Sonntag21. Dezember 2025

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In Luxemburgs KinosWarum sich „Kill the Jockey“ als Ritt ins Absurde und „Weapons“ als Horror-Puzzle entpuppen

In Luxemburgs Kinos / Warum sich „Kill the Jockey“ als Ritt ins Absurde und „Weapons“ als Horror-Puzzle entpuppen
Figuren wie aus dem Horror-Bilderbuch: Amy Madigan in „Weapons“ Quelle: imdb.com

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Filmunikat und Horror-Puzzle: Was hat es mit den neuen Filmen „Kill the Jockey“ und „Weapons“ auf sich? Zwei Kritiken, die mehr über die Streifen verraten. 

„Kill the Jockey“: Ritt ins Absurde (Rating: 4/5)

Mit „Kill the Jockey“ legt Luis Ortega eine wilde Mischung aus Gangsterdrama, Slapstick-Parabel und surrealem Sportfilm vor. Was als Geschichte um einen gescheiterten Star-Jockey beginnt, entfaltet sich zu einem aberwitzigen Panorama existenzieller Verlorenheit.

Hauptdarsteller Nahuel Pérez Biscayart (r.) und Úrsula Corberó (l.) in „Kill the Jockey“
Hauptdarsteller Nahuel Pérez Biscayart (r.) und Úrsula Corberó (l.) in „Kill the Jockey“ Quelle: imdb.com

Der argentinische Filmemacher Luis Ortega entwirft mit „Kill the Jockey“ eine sonderbare Geschichte: Vordergründig scheint es um einen Star-Jockey in Buenos Aires zu gehen, tatsächlich aber entfaltet sich eine hybride Mischung aus Gangsterthriller, surrealer Parabel und existenziell grundiertem Experiment. Remo Manfredini (Nahuel Pérez Biscayart) war einst ein gefeierter Star, inzwischen ist er ein Schatten seiner selbst. Für den Syndikatsboss Sirena (Daniel Giménez Cacho) reitet er zwar noch, doch seine besten Tage sind vorbei. Schon in einer der ersten Szenen wird deutlich, wie tief Remo gefallen ist: Aus einer schäbigen Schenke in voller Rennmontur, sturzbetrunken und apathisch, wird er von den Schergen des Gangsters angegriffen. Noch am selben Tag wird Remo zur Rennbahn geschleppt, nur um beim Start sofort vom Pferd zu stürzen. Seine Eskapaden mit Alkohol und Drogen sind weniger Exzesse als Fluchtversuche: Der Versuch, sich einer Karriere zu entziehen, die längst zum Zwang geworden ist. Doch das Syndikat will nicht loslassen, zwingt ihn in einen kalten Entzug, um ihn anschließend mit dem eigens importierten japanischen Superpferd Mishima erneut ins Rennen zu schicken.

Genre-Mix

Ortega erzählt dies mit einem ironischen Unterton, der alle Erwartungen an einen „Sportthriller“ konterkariert. Schon die Bar-Szene zu Beginn deutet an, dass hier keine realistische Milieustudie betrieben wird. Vielmehr entfaltet sich ein groteskes Personal, das eher an eine schiefe Märchenwelt erinnert. Die Kameraarbeit von Timo Salminen, Stammkameramann von Aki Kaurismäki, verbindet Lakonie mit Abstrusität und lässt selbst banale Alltagsmomente in schillernder Ästhetik aufglühen. Im Unterschied zu experimentelleren Regisseuren wie Mariano Llinás oder Lisandro Alonso bleibt Ortega stärker bei konventionellen Erzählschablonen, die er jedoch exzessiv durcheinanderbringt.

Bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig 2024: der Regisseur Luis Ortega
Bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig 2024: der Regisseur Luis Ortega Foto: Harald Krichel, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

„Kill the Jockey“ ist Sportfilm, Gangsterdrama, Melodram, Musical und Rachegeschichte zugleich – und schlussendlich doch nicht. Ortega zitiert, bricht, parodiert und überhöht, bis jeder Ansatz einer Genrebestimmung ins Leere läuft. Bemerkenswert ist, wie der Regisseur den Körper in Szene setzt. Seinen Figuren wohnt die Slapstick-Mechanik inne: Bewegungen, Stürze, Kollisionen gehorchen einer physischen Logik, die an Buster Keaton erinnert. Nicht zufällig wurde Biscayart nach der Premiere bei den Filmfestspielen von Venedig 2024 immer wieder mit dem Stummfilmstar Buster Keaton verglichen. Mit stoischer Miene wird Remo die unwahrscheinlichsten Wendungen durchstehen, als sei alles nur eine weitere absurde Episode. Doch anders als im klassischen Slapstick bleiben die Verletzungen hier real. Körper zerbrechen, Wunden reißen auf, Narben bleiben zurück. Remo etwa zerstört den Supergaul Mishima – und zerstört dabei sich selbst. Mit Verband am Kopf taumelt er wie ein lebender Toter durch ein traumwandlerisches Buenos Aires.

Filmunikat

Alles in „Kill the Jockey“ wirkt betäubt, verfremdet, entrückt. Hinter dieser Ästhetik verbirgt sich eine schonungslose Diagnose: Ortega legt die brachiale Mechanik frei, mit der nicht nur ein Gangstersyndikat, sondern auch die neoliberale Gegenwart Argentiniens Menschen zu- und abrichtet. Das System erscheint in diesem Film als eine Macht, die Körper und Seelen gleichermaßen deformiert. „Kill the Jockey“ ist damit ein Film der Überschüsse, der unaufhörlich neue Einfälle produziert und sich jeder begrifflichen Festlegung entzieht. Gerade darin liegt sein größter Reiz: Ortega schafft ein argentinisches Filmunikat, das mit Witz, Brutalität, Melancholie und anarchischer Energie gleichermaßen arbeitet – ein Werk, das Konventionen ignoriert und die Wirklichkeit entstellt, um sie deutlicher sichtbar zu machen.


„Weapons“: Horror als Puzzlespiel (Rating: 3/5)

Mit „Weapons“ festigt Zach Cregger seinen Ruf als einer der aufstrebenden Horrorregisseure der Gegenwart – ein vielschichtiges Puzzle aus Schuld, Angst und kindlicher Unschuld. Zach Cregger, der 2022 mit „Barbarian“ bereits bewies, dass er den klassischen Horrorfilm nicht nur kennt, sondern auch bewusst bricht, wagt mit „Weapons“ ein komplexes Puzzlespiel aus Figuren, Perspektiven und Andeutungen, das weniger auf lineare Spannung als auf eine Atmosphäre des allgegenwärtigen Unbehagens setzt.

Im Zentrum steht zunächst Alex (Cary Christopher), ein unscheinbarer Grundschüler aus der Kleinstadt Maybrook. Er gehört zu den Kindern, die nicht auffallen – weder durch besondere Begabung noch durch Rebellion. Umso schockierender ist es, als eines Nachts um exakt 2:17 Uhr alle seine Klassenkameraden aus den Häusern ihrer Eltern verschwinden. Nur Alex bleibt zurück.

„Witch“

In „Weapons“ verschwinden eines Nachts zahlreiche Kinder
In „Weapons“ verschwinden eines Nachts zahlreiche Kinder Quelle: imdb.com

Der Film baut dieses Mysterium mit beunruhigender Muße auf. Die Kinder ziehen schweigend durch verlassene Straßen, die Arme wie Flugzeuge ausgestreckt – ein eindrückliches Bild. Die Erwachsenen, die zurückbleiben, reagieren erwartungsgemäß mit Panik, Schuldzuweisungen und Verzweiflung. Im Mittelpunkt der Verdächtigungen steht die Lehrerin Justine Gandy (Julia Garner), die plötzlich das Stigma einer Hexe trägt, nachdem jemand „Witch“ in roter Farbe auf ihr Auto schmiert. Dass sich dieser Schriftzug nicht mehr entfernen lässt, wirkt zunächst wie ein übernatürliches Detail, zugleich aber auch wie eine bittere Metapher: Wer einmal gebrandmarkt ist, bleibt es für immer. Garner spielt Justine ambivalent – verletzlich, aber auch mit einer unterschwelligen Härte, die das Publikum immer wieder zweifeln lässt, ob ihre Unschuld wirklich so selbstverständlich ist.

Herausforderung: die Erzählweise

Parallel dazu erzählt der Film die Geschichte von Archer Graff (Josh Brolin), einem Vater, der im Zimmer seines verschwundenen Sohnes verweilt, als könnte er ihn mit bloßer Willenskraft zurückholen. Brolin verleiht dieser Figur eine Mischung aus Trauer und Gewaltbereitschaft, die sich im Laufe der Handlung zunehmend in Obsession verwandelt. Er wird zu einem Motor der Eskalation, der die Hexenjagd gegen Justine vorantreibt. Statt einer linearen Erzählung wählt Cregger ein fragmentarisches Mosaik. Aus sechs Perspektiven – Justine, Archer, Paul, der Junkie Anthony (Austin Abrams), der Fremde Andrew (Benedict Wong) und schließlich Alex selbst – baut sich ein Bild, das sich nie ganz vervollständigt.

Der Regisseur Zach Cregger
Der Regisseur Zach Cregger Quelle: imdb.com

Diese Erzählweise ist herausfordernd: Manchmal scheint der Film sein eigenes Mysterium aus dem Blick zu verlieren, wenn er Nebenfiguren in den Vordergrund rückt. Jede Perspektive fügt einen neuen, beunruhigenden Ton hinzu, sodass die Welt von Maybrook immer brüchiger, unheimlicher und unübersichtlicher erscheint. Ein Wohnzimmer, in dem Eltern starr im Dunkeln sitzen, wird zum Bild eingefrorener Verzweiflung. Fenster, die mit Zeitungen verklebt sind, lassen die Häuser wie Gefängnisse wirken. Selbst alltägliche Geräusche verwandeln sich durch das Sounddesign von Cregger und den Holladay-Geschwistern in unheilvolle Vorboten – eine unnatürlich lange Stille genügt hier, um Angst auszulösen.

Was bleibt

„Weapons“ kreist um die Themen Schuld, Unschuld und die Verführbarkeit der Schwächsten. Das Verschwinden der Kindern ist hier der größte Horror, weil es nicht nur Leben zerbricht, sondern auch den Sinn, die Zukunft und das Vertrauen in die Welt auslöscht. Dass Alex als einziger nicht dem nächtlichen Ruf folgt, macht ihn zur Ausnahme, aber auch zur Projektionsfläche für Angst und Misstrauen. Am Ende, wenn seine Perspektive endlich vollständig erzählt wird, ist von kindlicher Unschuld nichts mehr übrig. Was bleibt, ist eine beklemmende Mischung aus Resignation und innerer Zerstörung. Der Horror liegt nicht im Monster im Keller, sondern in der Ahnung, dass in den sicher geglaubten Strukturen unserer Gesellschaft – Familie, Schule, Gemeinschaft – etwas unheilbar verloren ist.