Die Bilder und Nachrichten beim EU-Anwärter Serbien verstören – und beunruhigen. Brennende Büros der Regierungspartei, Straßenschlachten, brutale Prügelorgien der Polizei und ein immer nervöser wirkender Staatschef: Was ist los im Balkanstaat?
Gewalt eskaliere auf dem Balkan „nie zufällig“, erklärte einst Oliver Ivanovic, ein liberaler Politiker der Kosovo-Serben, gegenüber dem Tageblatt, bevor er selbst 2018 bei einem Attentat in Nord-Mitrovica ermordet wurde. Auch die jetzige Radikalisierung der Proteste wirkt von Belgrads Machthabern durchaus gewollt. Bewusst lässt der zunehmend unter Druck geratene Präsident Aleksandar Vucic die seit Monaten anhaltenden Spannungen an Donau und Save eskalieren.
Die Ausschreitungen hätten auch eine „gute Seite“, „die Masken sind gefallen“, verkündete in diesen Tagen mit kaum verhüllter Genugtuung Serbiens Dominator: Jeder könne angesichts der ausgebrannten Parteibüros nun sehen, dass die von ihm als „Terroristen“ geschmähten Demonstranten „außer Gewalt nichts zu bieten“ hätten.
Tatsächlich geht alle Gewalt in Serbien unter der Führung von Vucic schon seit Jahren nicht vom Volk, sondern oft buchstäblich von der Staatsspitze aus. Seit im November 16 Menschen unter den Trümmern des eingestürzten Vordachs im neu renovierten Bahnhof von Novi Sad ums Leben kamen, haben Hunderttausende Serben monatelang friedlich gegen die tödliche Korruption protestiert – trotz wiederholter Provokationen und Übergriffe von SNS-Anhängern und der Polizei. Doch wie sind die jetzigen Unruhen zu erklären?
Polizisten prügeln wie von Sinnen
Die Stimmung sollte kippen, als die SNS in der letzten Woche muskulöse „Loyalisten“ in zwei Provinzstädte karren ließ: Unter dem Schutz der Polizei beschossen die Auftragsschläger Demonstranten mit Feuerwerkskörpern und traktierten sie mit Knüppelschlägen. Für Empörung haben auch die polizeilichen Gewaltexzesse in Valjevo gesorgt: Wie von Sinnen prügelten und traten dabei rund 20 Gesetzeshüter auf zwei wehrlos am Boden liegende Jugendliche ein.
Mittlerweile werfen sich beide Seiten Gewaltexzesse vor. Es lässt sich zwar kaum überprüfen, ob sich die maskierten Jugendlichen, die die SNS-Büros in Novi Sad und Valjevo verwüsteten, nur aus Regierungsgegner oder auch aus Provokateuren der Geheimdienste rekrutierten. Auffällig war aber, dass das am Vortag noch von SNS-Loyalisten und Sicherheitskräften massiv gesicherte SNS-Büro in Novi Sad bei seiner Erstürmung völlig verlassen und unbewacht war.
Gewalt eskaliert auf dem Balkan nie zufällig
Egal ob Vucic mit seiner dunklen Ankündigung, „Recht und Ordnung“ wiederherzustellen, Schnellverfahren gegen vermeintliche „Terroristen“ oder gar die Verhängung des Ausnahmezustands plant, um Neuwahlen zu vermeiden: Wenn die EU in Serben nicht noch mehr Kredit verlieren will, sollte sie viel klarer als bisher zu ihm auf Distanz gehen.
Ob der in der Publikumsgunst tief gefallene Vucic sein Land ausgerechnet mit mehr Repression befrieden kann, ist ohnehin fraglich. Mit dem Benzin der Gewalt lassen sich kaum Protestbrände löschen: Bisher hat jede Regierungsattacke Serbiens Protestwelle eher beflügelt als geschwächt.
De Maart
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