„Die Pandemie gemeistert, die Krise bekämpft: endlich wieder miteinander.“ Dieser Slogan strahlte im Sommer von den ÖVP-Plakaten. Sebastian Kurz, damals noch Bundeskanzler, aber schon angeschlagen von den Nachbeben des Ibiza-Skandals, wollte sich als Retter der Nation inszenieren und seinem Parteifreund Thomas Stelzer Wahlkampfhilfe leisten. Der oberösterreichische Landeshauptmann hatte Ende September eine Landtagswahl zu schlagen und konnte keinen Streit um Impfkampagnen oder vorbeugende Restriktionen brauchen. Obwohl Mitte August die Zahl der Neuinfektionen die 1.000er-Marke übersprang und doppelt so viele Covid-Patienten auf Intensivstationen lagen wie ein Jahr davor, siegte die Torheit der Regierenden über die Expertenwarnungen. Aus Angst vor den von FPÖ und der neuen Partei MFG (Menschen-Freiheit-Grundrechte) umworbenen Impfskeptikern und Coronaleugnern setzte die ÖVP auf das Abfeiern des Erfolges in der Pandemiebekämpfung. Jetzt bekommt Österreich die Rechnung für diese unheilige Allianz aus untätigen Politikern und Corona-Ignoranten präsentiert.
Von wegen Pandemie gemeistert: Die vierte Welle trifft Österreich härter als die meisten anderen in Europa. Am Donnerstag schnellte die Zahl der Neuinfektionen binnen 24 Stunden um ein Drittel auf 8.593. Zum Vergleich: Das bevölkerungsmäßig fast zehnmal so große Deutschland verzeichnete zwar gestern mit 33.949 Neuinfektionen ebenfalls einen Rekord, relativ betrachtet macht dieser Wert aber ein Drittel des österreichischen Jahreshöchststandes aus. Die Sieben-Tage-Inzidenz ist in der Alpenrepublik mit 478 Fällen pro 100.000 Einwohner mehr als dreimal so hoch wie beim Nachbarn. Seit voriger Woche sterben täglich 15 Menschen an oder mit dem Coronavirus.
Und Oberösterreich sticht besonders negativ hervor: Das nach der Wahl weiter von einer ÖVP-FPÖ-Koalition geführte Bundesland weist die höchste Sieben-Tage-Inzidenz (736) Österreichs auf, was mit der niedrigsten Impfquote korreliert: Während diese österreichweit – ebenfalls zu niedrige – 64 Prozent beträgt, liegt sie in Oberösterreich unter 58 Prozent.
Kein Wunder, dass Landeshauptmann Stelzer angesichts dieser verheerenden Bilanz die Einladung des für seine bohrenden Fragen gefürchteten ORF-Anchorman Armin Wolf zum Interview in die Abendnachrichten ausschlug. Auch die zuständige Gesundheitslandesrätin Christine Haberlander (ÖVP) schickte lieber eine Beamtin aus dem Corona-Krisenstab vor, die dann erklärte, dass man halt nichts tun könne, wenn sich die Menschen nicht impfen lassen wollen.
Vorzeige-Burgenland
Dass man sehr wohl etwas tun kann, führt das Burgenland vor. Dort hat der sozialdemokratische Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil vor zwei Monaten eine Impf-Lotterie initiiert. Wenn sich bis 11. November 10.000 weitere Burgenländer impfen lassen, werden unter allen Geimpften drei Autos und 997 weitere Sachpreise verlost. Das Ziel wurde bereits an diesem Mittwoch erreicht. Die Bilanz kann sich sehen lassen. Das Burgenland hat mit 80 Prozent die höchste Durchimpfungsrate und nach Wien mit 315 die zweitniedrigste Sieben-Tage-Inzidenz Österreichs.
Der Idee einer Impflotterie hatte die ÖVP im September nichts abgewinnen können. Eine gute Idee von einem Sozi zu übernehmen passte in Wahlkampfzeiten einfach nicht ins taktische Kalkül. Erst gestern sah Stelzer ein, dass die Impfbereitschaft nur mit kreativen Lösungen angekurbelt werden kann. Auch in Oberösterreich wird es ab Mitte November eine Impflotterie geben. Da man mit Aufklärung nicht mehr weiterkomme, setze man nun auf Motivation, begründete der Landeshauptmann seinen Sinneswandel.
Teilweiser Lockdown
Das Kind ist freilich schon in den Brunnen gefallen. Die vierte Welle hat die exponentielle Phase erreicht. Das staatliche Corona-Prognosekonsortium geht von weiter stark steigenden Infektionszahlen aus, obwohl schon jetzt jenes Niveau erreicht ist, das vor einem Jahr zur Verhängung des zweiten Lockdowns führte. Einen Lockdown für alle soll es zwar nicht geben, ein zumindest teilweiser Lockdown für Ungeimpfte zeichnet sich jedoch schon ab. Heute Abend werden die Landeshauptleute zu einem Krisengipfel mit der Bundesregierung nach Wien kommen, um verschärfte Maßnahmen zu beraten. In Wien preschte SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig gestern schon mit einer 2G-Regel vor: Ab Ende kommender Woche werden in der Bundeshauptstadt nur noch Geimpfte und Genesene Zutritt zu Gastronomie, körpernahen Dienstleistungen und Zusammenkünften ab 25 Personen haben.
Die dank politischer Taktiererei wieder völlig außer Kontrolle geratene Infektionslage bereitet insbesondere den Touristikern Kopfzerbrechen. Mitte November sollte die Wintersportsaison beginnen, doch die Hoffnung aufs völlig unbeschwerte Urlaubsvergnügen nach der verlorenen Saison 2020/21 schwindet. Auch wenn keine neuerlichen Grenzschließungen erwartet werden, befürchten die Touristiker Reisewarnungen. Manche Wintersportbetriebe planen daher schon jetzt die 2G-Regel sowohl für Gäste als auch Mitarbeiter, anstatt auf die zaudernden Krisenmanager in der Politik zu warten.
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