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GroßbritannienVon vielen belächelt hat Liz Truss den Aufstieg ins höchste Regierungsamt geschafft – wer ist die Frau?

Großbritannien / Von vielen belächelt hat Liz Truss den Aufstieg ins höchste Regierungsamt geschafft – wer ist die Frau?
„Liz Truss ist zu bedauern“, sagt ein Historiker: Die 47-jährige Konservative übernimmt die Regierungsgeschicke in schweren Zeiten Foto: AFP/Adrian Dennis

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Liz Truss wird neue britische Premierministerin. Die bisherige Außenministerin gewann die parteiinterne Abstimmung der britischen Konservativen über die Nachfolge von Boris Johnson. Wer ist die Frau, die nun die Verantwortung für 67 Millionen Briten trägt?

Wochenlang ist Liz Truss durchs Land gezogen, mit dem seligen Lächeln der Wahlsiegerin im Gesicht. In Medien-Interviews am Wochenende war hingegen eine ernstere Politikerin zu besichtigen – ein Eingeständnis, dass nach unbeschwerten Zusammenkünften mit den 160.000 Gleichgesinnten ihrer konservativen Partei nun die Verantwortung für 67 Millionen Briten auf sie zukommt. Wenn die mutmaßliche neue Premierministerin an diesem Dienstag von der Queen den Regierungsauftrag erhält, warten so schwere Aufgaben „wie seit 1945 nicht mehr“, glaubt der Historiker Max Hastings und fügt hinzu: „Liz Truss ist zu bedauern.“

Einerseits. Andererseits stellt ihr klarer Sieg über den von der Unterhausfraktion favorisierten Ex-Finanzminister Rishi Sunak einen persönlichen Triumph dar, nicht zuletzt über all jene, die Truss „immer belächelt und nicht recht ernst genommen“ haben, analysiert die BBC-Starmoderatorin Laura Kuenssberg.

Gibt es einen ideologischen Kern der neuen Leiterin der sechst- oder siebtgrößten Wirtschaftsmacht der Welt, mit Sitz im UN-Sicherheitsrat und weltweiten Verbindungen zu den früheren Kolonien des britischen Empire? Truss habe im Politikseminar an der Uni Oxford „ohne mit der Wimper zu zucken“ binnen Sekundenschnelle ihre Meinung geändert, erinnert sich eine frühere Dozentin. Auch ihre politische Laufbahn, zumal die vergangenen Wahlkampfwochen, legen nahe, dass die neue Premierministerin einmal eingenommene Positionen rasch räumt, wenn sie diese als unhaltbar erkennt.

Der harte Kern englischer Nationalisten

So war es mit dem Brexit. Im Referendumskampf hatte sich Truss klar für den Verbleib positioniert: „Ich vertraue auf die Vernunft des britischen Volkes.“ Nach der knappen Entscheidung für den EU-Austritt mutierte sie eilends zur Propagandistin des „globalen Britanniens“, das dem Bündnis und Binnenmarkt vor seiner Tür den Rücken kehrt. Ihre Wahl verdankt sie vor allem dem harten Kern englischer Nationalisten in ihrer Partei.

So war es mit dem Plan der regional unterschiedlichen Bezahlung von Ärzten, Polizisten und Beamten. Weil dies bedeutet hätte, dass diese Berufsgruppen in den ohnehin wirtschaftsschwachen Regionen in Mittel- und Nordengland Einkommensbußen hinnehmen würden, rebellierten die dortigen Torys so vernehmlich, dass Truss das Projekt binnen Stunden vom Tisch nahm – das sei „alles nicht so gemeint“ gewesen.

So war es mit Truss öffentlicher Abneigung gegen „Almosen“ für all jene, denen im kommenden Herbst und Winter die galoppierende Inflation (derzeit 10,1, demnächst bis zu 22 Prozent), vor allem um bis zu 1.000 Prozent steigende Energierechnungen, über den Kopf zu wachsen drohen. Inzwischen erwägen die Torys ernsthaft, die Energiepreise einzufrieren, wie von Labour gefordert. Nötig dafür wäre ein „Almosen“ von bis zu 100 Milliarden Pfund.

Im englischen Sprachgebrauch nennt man so etwas einen U-turn, die komplette Umkehr der bisherigen Politik also. Truss versucht sich seit langem als Nachfolgerin ihres Vorbildes Margaret Thatcher, Premierministerin von 1979 bis 1990, zu stilisieren. Deren berühmtes Diktum „the Lady is not for turning“, frei übersetzt: Die Lady bleibt auf Kurs, scheint die 47-Jährige nicht beherzigen zu wollen. Freilich war auch Thatchers Regierungshandeln deutlich pragmatischer als das Zerrbild, das Hasser ebenso wie Bewunderer von ihr zeichneten.

„Liberty“, Freiheit, gehörte zu Thatchers wichtigsten Vokabeln. Liberty haben Truss und ihr Mann Hugh die mittlerweile 13-Jährige jüngere Tochter genannt (die 16-Jährige heißt ein wenig konventioneller Frances). Die Verteidigung persönlicher Freiheitsrechte habe sie an der Uni Oxford zu den Liberaldemokraten gebracht, hat die Politikerin einmal erzählt. Nach dem Bachelor-Abschluss im berühmten Kombi-Studiengang PPE (Politik, Philosophie und Ökonomie) aber schloss sie sich den Konservativen an. Ihr sei es um Grundsätzliches gegangen, erinnert sich Truss: persönliche Freiheit, möglichst wenig Staatsintervention, Patriotismus.

Damit vollzog die junge Frau einen ideologischen Bruch mit ihrem Elternhaus. Mary Elizabeth Truss kam 1975 als zweites Kind eines linken Akademikerpaares zur Welt, gefolgt von drei Brüdern. Die Mutter nahm ihre Kinder zu Protestmärschen gegen die Atomrüstung und gegen Thatchers Politik mit. Heute unterstützt sie ihre Tochter, anders als der Vater: Für Mathematikprofessor John Truss ist deren Politik ein „schmerzhaftes Thema“.

Achtlos hingeworfene Bemerkungen

Seit acht Jahren gehört Truss dem Kabinett an, zuletzt als Außenministerin. Im Streit mit Brüssel über die Details des Nordirland-Protokolls hat sie dem Parlament ein Gesetz vorgelegt, das der Aufkündigung des völkerrechtlich gültigen Austrittsvertrages gleichkommt. Hingegen probte die Ministerin schon vor Russlands Überfall auf die Ukraine den Schulterschluss mit den NATO-Verbündeten auf dem Kontinent. Die britischen Waffenlieferungen für Kiew dürften unverändert weitergehen. Zu Beginn des Krieges gab sie sogar Freiwilligen den regierungsamtlichen Segen für deren Reise an die Front; nach einer heftigen Reaktion des Verteidigungsministeriums musste die Chefdiplomatin zurückrudern.

Solche achtlos hingeworfenen Bemerkungen haben Beobachter darin bestärkt, Truss für „gefährlich impulsiv und halsstarrig“ zu halten, wie der Times-Starkolumnist Matthew Parris schrieb. Ihrem Labour-Gegenüber Emily Thornberry fällt zur neuen Premierministerin ein, diese sei „dickfellig und wenig an Details interessiert“. Drastisch hat Boris Johnsons abtrünniger Chefberater Dominic Cummings seine Geringschätzung ausgedrückt: Truss sei „eine menschliche Handgranate“.

Bedauernswert? Truss wird Fingerspitzengefühl und ein sehr dickes Fell brauchen, um die kommenden Monate zu überstehen.

ulla
5. September 2022 - 18.29

In England nennt man sie a cupid stunt.