und in Geiselhaft für nationale ungarische Vorteile genommen fühlten.
Wenn Ende 2024 die ungarische, EU-kritische EU-Ratspräsidentschaft überstanden ist, folgt als nächstes die polnische, nicht minder EU-kritische. Allerdings werden die Polen bis dahin ein neues nationales Parlament gewählt haben und eine neue Regierung bekommen.
De Maart
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