Donnerstag25. Dezember 2025

Demaart De Maart

DeutschlandWas sich mit dem neuen Wahlrecht ändert

Deutschland / Was sich mit dem neuen Wahlrecht ändert
Ein Mann wirft seine Wahlunterlagen in eine Wahlurne Foto: dpa/Christoph Reichwein

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Schon 2023 hat die Ampel-Regierung eine Reform des Wahlrechts beschlossen. Bei der anstehenden Bundestagswahl greift sie zum ersten Mal. Dadurch wird der neue Bundestag deutlich kleiner als bislang. Politikwissenschaftler sehen aber auch deutliche Nachteile.

Über Jahre haben die Parteien im Deutschen Bundestag gerungen, wie das Wahlrecht angepasst werden soll. Zentrales Ziel war es, das immer weiter angewachsene Parlament zu verkleinern. Die Ampel-Regierung hat 2023 schließlich eine Reform des Wahlrechts beschlossen, die bei der Bundestagswahl am 23. Februar zum ersten Mal greift.

Was ändert sich durch das neue Wahlrecht? Die Größe des Bundestages wird auf 630 Abgeordnete begrenzt. In früheren Legislaturperioden war die Zahl der Sitze immer weiter gewachsen, im aktuellen Bundestag sitzen 736 Abgeordnete. Von den künftig 630 Plätzen werden bis zu 299 über Direktkandidaten aus den Wahlkreisen besetzt, mindestens 331 Abgeordnete ziehen über Landeslisten ein. Die Überhang- und Ausgleichsmandate, die zum Anschwellen des Bundestages geführt haben, fallen künftig weg.

Was bleibt unverändert? Wie auch bisher bleibt das Zweitstimmenergebnis bei der Bundestagswahl entscheidend dafür, wie viele Sitze eine Partei im Bundestag erhält. Gleich bleibt auch die Zahl der Wahlkreise von 299. Auch die Fünf-Prozent-Klausel bleibt erhalten: Eine Partei muss mindestens fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten, um in den Bundestag einzuziehen. Eine Ausnahme gilt dann, wenn eine Partei mindestens drei Direktmandate in den Wahlkreisen gewinnt. Dann greift die Grundmandatsklausel. Sie besagt, dass Parteien mit mindestens drei gewonnenen Direktmandaten in den Bundestag kommen, auch wenn sie an der Fünf-Prozent-Marke scheitern. Entscheidend für die Zahl der Sitze ist dann, wie bei allen Parteien, das Zweitstimmenergebnis. Mit der Reform sollte die Grundmandatsklausel ursprünglich gestrichen werden, doch Bundesverfassungsgericht erklärte die Fünf-Prozent-Hürde ohne die Klausel für verfassungswidrig.

Was ändert sich für Wählerinnen und Wähler? Beim Wahlvorgang ändert sich nichts. Die Wähler haben weiterhin eine Erst- und eine Zweitstimme. Mit der Erststimme wählt man einen Direktkandidaten aus dem jeweiligen Wahlkreis. Die Zweitstimme vergibt man an die Landesliste einer Partei. Das Ergebnis der Zweitstimmen legt dann fest, wie viele Sitze eine Partei im Parlament erhält. Es bestimmt damit die proportionale Zusammensetzung des neuen Bundestags. Neu ist allerdings, dass der Kandidat oder die Kandidatin mit den meisten Erststimmen in einem Wahlkreis nicht mehr automatisch in den Bundestag einzieht.

Was bedeutet das konkret? Dieser Fall tritt ein, wenn eine Partei mehr Direktmandate erhält, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. „Also gibt es keine Garantie mehr, dass alle Wahlkreis-Gewinner in den Bundestag einziehen, sondern diejenigen in einem Bundesland, die die schwächsten Erststimmenergebnisse erzielen und bei denen zugleich nicht genug Sitzanspruch über die Zweitstimmen da ist, die ziehen zukünftig nicht mehr ein“, erklärt der Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin.

Welche Nachteile hat das neue Wahlrecht? Dieses Prinzip der Zweitstimmendeckung, das neu eingeführt wurde, führe zu „verwaisten Wahlkreisen“, sagt Faas. Auch gebe es eine Unsicherheit dadurch, „dass wir dieses Wahlsystem einfach noch nicht kennen und nicht erprobt haben“. Die Politikwissenschaftlerin Corinna Kröber von der Universität Greifswald sieht weitere Nachteile: „Die Vielfalt im Bundestag wird massiv sinken.“ Direktmandate würden in Zukunft statistisch mehr ins Gewicht fallen. „Da Direktmandate vorwiegend von weißen Männern gewonnen werden, sitzen prozentual in Zukunft mehr weiße Männer im Bundestag und weniger andere gesellschaftliche Gruppen wie Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund, die typischerweise über Listenmandate einziehen“, so Kröber. Auch könnte das Verständnis für das Wahlsystem in der Bevölkerung weiter sinken. „Viele werden nicht verstehen, was mit ihrer Stimme gemäß der neuen Regeln passiert – und was vielleicht auch unterschiedliche Wahlentscheidungen bedeuten würden. Auch das ist ein Problem für die Legitimität des politischen Systems“, befürchtet Kröber.

Gibt es auch Vorteile? Ja, vor allem die Verkleinerung des Bundestages und damit geringere Kosten. Kröber verweist darauf, dass Abgeordnete monatlich 11.227,20 Euro Gehalt (Stand Juli 2024) bekämen, dazu kämen Gehälter für die Mitarbeitenden, Kosten für Büroräume und vieles mehr. Die Politikwissenschaftlerin beziffert die mögliche Ersparnis nur durch die Wahlrechtsreform auf etwa 325 Millionen Euro und bezieht sich dabei auf eine Schätzung des Bunds der Steuerzahler. „Aus demokratietheoretischer Sicht ist es ein Problem, wenn die gesellschaftliche Akzeptanz für die politischen Institutionen durch zu hohe Kosten untergraben wird“, sagt Kröber. „Somit ist die Verkleinerung aus dieser Perspektive begrüßenswert.“

Ist die Wahlrechtsreform rechtlich zulässig? Ja, in der nun geltenden Version schon. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Reform am 30. Juli 2024 in weiten Teilen für verfassungskonform. Auch die neue Zweitstimmendeckung hält das höchste Gericht für mit dem Grundgesetz vereinbar, auch wenn dadurch Wahlkreisgewinner mit dem schlechtesten Erststimmenergebnis leer ausgehen können. Lediglich die ursprünglich von der Ampel-Regierung geplante Aufhebung der Grundmandatsklausel wurde gekippt. Die Klausel gilt daher bei dieser Bundestagswahl weiterhin.