Lust zu lesenVon wegen anthrazit!: Sebastian Hotz’ hervorragender Roman „Mindset“

Lust zu lesen / Von wegen anthrazit!: Sebastian Hotz’ hervorragender Roman „Mindset“
Mit grimmiger Ironie stellt Sebastian Hotz Fragen über Schein und Sein unserer Existenzen in Zeiten von Internet-Auftritten Foto: Max Sand

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„Irgendwo auf ihrem Weg von den Bäumen in die Hütten und weiter, bis in viel zu teure Singleapartments, hat die Menschheit die Stille getötet. Irgendwann zwischen Erfindung der Dampfmaschine und dem ersten Download einer Meditations-App ist ein Grundrauschen entstanden, das erst verstummen wird, wenn die moderne Zivilisation eine verblassende Erinnerung ist.“

Maximilian Kracht ist dem Optimierungswahn US-amerikanischer Prägung auf den Leim gegangen. Demnach könnte das akkurate Bettmachen am Morgen „sogar eine Voraussetzung für dauerhaften Erfolg sein“. Der Gründer von „Krach Consulting“ und Schöpfer des „Genesis Ego“-Selbstoptimierungsprogramms glaubt an so käsige Sprüche. Also wird „Kante auf Kante, Ecke auf Ecke, dem Federbett“ mit fanatischem Eifer und „chirurgischer Präzision jeder Anschein von Wärme und Kuschligkeit ausgetrieben“.

Mit Allerweltsweisheiten wie „Zeit ist Geld“ oder „wer rastet, rostet“ treibt sich der Protagonist im Roman „Mindest“ von Sebastian Hotz zu immer absurder anmutenden Höchstleistungen in Sachen Selbstverleugnung an. Ganz anders dagegen Yvonne, ganz ohne Nachname und ganz ohne Geschichte. Sie ist Rezeptionistin im „Holiday Inn Express Mülheim a. d. Ruhr“ – einfach nur eine weitere Umschreibung für die sprichwörtliche Hölle auf Erden. Genau dort klatscht der übertüchtige Maximilian wie aus dem Ei gepellt auf die weitgehend illusionslose Yasmin. Er gibt sich überheblich und wird übergriffig. Sie reagiert umso verärgerter, je professioneller sie gezwungen ist, den Anschein einer Fachkraft aufrechtzuerhalten.

Als Dritter im Bunde taucht auch noch Mirko Mihalic in dem Hotel auf. Er ist einer von Maximilians wenigen Anhängern und IT-Experte in irgendeiner mittelständischen Klitsche in Gütersloh. Er hat sich extra auf den Weg gemacht, um sein Idol leibhaftig in einem Seminar zu erleben, für das der Konferenzraum des Hotels angemietet wurde. Mirko ist ein Nerd „par excellence“. Außer am Computer herumdaddeln hat er in seiner Freizeit nichts gestemmt und nach acht Jahren ist er im Betrieb noch immer der Neue. Entsprechend groß sind seine Erwartungen, die Maximilian mit seinen „Genesis Ego“-Doktrin zur Umprogrammierung von Denkweisen befriedigen soll. Doch nichts ist, wie es scheint.

Verkrachte Existenzen

Vor dem Seminar hatte Maximilian eine ausgewachsene Angstattacke. Und auf dem Weg zum Auto, von Mirko in stiller Bewunderung verfolgt, kommt der nächste Panikschub – nur noch weg, nur noch nach Hause, nur noch ins akkurat gefaltete Bett und Decke über den Kopf. Die Krise trifft auf ein verzweifeltes Subjekt, derweil Yasmin in ihrem Rachedurst Mirko ausfindig macht, um sozusagen über Bande gespielt doch noch an Maximilian heranzukommen. Der Hipster soll merken, wie es sich anfühlt, abhängig beschäftigt zu sein! Wenn dann alle drei in Mirkos Wohnung aneinandergeraten und so ganz unter sich einen Streit austragen, dem sie erfahrungsmäßig unmöglich gewachsen sein können, kommt der große Moment des Autors Sebastian Hotz – eben weil er ihn schlichtweg auslässt bzw. in der Retrospektion Revue passieren lässt. Das Konfrontative, die Sensationslust, auf die die Erzählung zusteuert, wird konterkariert mit einem Vorschlag zur Güte: Maximilian, Yasmin und Mirko, das sind drei Perspektiven auf eine Realität, die derart bis zur Unkenntlichkeit verformt ist, dass es eigentlich nur noch um einen Neuanfang gehen kann. Alles zurück auf Los!

Mit grimmiger Ironie beschreibt Hotz eine Welt, grau in grau – von wegen anthrazit! –, eben das, was übrig bleibt, wenn der Mensch mal durch ist mit allen Optimierungsmaßnahmen. Auch wenn man dem Roman manchmal den Entwurf am Reißbrett anzumerken meint, ist „Mindset“ nichtsdestotrotz hervorragend. Weil er die richtigen Fragen stellt, und zwar durchaus generationsübergreifend. Beispielsweise nach Schein und Sein unserer Existenzen in Zeiten von Internet-Auftritten, bei denen leichter als je zuvor aller Welt und sich selbst vorgemacht werden kann, wie unglaublich effektiv und grandios unser Leben doch ist.

„Mindset“

Von Sebastian Hotz
Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2023
288 S., 23,00 Euro
ISBN 978-3-462-00284-3