Dienstag23. Dezember 2025

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KinoWas den Film „The Seed of The Sacred Fig“ zur schonungslosen Kritik am iranischen Regime macht

Kino / Was den Film „The Seed of The Sacred Fig“ zur schonungslosen Kritik am iranischen Regime macht
Niousha Akhshi in „The Seed of the Sacred Fig“ Quelle: imdb.com

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Der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof legt seinen neuen Film „The Seed of the Sacred Fig“ als ein Familiendrama an, das er mehr und mehr in einen psychologischen Thriller umkippen lässt, ohne dabei den Blick auf das große Ganze außer Acht zu lassen: In einer Ästhetik aus halbdokumentarischen Handyaufnahmen lässt er eine schonungslose Regimekritik durchsichtig werden.

Das iranische Kino hat mit einer Reihe prominenter Filmemacher, darunter Abbas Kiarostami, Jafar Panahi und Asghar Farhadi, konsequent ein Autorenkino ausgebildet, das fest in der gegenwärtigen Filmkunst verankert ist. Abbas Kiarostami verschaffte dem Iran einen festen Platz auf der Weltkarte des Kinos, als er 1997 bei den Filmfestspielen von Cannes die Goldene Palme für seinen Film „A Taste of Cherry“ gewann.

Das neue iranische Kino, das nach der islamischen Revolution entstand, machte eine bemerkenswerte Entwicklung durch, die die Veränderungen in der iranischen Gesellschaft widerspiegelte. Die westliche Auffassung, der Islam sei antimodern und rückständig, wurde widerlegt, als die in der Zeit nach der Revolution produzierten Filme weltweit Ruhm und Anerkennung ernteten. Das iranische Kino nach der Revolution hat einige wesentliche konstante Merkmale ausgeprägt. Stilistisch warten die Filme mit einer hohen allegorischen Formensprache und einem dichten poetischen Potenzial auf; die erzählten Geschichten nehmen dabei gerne den Charakter von Parabeln an. Oft sind diese Filme bewusst an der Trennlinie zwischen Fiktion und Dokumentation angesiedelt, wenngleich sie fiktive Stoffe erzählen.

Kritik am Regime

Dieser konzeptuellen Tradition sieht sich auch Mohammad Rasoulof verpflichtet. Rasoulof hat sich wiederholt mit den Repressionen des iranischen Regimes auseinandergesetzt. Oft unter den strengen Zensurbestimmungen des iranischen Staates entstanden, seit seinem Debütfilm „Bitter Dream“ (2003), zu „The White Meadows“ (2009) und „Goodbye“ (2011) hat er konsequent und dezidiert eine regimekritische Haltung eingenommen, die die soziale Ungerechtigkeit und die Herausforderungen des Lebens im Iran beschreibt, so etwa das Schicksal der Frau, die Repression des Freiheitswillens, die Ohnmacht des Individuums gegenüber den starren Konventionen des Staates, die im Westen freilich empörte Reaktionen hervorrufen. Die Absurditäten des iranischen Staates und dessen Machtapparate als repressives, menschenverachtendes System werden sehr direkt offengelegt, ein Zünden des Affekts wird mithin gezielt bedient. So auch in seinem neuen Film.

Im Zentrum von „The Seed of the Sacred Fig“ steht ein Familienvater und Jurist, Iman, der freilich nicht zufällig so heißt wie das muslimische Glaubensbekenntnis. Er wurde soeben zum Untersuchungsrichter des Revolutionsgerichts ernannt. Die Beförderung erlaubt es Iman nun, eine Waffe zur Selbstverteidigung tragen zu dürfen. Hier liegt bereits Rasoulofs erster, überaus raffinierter dramaturgischer Kniff, denn die altbekannte Erzählregel „Chekhov’s gun“ besagt, dass ein markantes Objekt, wie zum Beispiel eine Pistole, nur dann in eine Geschichte eingeführt werden sollte, wenn es später eine wesentliche Rolle spielt. In „The Seed of the Sacred Fig“ wird diese Regel nicht nur eingehalten, sondern sogar überaffirmiert. Denn als da plötzlich die Pistole von Iman verschwindet, sieht dieser sich einem erheblichen politischen Rückschlag ausgesetzt, der möglicherweise auch rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnte.

Jina Mahsa Amin

Allmählich beginnt er um das zu fürchten, was er sich über Jahre aufgebaut hat. Anstatt die Geschichte über diese Handlungspunkte rasant voranzutreiben, lässt sich Rasoulof viel Zeit für die Etablierung seiner Figuren, den Vater, die Mutter, die beiden Töchter. Rasoulof legt seinen Film dafür zunächst kammerspielartig an, immer wieder kulminieren die Handlungsszenen in den Privaträumen der Familie, öffnet den filmischen Raum dann für die größere kontextuelle Rahmung, nämlich die Protestbewegung von 2022, die auf den gewaltvollen Tod der 23-jährigen Jina Mahsa Amin folgte. Dieser ereignete sich, nachdem sie von der iranischen Moralpolizei wegen angeblicher Verstöße gegen die Kleidervorschriften festgenommen wurde.

Ihr Tod trat eine Protestwelle großen Ausmaßes los, die sich gegen die strengen Kleidervorschriften und die allgemeine Unterdrückung von Frauen im Iran richtete. Die Proteste wurden von der Forderung nach mehr Freiheit und Gleichheit für Frauen sowie gegen das autoritäre Regime im Iran begleitet. Amini wurde zu einem Symbol des Widerstands gegen die Diskriminierung und die Menschenrechtsverletzungen im Iran – es waren die schwersten und langwierigsten landesweiten Proteste seit der islamischen Revolution im Jahr 1979. Rasoulof bindet immer wieder dokumentarische Aufnahmen von den Aufständen der Frauen, aufgenommen mit den Kameras von Mobiltelefonen, in die Geschichte mit ein und eröffnet so die größere sinnbildliche Kraft des Films, die die herkömmliche Genreschnittstelle aus Familiendrama und psychologischem Thriller weit überschreitet.

Rasoulofs „The Seed of the Sacred Fig“ ist wie oftmals im iranischen Kino als Parabel inszeniert, so fallen hier der autoritäre Staat und die Vaterfigur, Privat- und Öffentlichkeitsraum in eins. Der Vater muss im Zuge der andauernden Revolte Urteile aussprechen, ohne die genaue Sachlage zu kennen, seine Töchter begehren zunehmend gegen ihn auf. Der Esstisch der Familie wird so zu einem persönlichen Gerichtssaal, wo familiäre Anklagen erhoben werden. Der Film spiegelt so die gesellschaftlichen und generationalen Konflikte wider, die den Iran seit der Gründung der Islamischen Republik im Jahr 1979 prägen. Diese Konflikte, die seit 2002 immer wieder gewaltsam auf den Straßen ausgetragen werden, werden in die Wohnräume einer Familie aus der islamistischen Führungsschicht übertragen. Eine Zeit lang ist Iman nahezu apathisch, bevor er, in dem Versuch, sich selbst zu retten, seine eigene Familie in eine gefährliche Lage bringt. Dies wird als eine Art Enthüllung inszeniert. Die autoritäre Kontrolle des iranischen Staates über die Körper und Gedanken seiner Bürger, insbesondere der Frauen, tritt nicht länger verborgen in den alltäglichen Routinen auf, sondern zeigt sich nun als offener, gnadenloser Familienterror. Darin liegen sein Mut und seine politische Brisanz.

Macht des Bildes

Rasoulofs Film folgt somit einer Tendenz des iranischen Films als das im Westen anerkannte und etablierte Kunstkino, das auf Festivals gezeigt wird und internationale Preise gewinnt. Es ist ein gegenwartsbezogenes, sozial-realistisches und engagiertes Gegenkino zu den nationalistischen und innenpolitisch motivierten kommerzielleren Produktionen, die im Iran äußerst erfolgreich, im Westen aber kaum bekannt sind. Das iranische Kino schließt in diesem Sinne auch eine westlich geprägte Wahrnehmung des iranischen Films mit ein, der sich als fest etablierter Bilderkanon in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben hat. Es sind Bilder aus dem Iran als Bilder über den Iran – es entsteht mithin eine Filmrezeption entlang spezifischer Wahrnehmungsmodi von Moralvorstellungen und einem festen Wertekodex.

Es ist eine fortwährende, endlos scheinende Anklage der immergleichen Missstände. Sie akzentuiert so Fremdes und Andersartiges, blendet aber Familiäres und Vertrautes eher aus. Daraus erwächst in der eurozentrischen Wahrnehmung unvermeidlich ein Verständnis des iranischen Films, das über dieses Bilderreservoir aus dem gegenwärtigen Iran geliefert wird, unsere Vorstellungswelt über den Iran also an diesen medial vermittelten Kanon bindet. Dies sei keinesfalls als ein Einwand gegenüber der künstlerischen Qualität von „The Seed of the Sacred Fig“ – der Gewinner des Spezialpreises der Jury bei den vergangenen Filmfestspielen in Cannes – zu verstehen, sondern vielmehr als eine Bewusstmachung für die möglichen Zerrbilder, die dabei entstehen können – nimmt man denn diese Bilder pars pro toto für das gesamte iranische Filmschaffen.