Plant die Ampel mehr als die bloße Umwidmung von Hartz IV?
Ja, denn einige wesentliche Änderungen im System der Grundsicherung sind vorgesehen. Allerdings weckt die Umbenennung höher gesteckte Erwartungen, die nicht erfüllt werden – etwa die, dass die Regelsätze der Grundsicherung künftig deutlicher steigen dürften. „Die Umbenennung von Hartz IV in Bürgergeld ist für sich genommen eine gute Sache, weil sie zu einer Entstigmatisierung der Grundsicherung beitragen kann. Aber ein echter Systemwechsel verbirgt sich nicht dahinter“, sagt auch Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW).
Was soll sich beim Bezug der Grundsicherung ändern?
Erleichterungen, die in der Corona-Pandemie eingeführt wurden, sollen dauerhaft gelten. So soll es zwar weiterhin eine Bedürftigkeitsprüfung geben, doch wird die Angemessenheit der Wohnung in den ersten beiden Jahren des Bezugs auch nach der Pandemie nicht mehr geprüft. Auch die Vermögensanrechnung soll entfallen und das Schonvermögen erhöht werden. „Im Zweifelsfall könnten künftig Reiche einen Anspruch auf die Transferleistung bekommen. Es kann aber nicht sein, dass jemand Hartz IV erhält, der eine Belétage im Grunewald oder am Tegernsee bewohnt“, kritisiert der IW-Experte Schäfer. Dadurch drohe die Grundsicherung an gesellschaftlicher Akzeptanz zu verlieren.
Was ist bei den Sanktionen geplant?
SPD, Grüne und FDP wollen die Sanktionen bei Regelverstößen zwar nicht grundsätzlich abschaffen, wie etwa von den Grünen gefordert. Sie sollen aber bis Ende 2022 reformiert werden. Bis zur gesetzlichen Neuregelung soll es laut Koalitionsvertrag ein „einjähriges Moratorium“ geben – was bedeutet, dass Strafen bald entfallen dürften. „Damit schlägt man dem Job-Center den Hebel aus der Hand, um an Menschen heranzukommen, die sich komplett verweigern“, sagt Schäfer. In Studien sei nachgewiesen worden, dass die Sanktionen durchaus wirkten und sich Empfänger danach leichter wieder eingliedern ließen. Ohnehin liegt die Sanktionsquote mit nur drei Prozent aller Fälle pro Jahr sehr niedrig.
Womit haben Grundsicherungsempfänger bei der Betreuung zu rechnen?
„Der Vermittlungsvorrang wird abgeschafft“, heißt es im Vertrag. Bezieher, die eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme, etwa ein Bewerbungstraining, begonnen haben, müssen diese bei einem Jobangebot künftig nicht mehr beenden. Das kann im Falle einer Aus- oder Weiterbildung hin zu einem Berufsabschluss sinnvoll sein, nicht aber als generelle Vorgabe. Denn die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt im Job deutlich besser als in jeder Maßnahme. „Den Vermittlungsvorrang zu streichen, ist ein schwerer Fehler“, sagt Schäfer.
Was will die Ampel bei den Zuverdienstmöglichkeiten ändern?
Bisher belohnt das System niedrige Zuverdienste mit geringen Arbeitszeiten, während es höhere Verdienste und mehr Arbeitsstunden bestraft. „Der typische Arbeitslosengeld-II-Empfänger hat einen Mini-Job mit ganz geringem Verdienst, weil der nicht auf die Transferleistung angerechnet wird“, sagt Schäfer. Die Reform müsse das umkehren: Die geringen Zuverdienste komplett anrechnen und die Freibeträge bei höheren Verdiensten deutlich erhöhen. Steigen allerdings die Freibeträge, dürften bald deutlich mehr Menschen aufstockende Hilfe zum Lebensunterhalt beantragen können.
Welche Sozialleistungen will die Ampel im Bürgergeld bündeln?
Arbeitslosengeld II, Wohngeld, der Kinderzuschlag für Alleinerziehende und andere Sozialleistungen sollen besser miteinander verzahnt werden. Da die Leistungen an unterschiedliche Kriterien gekoppelt sind, kann die paradoxe Situation vorkommen, dass Betroffene durch Anrechnungen am Ende netto weniger haben, wenn sie eigentlich brutto mehr verdienen.
Ist das Bürgergeld ein Schritt in Richtung bedingungsloses Grundeinkommen?
Ja, denn die Vermögensprüfungen werden in den ersten beiden Jahren abgeschafft, die Sanktionsmöglichkeiten begrenzt. Allerdings will die Ampel die Bedürftigkeitsprüfung beibehalten, die bei einer bedingungslosen Leistung entfallen würde.
Wird die Grundsicherung für die Steuerzahler teurer werden?
Das ist absehbar, denn die Verbesserung der Zuverdienstmöglichkeiten und der Betreuungsleistungen, geplante Pauschalen bei den Kosten der Unterkunft sowie der Wegfall der Vermögensprüfungen in den ersten beiden Jahren dürften zu deutlichen Mehrausgaben führen.
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