Mittwoch5. November 2025

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EditorialWarum das Tageblatt bisher nicht über das Urteil eines Pädokriminellen berichtete

Editorial / Warum das Tageblatt bisher nicht über das Urteil eines Pädokriminellen berichtete
Symbolbild: in einem Gerichtssaal der „Cour de justice“ Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Das Gerichtsurteil gegen einen Pädokriminellen löst derzeit eine Welle der Empörung und Sensationslust in der luxemburgischen Presselandschaft aus: Der Mann wurde in erster Instanz zu 13 Jahren Haft verurteilt – teilweise auf Bewährung – und geht dagegen in Berufung. Während die Öffentlichkeit mit jedem neuen Bericht weiter aufgepeitscht wird, stellt sich die Frage: Ist der aktuelle mediale Umgang mit dem Fall noch verantwortungsvoll?

Das Wort deckte den Prozess vor rund einem Monat zunächst als „fait divers“ ab. Brisant wurde das Dossier erst, als sich das Umfeld des Angeklagten öffentlich gegen ihn positionierte und dies Schlüsse auf seine Identität ermöglichte. Am Freitag führte das Blatt ein Interview, in dem der Angeklagte höchst problematische Töne anschlägt. Aussagen, die wir aus Rücksicht auf alle Betroffenen sexualisierter Gewalt an dieser Stelle nicht wiederholen. Das Gespräch mit dem Wort wurde inzwischen sowohl von der RTL-Journalistin Annick Goerens als auch von der feministischen Plattform „JIF“ und der Organisation „La voix des survivant(e)s“ aufs Schärfste kritisiert. Der Zeitung wird zu Recht u.a. vorgehalten, dem Angeklagten freie Bahn zu schaffen, um sich als eigentliches Opfer zu inszenieren. 

Diese medienkritische Debatte ist absolut berechtigt und notwendig, nur lenkt sie gleichzeitig vom eigentlichen Thema ab – der Pädokriminalität, die sich immer wieder als akutes Problem unserer Gesellschaft offenbart. Im April zerschlugen Ermittlungsbehörden aus über 30 Ländern die Website „Kidflix“, die pädokriminelle Inhalte verbreitete: Sie zählte zwei Millionen Nutzende weltweit. 79 Menschen wurden festgenommen, Hunderte Tatverdächtige ausfindig gemacht. Zahlen des „Planning familial“ aus Luxemburg zeigen: 65 Prozent der Opfer sexualisierter Gewalt, die das „Planning familial“ begleitet, wurden vor ihrem 18. Lebensjahr zum ersten Mal missbraucht; 31 Prozent waren nicht einmal zwölf Jahre alt. Die Angreifer sind meist Männer aus dem Familien- und Bekanntenkreis. 

Umstände, über die durchaus offen und laut gesprochen werden muss. Immer wieder. Wir spielen mit offenen Karten: Dem Tageblatt war die Identität des Angeklagten aus Luxemburg bereits vergangene Woche bekannt. Im Zuge unserer Recherchen führten wir etliche Telefonate mit seinen Wegbegleitern, die sich erschüttert zeigten. Sie waren aufgelöst, wütend, schockiert. Mehrfach versicherten sie: „Wir wussten nichts davon.“ Es folgte ein kurzer Mail-Austausch mit dem Angeklagten. Wenig später gingen die ersten öffentlichen Stellungnahmen von Vereinen ein, in denen der Mann sich in der Vergangenheit ehrenamtlich engagierte. Andere Medien horchten auf, der Stein geriet ins Rollen.

Wir hätten dem zuvorkommen können, um in den „Klicks“ einer sensationsgierigen Leserschaft zu baden. Stattdessen schwiegen wir. Bis jetzt. Zum einen, weil wir den Verhaltenskodex des luxemburgischen Presserats ernst nehmen, nach dem Medienschaffende Minderjährige besonders schützen müssen. Zum anderen, weil wir uns intensiv mit dem möglichen Mehrwert einer Berichterstattung auseinandersetzen: Welche Geschichte müssen und wollen wir erzählen? Wen gilt es, wie zu schützen? Wer soll zur Sprache kommen – und wer nicht? Die Ergebnisse unserer Überlegungen lesen Sie bald. 

Reinertz Barriera Manfred
25. Mai 2025 - 14.45

Wenn eine Bankster verurteilt wird zu einer Millionenstrafe nennt man den Namen, weshalb den Namen des Pädokriminelles nennen wenn er verurteilt worden ist ?

Pin Mac
25. Mai 2025 - 7.32

........aus Symphatie...????.

Guy Mathey
24. Mai 2025 - 22.31

In dem es einem Pädokriminellen eine Plattform bot, sich als Opfer zu inszenieren hat sich das Luxemburger Wort einen gewaltigen Fehltritt geleistet, welcher eigentlich unmittelbar personelle Konsequenzen im Chefredaktionsteam haben müsste.
Sehr gut gefällt mir hingegen die Herangehensweise des Tageblatt, welches auf Basis einer Analyse aller Faktoren entscheidet, wie und was es über derartige Verbrechen berichten möchte.
"La honte doit changer de camp" sprach die mutige Gisèle Pélicot, eine Aussage, welcher man uneingeschränkt zustimmen kann. Kein Opfer muss sich für das schämen, was ihm zugestossen ist.
Generell und dies gilt in speziellen Masse, wenn Minderjährige involviert sind, muss allerdings der Schutz der Privatsphäre der Opfer absoluten Vorrang geniessen, gegenüber der Information der Öffentlichkeit.
Andererseits ist es natürlich sehr wichtig, dass die Öffentlichkeit von solchen Verbrechen und den ggf. damit verbundenen Unzulänglichkeiten, wie etwa überlange Zeitspanne bis zum Urteil, lächerlich niedriges Strafmass, inakzeptable Bewährungsstrafe, usw. erfährt. Nur so kann die Öffentlichkeit sensibilisiert werden, die Politik zu motivieren, zeitnah die längst überfälligen Gesetzes Anpassungen vorzunehmen. Zudem sollte auch die Identität solcher Verbrecher nicht grundsätzlich verschwiegen werden.
Aus all diesen Faktoren lässt sich ableiten, dass die Presse stets eine hohe Verantwortung trägt, was eine angemessene Berichterstattung über derartige Verbrechen betrifft. Der Presserat sollte dazu Leitlinien erarbeiten, dennoch wird man in den Redaktionen nicht umhinkommen, jeden Fall einzeln zu bewerten, wobei, wie bereits geschrieben, der Opferschutz stets Vorrang geniessen muss.

Luxmann
24. Mai 2025 - 10.19

Als absoluter outsider der Luxemburger theaterszene habe ich inzwischen auch gefunden wie der verurteilte heisst.
Mit dem interview haben er selbst und das LW sich kaum einen guten dienst erwiesen.

HeWhoCannotBeNamed
24. Mai 2025 - 9.51

Ich kann diese Argumentation absolut nachvollziehen....
...und entschuldige mich sogleich für diesen 'whataboutism' : wenn die Berichterstattung sich (berechtigterweise) zurückhält um dem Täter nicht eine Plattform für sein Narrativ mit Täter-Opfer-Umkehr zu bieten - wieso gilt das nicht auch für den Mittäter am Jeunesse-Jugendtraining? Jenes Interview mag zwar interessant gewesen sein, eine äußerung wie "ich habe nichts unrechtes getan" stößt aber sauer auf, besonders wenn man an die Konsequenzen des Vorfalls denkt - und an den Umstand dass die Richter eine Mitschuld des Interviewten zurückbehalten haben! Ali hat weder die Möglichkeit, selbst zu Wort zu kommen - und hat wohl auch keine Schar an Wegbegleitern, die für ihn sprechen könnten...
Wieso diese zweierlei Maß?