Dienstag21. Oktober 2025

Demaart De Maart

GazastreifenWas Israel mit der Beschränkung von Hilfslieferungen alles anrichtet

Gazastreifen / Was Israel mit der Beschränkung von Hilfslieferungen alles anrichtet
Ein Mädchen steht neben der Leiche einer Person, die bei der US-israelischer Stiftung „Gaza Humanitarian Foundation“ (GHF) nach Hilfe suchte, dann aber, wie mittlerweile rund 1.400 andere Menschen seit Mai, erschossen wurde. In den meisten Fällen sind es israelische Soldaten, die schießen, sagt die UNO. Foto: AFP

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Hunger, Chaos und Gewalt: Nach fast 22 Monaten Krieg im Gazastreifen ist die humanitäre Lage verheerend.

Seit Fotos von unterernährten Kindern für einen internationalen Aufschrei sorgten, wurden die Hilfslieferungen in den palästinensischen Küstenstreifen erhöht – doch oft erreichen sie nicht diejenigen, die sie am dringendsten benötigen. Von Banden geplündert, unter chaotischen Umständen verteilt oder unter Beschuss an die Durchsetzungsstärksten ausgeteilt, wird der Zugang zu Nahrungsmitteln vielerorts massiv erschwert, berichten Augenzeugen und Mitarbeitende von Hilfsorganisationen.

Im Viertel Al-Sawaida der Stadt Gaza stürmt eine verzweifelte Menschenmenge auf Paletten mit Hilfsgütern zu, die aus einem Flugzeug abgeworfen wurden. In eine Staubwolke gehüllt drängen ausgemergelte Menschen aneinander vorbei und reißen sich gegenseitig die Pakete aus den Händen. Dramatische Szenen wie diese beobachten Journalisten der Nachrichtenagentur AFP jeden Tag im Gazastreifen.

Mohammad Abu Taha hat sich bereits im Morgengrauen zu einer Verteilungsstelle in der Nähe von Rafah im Süden des Gazastreifens begeben, um sich einen Platz in der langen Warteschlange zu sichern. „Tausende hungernde Menschen warteten bereits auf eine Tüte Mehl oder ein wenig Reis und Linsen“, sagt er. Doch als plötzlich Schüsse zu hören waren, gerieten die Menschen in Panik. „Es gab kein Entkommen“, erzählt Taha, „überall Blut, Verletzte, Tote“.

Um Unruhen bei der Verteilung von Hilfsgütern vorzubeugen, wurden Fahrer von Hilfskonvois des Welternährungsprogramms (WFP) angewiesen, schon vor ihrem eigentlichen Ziel anzuhalten. Doch auch dabei kommt es zu chaotischen Szenen. „Ein Lkw-Rad hätte mir fast den Kopf zermalmt“, berichtet ein Mann in der nördlichen Region Zikim, der einen Beutel Mehl ergattert hat.

Teils gefährliche Routen für Hilfskonvois

Fast 1.400 Menschen, die im Gazastreifen auf Hilfslieferungen warteten, sind nach UN-Angaben seit Ende Mai getötet worden – hierfür seien größtenteils israelische Streitkräfte verantwortlich. Israel weist die Vorwürfe zurück und spricht lediglich von abgefeuerten „Warnschüssen“, nachdem sich Zivilisten unrechtmäßig militärischen Stellungen genähert hätten.

Doch nicht nur die Menge an zugelassenen Hilfslieferungen löst Kritik aus, auch gegen Beschränkungen der israelischen Behörden wird wiederholt Protest von internationalen Hilfsorganisationen geäußert: Dabei geht es um verweigerte Grenzgenehmigungen, langwierige Zollabfertigungen, begrenzte Zugangspunkte für Hilfslieferungen und die Beschränkung auf festgelegte, teils gefährliche Routen für Hilfskonvois.

In der Region Zikim im Süden des Gazastreifens habe die israelische Armee etwa kurzfristig die Verladepläne für WFP-Lieferungen geändert. „Der Konvoi musste vorzeitig und ohne angemessene Sicherheitsvorkehrungen aufbrechen“, sagt ein hochrangiger UN-Beamter.

Plünderungen durch Banden

Ein Teil der Hilfsgüter werde zudem von Banden geplündert, die Lagerhallen überfallen und die Hilfsgüter zu überhöhten Preisen weiterverkaufen, heißt es aus humanitären Kreisen. Diese Lebensmittel werden dann an „diejenigen, die es sich noch leisten können, weiterverkauft“, kritisiert der regionale Notfallkoordinator der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, Jean Guy Vataux. Auf den Märkten der Stadt Gaza könne der Preis für einen 25-Kilogramm-Sack Mehl mittlerweile mehr als 400 Dollar (350 Euro) betragen.

Offensichtlich von Hunger betroffen sind unterdessen auch die von islamistischen Kämpfern entführten Geiseln, die Hamas und mit ihr verbündete Milizen seit dem 7. Oktober 2023 im Gazastreifen festhalten. Am Wochenende sorgten Videos für Empörung, auf denen Rom Braslavski und Evyatar David sichtlich ausgehungert vorgeführt werden. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu rief vor diesem Hintergrund das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) auf, die Versorgung der Geiseln mit Nahrungsmitteln und sofortiger medizinischer Hilfe zu unterstützen.

Israel hatte die islamistische Palästinenserorganisation Hamas wiederholt beschuldigt, UN-Hilfslieferungen zu plündern und mit Profit weiterzuverkaufen. Dieses Argument wurde genutzt, um die vollständige Blockade jeglicher Hilfslieferungen zu rechtfertigen, die von März bis Mai über den Gazastreifen verhängt wurde.

Israel habe keine Beweise für Vorwürfe

Inwieweit diese systematischen Plünderungen stattfinden, ist umstritten: Die New York Times zitierte Ende Juli hochrangige israelische Armeemitglieder mit der Aussage, Israel habe keine Beweise dafür, dass die Hamas „systematisch Hilfsgüter“ der UNO gestohlen habe. Deutsche Sicherheitsbehörden gehen hingegen nach jüngsten Aussagen davon aus, dass ein erheblicher Anteil der Güter von Islamisten und Kriminellen gekapert wird.

Der Regionalleiter des UN-Büros für humanitäre Angelegenheiten (OCHA), Jonathan Whittall, sieht auch für die Plünderungen eine israelische Mitverantwortung. Der „eigentliche Diebstahl“ werde „seit Beginn des Krieges von kriminellen Banden unter den Augen der israelischen Streitkräfte begangen, denen es gestattet wurde, in der Nähe des Grenzübergangs Kerem Schalom tätig zu sein“, sagte Whittall.

Israelische und palästinensische Medienberichte erwähnten in diesem Zusammenhang wiederholt die bewaffnete Gruppe Kräfte des Volkes, die aus Mitgliedern eines Beduinenstammes unter Führung von Jasser Abu Schabab besteht. Auch das Politikinstitut Europäischer Rat für Auswärtige Beziehungen (ECFR) beschreibt Abu Schabab als Anführer einer „kriminellen Bande, die im Gebiet von Rafah operiert und der weithin vorgeworfen wird, Hilfsgütertransporte zu plündern“. (AFP)

Überlebenskampf in einer Suppenküche im Gazastreifen: Die Verbrechen, die die Netanjahu-Regierung an den Menschen dort begeht, haben längst das Maß eines Völkermords erreicht</p>
<p>
Überlebenskampf in einer Suppenküche im Gazastreifen: Die Verbrechen, die die Netanjahu-Regierung an den Menschen dort begeht, haben längst das Maß eines Völkermords erreicht

 Foto: AFP/Omar Al-Qattaa