Dienstag4. November 2025

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GroßbritannienWährend Starmers Regierung strauchelt, legen Farages Rechtspopulisten in der Wählergunst zu

Großbritannien / Während Starmers Regierung strauchelt, legen Farages Rechtspopulisten in der Wählergunst zu
Der britische „Reform“-Leader Nigel Farage wusste die Kabinettsumbildung geschickt für seine Inszenierung zu nutzen Foto: AFP

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Die Kabinettsumbildung im Zuge einer Steueraffäre von Premier Starmer will Populist und „Reform“-Parteichef Nigel Farage nutzen. Einmal mehr dreht sich auf der Insel alles um die Asylpolitik.

Zur Mittagsstunde haben sich in der Kongresshalle der mittelenglischen Metropole Birmingham mehrere tausend Aktivisten zur Eröffnung des Reform-Parteitags eingefunden, als die Nachricht aus London die Runde macht: Labours Vize-Premierministerin Angela Rayner ist nach tagelangem Zögern wegen einer Steuersparaffäre zurückgetreten, Regierungschef Keir Starmer bastelt an einer Kabinettsumbildung.

Die Reform-Strategen reagieren blitzschnell. Parteichef Nigel Farages zentrale Rede wird vom späten Nachmittag vorgezogen, um die Medien-Aufmerksamkeit noch zu dominieren, bis die neuen Ministernamen wichtiger werden. Mit lauter Rockmusik und gleißender Pyrotechnik schreitet der 61-Jährige wenig später würdig auf die Bühne und winkt huldvoll dem Parteivolk zu.

Die Inszenierung ist so professionell wie die knapp halbstündige Rede. Farage spricht frei, beschreibt Großbritannien als Land „im ökonomischen und kulturellen Niedergang“, ja kurz vor dem „Zusammenbruch der Gesellschaft“. Der Partei würden Menschen mit Regierungserfahrung fehlen, beklagt der Nationalpopulist und präsentiert als neueste Überläuferin von den „klinisch toten“ Konservativen die Kurzzeit-Kulturministerin Nadine Dorries – nicht gerade ein Paradebeispiel für langjährige Regierungskompetenz. Dabei hat Reform es eilig, glaubt der Chef: Angesichts der Verwerfungen in der Labour-Regierung könnte schon im Frühjahr 2027 eine vorgezogene Unterhauswahl bevorstehen. „Darauf müssen wir vorbereitet sein.“

Richtungsweisende Besetzung

Worauf Farage Bezug nimmt, hat tatsächlich das Potenzial für massiven Streit in der Regierungspartei. Weil Rayner nicht nur ihren Regierungsposten räumte, sondern auch den Vizevorsitz von Labour, steht eine monatelange parteiinterne Debatte über die mögliche Nachfolgerin – die Wahl eines Mannes gilt als ausgeschlossen – bevor.

Die Sonntagsmedien stellen die Kandidatinnen vor, die allesamt dem linken Parteiflügel angehören. Dort ist die Kritik an Starmers Politik zuletzt stark gewachsen. Gefordert wird eine härtere Haltung gegenüber Israels Gaza-Krieg, die stärkere Besteuerung von Hauseigentümern und Banken, mehr Hilfe für sozial Schwache.

Der Premier und sein Stabschef Morgan McSweeney aber scheinen die Asylpolitik für das zentrale Element des Regierungshandelns zu halten. Dafür spricht der komplette Austausch von Ministerin und Staatssekretärinnen im zuständigen Innenministerium. Die kompetente, aber zögerliche Yvette Cooper versetzte Starmer ins prestigeträchtige, aber politisch einflusslose Außenamt; dessen bisheriger Minister David Lammy darf sich dafür mit dem Titel des Vize-Premiers schmücken.

Im Innenressort soll die vormalige Justizministerin Shabana Mahmood für frischen Wind sorgen. Dieser wird sowohl in der Realität wie im übertragenen Sinn benötigt: Am windstillen Wochenende kamen weit über 1.000 Migranten über den spiegelglatten Ärmelkanal. Deutlich mehr als 50.000 Menschen haben in diesem Jahr bereits diesen irregulären Weg zur Einwanderung gewählt. Unterdessen bestimmten Proteste vor Billighotels, die zu Asyl-Unterkünften umfunktioniert wurden, die Schlagzeilen des Sommers. Die Regierung spricht von einer „nationalen Krise“, scheint aber kein Gegenmittel zu finden.

Genfer Konvention auf dem Prüfstand

Geplant ist nun die Unterbringung in früheren Kasernen sowie in Notunterkünften, um wie versprochen die Hotels räumen zu können. Vor allem aber hält die neue Ministerin Mahmood wie eine Reihe erfahrener Labour-Parlamentarier wie Baronin Helena Kennedy oder Ex-Innenminister David Blunkett eine Überprüfung bestehender internationaler Abkommen für notwendig. Im Gespräch ist etwa die Neufassung der 74 Jahre alten Genfer Flüchtlingskonvention.

Ganz leicht macht es sich Nigel Farage, wie er auf seinem Parteitag bekräftigt. Unter seiner Regierung werde Großbritannien aus der Europäischen Menschenrechtskonvention austreten; sämtliche irregulär im Land ankommende Menschen sollen bei der Ankunft festgenommen und bis zu ihrer Abschiebung, auch in unsichere Herkunftsländer und Folterstaaten, in Lagern untergebracht werden. „Wir werden die Schlauchboote binnen zwei Wochen nach der Regierungsübernahme stoppen“, behauptet der Nationalpopulist und setzt dabei auf den Abschreck-Effekt.

Dass Reform seit Monaten die Umfragen anführt und um bis zu 11 Prozent (31:20) vor Labour liegt, liegt aber nicht nur an Stammtischparolen. „Das Land muss wieder mal lächeln“ – auch dieser Satz in Farages Rede findet Widerhall auf der Insel, wo mehr oder weniger kluge Komiker mindestens so viel gelten wie Dichter und Musiker. Augenzwinkernd trägt Reform zur Belustigung des Publikums bei: Ab 11 Uhr bilden sich lange Schlangen vor dem Bierausschank; zur Mittagszeit schreitet eine Landrätin in glitzernder Abendrobe auf die Bühne und singt einen selbstgebastelten Popsong; im Vorraum gibt es hellblaue Fußballtrikots mit dem Namenszug Farage und der Nummer 10 zu kaufen, der Erlös von 40 Pfund (46,10 Euro) kommt der Parteikasse zugute. „Die gehen weg wie warme Semmeln“, freut sich der Verkäufer.

JJ
8. September 2025 - 18.56

Die Engländer fahren schon lange auf der falschen Straßenseite. Churchill dreht sich im Grabe um.

Grober J-P.
8. September 2025 - 9.06

Freund Gregory aus Manchester ist am weinen, "what did they put in our food?" Seit dem Brexit sei er immer mehr am "Stumbling". Er hofft auf einen milden Winter. Er hofft auf Putin, "hope, he let one off", damit wir alle mal aufwachen. Man sollte dem Nigel mal den Fart unter die Nase halten.
Habe wieder nur Bahnhof verstanden.