Freitag7. November 2025

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Interview mit Uni.lu-ExperteWarum autonome Fahrzeuge nicht perfekt sein werden – aber besser als menschliche Fahrer

Interview mit Uni.lu-Experte / Warum autonome Fahrzeuge nicht perfekt sein werden – aber besser als menschliche Fahrer
Schon 2019 präsentierte Sales-Lentz die ersten autonomen und elektrischen Busse Foto: Editpress/Alain Rischard

Luxemburg soll europäischer Vorreiter in autonomer Mobilität werden – das ist das ambitionierte Ziel einer neuen Strategie der Regierung. Doch wie genau steht es um das Fahren ohne menschlichen Fahrer? Für ein Expertengespräch mit Prof. Raphaël Frank hat sich das Tageblatt am Morgen auf den Weg zum Kirchberg gemacht, doch es ist Stau …

Tageblatt: Prof. Frank, bitte entschuldigen Sie die Verspätung, der Verkehr war heute besonders schlimm. Deshalb direkt meine Frage: Wird das mit autonomen Fahrzeugen besser?

Raphaël Frank: Es hängt davon ab. Die Technologie zielt darauf ab, den Fahrer zu ersetzen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass der Stau verschwindet. Das hängt davon ab, wie die autonomen Fahrzeuge benutzt werden, wie attraktiv man das macht, wie viel es kosten wird. Und auch davon, ob man diese Fahrzeuge besitzt oder ob man Mobilität als Service anbietet. Wenn es nur autonome Fahrzeuge auf der Straße gibt, die jeder benutzen kann, dann kann man die Gesamtzahl der Fahrzeuge reduzieren. Die Idee wäre also, dass die Leute einen festen Betrag im Monat bezahlen und dann so viel Mobilität nutzen können, wie sie brauchen.

Wenn die Minister versprechen, den Verkehr effizienter und flüssiger machen zu wollen, dann müsste man also einschieben, dass es eine kritische Masse an diesen autonomen Fahrzeugen braucht, damit sie Wirkung zeigen?

Eine direkte Auswirkung auf den Verkehr, ja. Aber man muss irgendwo starten. Wenn man auf der Autobahn, auch mit viel Verkehr, ein System hat, das autonom fährt, dann ist das ein zusätzlicher Komfort für die Insassen. In Deutschland gibt es das schon auf verschiedenen Autobahnen, wo man diese Systeme nutzen kann. Man braucht dann nicht die Hände am Lenkrad zu lassen. Luxemburg will sich daran inspirieren.

Die Robotaxis von Waymo bauen in San Francisco weniger Unfälle als die Ubers, die dort fahren
Prof. Raphaël Frank forscht am „Interdisciplinary Centre for Security, Reliability and Trust“ der Universität Luxemburg
Prof. Raphaël Frank forscht am „Interdisciplinary Centre for Security, Reliability and Trust“ der Universität Luxemburg Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Apropos Komfort. Es gibt verschiedene Levels der Automatisierung. Luxemburg will sich auf Level drei und vier fokussieren. Wenn ich das richtig verstehe, darf ich dann trotzdem nicht im Auto sitzen und einem Artikel schreiben während der Fahrt?

Diese Stufen sind irgendwann definiert worden, sie sind nicht unbedingt an Gesetze gebunden. Als Definition sind sie gut für eine Anfangsdiskussion. Es ist ziemlich einfach, wenn man SAE null nimmt. Das ist keine „Automation“, das versteht jeder. Und SAE fünf ist „Full Automation“. Das versteht auch jeder. SAE fünf ist aber ein bisschen idealisiert, das gibt es heutzutage so nicht. Sogar die Waymo-Robotaxis in den USA werden als Level vier verkauft. In einem Waymo kann man einen Artikel schreiben während der Fahrt.

Die sechs Level der Automatisierung

nach SAE International (Society of Automotive Engineers):
Level 0 – No Automation: Der menschliche Fahrer übernimmt alle Aufgaben
Level 1 – Driver Assistance: Das System assistiert entweder mit Geschwindigkeitskontrolle oder Lenkung. Der Fahrer bleibt verantwortlich.
Level 2 – Partial Automation: Das System assistiert mit Geschwindigkeitskontrolle und Lenkung. Der Fahrer interveniert, wenn nötig („Eyes on, hands off“).
Level 3 – Conditional Automation: Das System übernimmt alle Aufgaben unter bestimmten Bedingungen. Der Fahrer muss in Gefahrensituationen übernehmen; reagiert er zu langsam, unternimmt das System ein „minimal risk manoeuvre“ („Hands off, eyes off“)
Level 4 – High Automation: Das System fährt unabhängig, Fahrer möglich, aber nicht notwendig („Eyes off, hands off“).
Level 5 – Full Automation: Das System fährt autonom ohne menschlichen Input (kein Lenkrad, keine Pedale).

Wie das?

Das hängt davon ab, wer verantwortlich ist, wenn etwas schiefgeht. Welche Möglichkeiten es gibt, das Fahrzeug zu kontrollieren. Dazu muss nicht unbedingt eine Person im Fahrzeug sitzen. Das ist auch ein Faktor in der Strategie. Wir arbeiten an der Uni an einem dieser Projekte, „5GDrive“, zusammen mit der Post und Ohmio. Da geht es darum, wie wir ein Fahrzeug auch über das Internet ansteuern können, um in dem Fall, in dem es menschliche Supervision braucht, mit einem Remote Control Center das Fahrzeug übernehmen zu können, um es wieder in seine autonome Schiene zu setzen. Das ist immer noch Level vier, weil man manchmal das Fahrzeug übernehmen muss.

Ein Eingriff aus einem Remote Control Center in das Fahren in brenzligen Situationen – das klingt abenteuerlich für mich als Laie.

So etwas wird nicht in brenzligen Situationen gebraucht. Für solche Situationen werden Algorithmen so programmiert, dass das Auto ein Manöver macht – und dieses Manöver wird mit großer Wahrscheinlichkeit sicherer sein als das, was ein Mensch machen würde. Beim Remote Control Center geht es eher um Situationen, in denen etwas sehr Eigenartiges passiert, meistens bei sehr niedriger Geschwindigkeit. Ich sage mal: Im Zentrum von San Francisco auf einer Kreuzung fangen plötzlich Leute an, auf der Straße rumzutanzen, und das Fahrzeug weiß nicht genau, wie es reagieren soll. Dann wird ein Supervisor eingeschaltet, um die ganze Situation im Kontext zu begreifen und das Fahrzeug entweder irgendwo zu parken oder rauszunehmen aus der Situation. Kein externer Operator wird jemals bei 130 km/h auf der Autobahn das Fahrzeug übernehmen. Das ist viel zu riskant.

Viele Menschen hegen dennoch Sicherheitsbedenken gegenüber autonomen Fahrzeugen. Sind sie wirklich sicherer?

Die Robotaxis von Waymo bauen in San Francisco weniger Unfälle als die Ubers, die dort fahren. Da haben wir eine Validation der Technologie.

Bei der Präsentation der Strategie hat Ministerin Backes auch die unfallfreien Kilometer der luxemburgischen Pilotprojekte aufgezählt.

Ja, aber da hat man natürlich nicht genug Kilometer. Das Projekt von Ohmio in Belval ist erst gestartet. Die fahren nicht viel und langsam, auf einer Strecke, die ziemlich sicher ist. Das kann man nicht vergleichen mit einem Auto, das mitten im Stadtverkehr fährt. Da muss man auf Statistiken schauen aus den USA, wo diese Autos schon Millionen von Kilometern gefahren sind. Da sieht man, dass die Technologie an sich funktioniert.

Es werden höchstwahrscheinlich Leute verletzt werden oder sogar sterben, weil irgendwann ein System nicht richtig funktioniert. Wir können aber davon ausgehen, dass die Systeme trotzdem besser sind als menschliche Fahrer.

Wie oft müssen Sie sich Fragen zu ethischen Dilemmata anhören? Zum Beispiel: Überfährt das autonome Fahrzeug das Kind oder die alte Frau?

In den letzten zwei, drei Jahren weniger. Das wurde oft diskutiert. Wir sind langsam an einem Punkt angekommen, an dem wir akzeptieren, dass auch autonome Fahrzeuge nicht immer perfekt sein werden. Es werden höchstwahrscheinlich Leute verletzt werden oder sogar sterben, weil irgendwann ein System nicht richtig funktioniert. Wir können aber davon ausgehen, dass die Systeme trotzdem besser sind als menschliche Fahrer. Das wurde mit mehreren Studien bewiesen. Diese philosophischen Fragen haben auch eine soziokulturelle Komponente: Wenn es zum Beispiel um die Wahl zwischen einem Kind und einer alten Person geht, würde man sich in China ganz klar für das Kind entscheiden, sein Leben ist mehr wert. In Europa sehen wir das anders, hier ist jedes Leben gleich viel wert. Eine einfache technische Lösung eines solchen Problems wäre die Zufallswahl. Man kann keine gute Entscheidung treffen, muss aber.

Die Strategie ist ambitioniert und der Zeitrahmen eng gesteckt. Welche Herausforderungen sehen Sie in der konkreten Umsetzung?

Es gibt fünf Anwendungsfälle. Einige sind „low hanging fruits“, leicht zu erreichende Ziele. Die „Last mile Mobility“ gibt es heute schon. Da könnte man noch ein Stück weitergehen und auf die menschlichen Operators verzichten, die noch mitfahren. Dafür braucht es ein Gesetz, im dem geklärt wird, was das genau bedeutet. Da kommt auch der Remote Operator wieder ins Spiel. Das ist eine rein juristische Frage, meiner Meinung nach. Ich sehe aber, dass es schwer wird, bis 2028 alles abgedeckt zu haben. Was der Regierung, glaube ich, sehr wichtig ist, sind die Robotaxis. Wir haben diese Firma Pony.ai in Luxemburg, die wollen in Europa starten. Denen wurde damals schnelle Klarheit versprochen, auch wie das kommerziell aussehen wird. Das „Valet Parking“ ist auch nicht so komplex, da reden wir nicht von öffentlichem Verkehr, sondern von Verkehr auf Privatgrundstücken. Bei den Autobahnen könnte man sich, wie gesagt, von Deutschland inspirieren lassen. Die Logistik wird meiner Meinung nach das Schwierigste, das wurde auch erst zum Schluss hinzugefügt. Da ist die Umsetzung nicht einfach, weil wir da natürlich gleich von grenzüberschreitendem Verkehr reden.

Luxemburg will nicht auf europäische Gesetzgebung warten, sondern national vorangehen. Für wie sinnvoll halten Sie das?

Die Strategie ist gut. Wir sehen ja, dass verschiedene Akteure nach Luxemburg kommen, Pony.ai mit seinen Robotaxis ist ein Beispiel, Ohmio mit den „Last last mile“-Shuttles ein anderes. Es gibt noch mehr Firmen, die vor kurzem nach Luxemburg gekommen sind und die noch ein bisschen unter dem Radar fliegen. Die initiale Idee ist sinnvoll, ob das nachher alles so funktionieren wird, wie wir uns das vorstellen, das ist noch eine andere Frage.