Montag27. Oktober 2025

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StandpunktWarum die Deglobalisierung die US-Inflation verschlimmert

Standpunkt / Warum die Deglobalisierung die US-Inflation verschlimmert
 Foto: AFP/Getty Images/Spencer Platt

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Heute wird weithin akzeptiert, dass die Deglobalisierung – Abbau des Welthandels, Entflechtung der Kapitalflüsse, neue Barrieren für Migration und abnehmender Einfluss multilateraler Institutionen – immer stärker wird. Noch nicht erkannt haben die Politiker aber, wie dies zur globalen Inflation beiträgt. Um die massiven Preiserhöhungen in den Griff zu bekommen, müssen sich die Federal Reserve und andere Zentralbanken an die Herausforderungen einer sich schnell deglobalisierenden Welt anpassen.

Die Globalisierung hat die Arbeits- und Produktionskosten verringert und so als deflationäre Kraft gedient. Entsprechend sind die Hauptmerkmale der Deglobalisierung – höhere Zölle und andere Handelsbarrieren sowie der Übergang von globalen zu regionalen Handelsflüssen – als Inflationstreiber bekannt. So überrascht es nicht, dass die Kernwareninflation in den Vereinigten Staaten stark gestiegen ist – von weniger als 2 Prozent Anfang 2021 auf 6 Prozent Mitte 2022.

Kürzlich habe ich argumentiert, die US-Inflation werde bald zurückgehen, da die US-amerikanische Volkswirtschaft bestens in der Lage sei, den Einfluss steigender Preise abzumildern. Aber wahrscheinlich wird die Deglobalisierung zum Inflationsdruck beitragen, indem sie die Betriebskosten der Unternehmen erhöht. Deshalb wird die US-Inflation wohl zukünftig höher liegen als die 1 bis 2 Prozent des letzten Jahrzehnts und sich eher in der Nähe des Fed-Zielbereichs von 2 Prozent bewegen.

Eine wachsende sino-amerikanische Rivalität

Seit Jahrzehnten haben die US-Konzerne enorm von den deflationären Effekten der Globalisierung profitiert. Jetzt allerdings ist zu erwarten, dass die anhaltenden Störungen der Lieferketten – durch Chinas strenge Null-Covid-Politik und Russlands Krieg in der Ukraine – kurz- und mittelfristig zu weiteren Preissteigerungen für Nahrungsmittel, Brennstoffe und Produktionsgüter führen.

Allgemeiner betrachtet drohen die verschärften geopolitischen Spannungen höhere Faktorkosten zum festen Inventar einer sich deglobalisierenden Welt zu machen. Während die globalisierte Wirtschaft der letzten drei Jahrzehnte durch den grenzüberschreitenden Fluss von Waren, Kapital und Menschen gekennzeichnet waren, könnte die wachsende sino-amerikanische Rivalität eine Ära einleiten, die von einer stärkeren ideologischen Spaltung und einer balkanisierten Weltwirtschaft geprägt ist. Migrationsbarrieren könnten zu steigenden Arbeitskosten führen und es den US-Unternehmen erschweren, die besten Talente weltweit anzuziehen.

Im Zuge steigender Zinsen und immer noch empfindlicher Lieferketten werden die US-Firmen weniger auf niedrige Herstellungskosten als vielmehr auf Robustheit Wert legen, was massive Kapitalrückführungen zur Folge hat. Laut einem Index der Yale School of Management haben über 1.000 Unternehmen – darunter viele amerikanische – ihre Aktivitäten in Russland freiwillig stärker zurückgefahren, als es die internationalen Sanktionen erfordern. In einer deglobalisierten Wirtschaft würde mehr Investitionskapital zurück in die USA fließen, wodurch sich zusätzliche Dollars auf die Suche nach US-Anlagegütern machen und damit preissteigernd wirken würden.

Und schließlich könnten die weltweiten Preiserhöhungen durch den bemerkenswerten Mangel an geldpolitischer Koordination verstärkt werden – insbesondere zwischen den Industrieländern: Während die Politiker der großen Volkswirtschaften bei ihrer Reaktion auf die weltweite Finanzkrise von 2008 noch an einem Strang zogen, scheinen sie heute zu glauben, jedes Land müsse die aktuelle Inflation für sich allein bekämpfen. Obwohl die G7-Staatschefs versprochen haben, die globale Inflation zu überwachen, haben sie keine Maßnahmen angekündigt, um den steigenden Preisen gemeinsam etwas entgegenzusetzen. Im Gegenteil, die einzige gemeinschaftliche Politik der G7 der jüngsten Zeit waren die Sanktionen gegen Russland, und diese haben den Inflationsdruck möglicherweise noch verschärft, da sie zu stärkeren Unterbrechungen der Lieferketten und höheren Brennstoffpreisen geführt haben.

Inflation wird in ärmere Länder exportiert

Dass keine globale Kooperation stattfindet, schadet den verletzlichsten Ländern der Welt am meisten: Erhöhen die großen Zentralbanken ihre Zinsen, exportieren sie die Inflation in kleinere Länder. Die aggressive geldpolitische Straffung in den USA hat bereits dazu geführt, dass der Dollar gegenüber dem Pfund gestiegen ist, die Parität zum Euro durchbrochen hat und ein 20-Jahres-Hoch gegenüber dem Yen erreicht hat. Und in Ländern mit schwächerer Währung führt dies zu einer höheren, importbedingten Inflation.

Der Kampf gegen die Inflation in den USA und in aller Welt erfordert eine koordinierte multilaterale Antwort. Und eine solche Antwort würde auch den USA nützen, da sie langfristig weniger anfällig für steigende Importkosten wären. Umgekehrt erhöht die diplomatische Fragmentierung – ein typisches Merkmal unseres momentanen Zeitalters der Deglobalisierung – die Wahrscheinlichkeit für Vergeltungsmaßnahmen, die bereits in den letzten Jahren zu einer Vielzahl von Handelsbarrieren geführt haben, insbesondere zwischen den USA und China sowie zwischen Großbritannien und Europa.

Gemeinsam führen diese Trends zu einem weltweiten Umfeld, das die US-Inflation weiter anfeuern wird – auch wenn Amerika weniger vulnerabel ist als andere Industrieländer. Die momentanen Bemühungen der Fed, die Inflation durch Zinserhöhungen und Schrumpfung ihrer Bilanz zu senken, werden die Nachfrage verringern und damit dazu beitragen, das Preiswachstum im Rahmen zu halten. Aber die Politiker müssen auch Maßnahmen treffen, um die Folgen der heutigen globalisierten Welt abzumildern.


* Dambisa Moyo, eine internationale Ökonomin, ist Verfasserin von vier „New York Times“-Bestsellern, darunter „Edge of Chaos: Why Democracy Is Failing to Deliver Economic Growth – and How to Fix It“ (Basic Books, 2018).

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

Copyright: Project Syndicate, 2022

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