Sonntag21. Dezember 2025

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Alain spannt den BogenVon Orchestern in Bestform, einer herausragenden Violinistin und exzellenten Pianisten in der Philharmonie

Alain spannt den Bogen / Von Orchestern in Bestform, einer herausragenden Violinistin und exzellenten Pianisten in der Philharmonie
Erhielt am Ende des Konzerts Standing Ovations: Der Dirigent Sir Antonio Pappano war in der Philharmonie zu Gast Foto: Sébastien Grébille

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Ein Orchester in Bestform, exzellente Pianisten und ein Klangabenteuer: In den vergangenen Tagen kam das Publikum voll auf seine Kosten, trotz voller Windeln am Bühnenrand. Über die Konzerte und das Geschehen in den Publikumsrängen. 

Die Solistes Européens Luxembourg starteten erholt und in bester Form in ihr erstes Konzert dieser Spielzeit, dies mit einem gelungenen Programm. Den Auftakt machte Tschaikowskys Ouvertüre Romeo und Julia. Es war ein Genuss, dieses leidenschaftliche Werk in einer klassischen Orchesterbesetzung zu hören. Christoph König verzichtete auf jeglichen Pathos und hielt die Musik luftig und transparent. Das Orchester spielte ungemein klangschön, sodass die Ouvertüre zu einem wirklichen Hörgenuss wurde.

Leitet das SEL: Christoph König
Leitet das SEL: Christoph König Foto: Editpress/Julien Garroy

Auch Beethovens Choralfantasie gelang den SEL prächtig. Hier muss aber an erster Stelle der wie immer exzellente Pianist Jean Muller hervorgehoben werden, dessen Spiel sich nahtlos mit Orchester und Chor zu vermischen wusste, und in den solistischen Passagen durch Präzision und Dynamik glänzte. Die beiden Chöre, nämlich die Maîtrise Sainte-Cécile de la Cathédrale de Luxembourg und die Chorale mixte du Conservatoire de la Ville de Luxembourg, boten hier eine sehr gute Gesamtleistung. Beethoven lag dem Chor allerdings hörbar besser als Alexander Borodins Polowetzer Tänze aus dessen Oper Fürst Igor, wo man die Homogenität im Gesang etwas vermisste. Super in Form dagegen die SEL, die einen wirklich großen Abend hatten und bei dem die Orchestermusiker nur so vor Spiellust sprühten.

Am Bühnenrand

Wenn die Windel voll ist, dann muss sie gewechselt werden. Das ist richtig so. Aber in der Phiharmonie? Während eines Konzertes? Bei Beethoven? Sorry, nein. Das geht nun wirklich nicht. Babys und Kleinkinder gehören einfach nicht in ein abendliches Konzert, dafür gibt es Loopino & Co. Irgendwo müssen auch mal die Sponsoren und ihre eingeladenen Gäste in die Schranken gewiesen werden. Dass die Organisatoren, in diesem Falle die Solistes Européens Luxebourg, das nicht tun respektiv nicht tun wollen, ist klar. Sonst wird der Geldhahn sehr schnell wieder zugedreht. Und so wird von den meisten uninteressierten eingeladenen Gästen munter weiter auf den Handys gespielt und auf das Buffet gewartet …

Mit sehr viel Liebe zum Detail und einer sehr ausgewogenen Klangbalance ließ König die 2. Symphonie von Borodin erklingen. Mit ihren Rhythmen, ihrer epischen Erzählweise und ihrem folkloristischen Kolorit ist dies eine typisch russische Symphonie. Zudem ist es ein sehr interessantes Werk, das man vielleicht mehrmals hören muss, um es in allen Details schätzen zu können. Jedenfalls hatte Christoph König an diesem Abend sein Orchester bestens vorbereitet und sehr präzise auf die Musik eingestellt, sodass die Symphonie das Publikum in einer ebenso reliefartigen wie musikantischen und spieltechnisch überragenden Darbietung zu begeistern wusste.

Gegen alle Stalins und Putins dieser Welt

Normalerweise sind die Konzerte des London Symphony Orchestra komplett ausverkauft. Aber vielleicht lag es an einer aufkommenden Kriegsmüdigkeit des Publikums, dass diesmal viele Plätze leer blieben, denn auf dem Programm stand das düstere, aber musikalisch geniale Violinkonzert von Benjamin Britten sowie Schostakowitschs aufreibende 10. Symphonie. Es sind beides Werke, die Krieg, Terror, Leiden und Hoffnungslosigkeit auf intensive Weise thematisieren. Und ehrlich gesagt, ich hätte mir nicht gedacht, dass der neue Chefdirigent des LSO, Sir Antonio Pappano, es in derart überzeugender Weise fertigbringt, die Musiker auf höchste Expressivität und musikalische Ehrlichkeit einzuschwören. Es war schon beeindruckend, welche Wut und Verzweiflung er aus Schostakowitschs 10. Symphonie herauszuziehen wusste. Das LSO spielte dabei grandios, alle Pulte leisteten Höchstarbeit, um dieses Werk in einer makellosen Interpretation erklingen zu lassen. Pappano selbst hatte es verinnerlicht und ließ es als eine menschliche Tragödie und humanistische Anklage gegen Krieg und Terror erklingen.

Sorgte für einen musikalischen Höhepunkt: Violinistin Janine Jansen (Mitte)
Sorgte für einen musikalischen Höhepunkt: Violinistin Janine Jansen (Mitte) Foto: Sébastien Grébille

Ebenso überzeugend das Violinkonzert von Britten. 1938/39 während seiner Immigration nach Amerika komponiert, ahnt es die aufkommende Katastrophe voraus und spiegelt die Unsicherheit, Orientierungslosigkeit und Suche in einer schwierigen Zeit wider. Überragend die Solistin des Abends, Janine Jansen, deren ebenso intensives wie schönes und spieltechnisch makelloses Spiel der eigentliche Höhepunkt des Abends wurde. Die Violinsitin ging das Konzert mit kräftigem Spiel an, dominierte bewusst das Orchesterspiel und verstand sich als klagende Stimme gegen den Krieg. Mal reflektorisch, mal wütend, mal lyrisch, mal fahl, mal sich im Kreis bewegend, mal nach vorne stürmend, Jansens Spiel wurde jeder Stimmungslage gerecht und jede noch so kleine Nuance wurde mit Deutlichkeit hervorgehoben. Jansens somit phänomenale Interpretation sprach jeden im Saal auf Anhieb an; in jedem Moment ihres quasi magischen Spiels zeigte sie das, wozu Musik fähig ist: nämlich den Zuhörer tief zu berühren und ihn auf eine einmalige musikalische Reise mitzunehmen. Standing Ovations für die niederländische Violinistin, sowie am Ende des Konzerts für Sir Antonio Pappano und die Musiker des LSO. Ein großer, berührender und intensiver Musikabend.

Lukas Sternath mit grandiosem Prokofieff

Großes Orchesterkino dann auch mit den Wiener Philharmonikern. Tugan Sokhiev, der sich schnell zu einem Publikumsliebling entwickelt hat, dirigierte zwei spektakuläre russische Werke. Zum ersten Mal erklang das 3. Klavierkonzert von Sergej Prokofieff in der Philharmonie, dies mit dem äußerst talentierten jungen Pianisten Lukas Sternath (*2001) aus Österreich, dessen Karriere dabei ist, so richtig in Fahrt zu kommen. In der Tat erleben wir hier einen ebenso virtuosen wie feinfühligen Interpreten, der keine Schwierigkeiten hat, Prokofieffs komplexes Konzert in einer ebenso wohlüberlegten wie wohldosierten Interpretation zu gestalten. Meisterhaft ist seine spieltechnische Brillanz, die aber nie zum Selbstzweck in den Vordergrund gestellt wird.

Führte die Wiener Philharmoniker: der Dirigent Tugan Sokhiev
Führte die Wiener Philharmoniker: der Dirigent Tugan Sokhiev Foto: Alfonso Salgueiro

Mit unerschöpflichen Kraftreserven und einem sehr guten Gefühl für feine Linien wird Sternath den hohen Anforderungen des Werks in jedem Moment gerecht, sodass das Publikum dieses 3. Klavierkonzert in einer mustergültigen Aufführung erlebt. Tugan Sokhiev und die Wiener Philharmoniker spielen da doch sehr gerne mit und bieten eine absolut grandiose Orchesterleitung.

Nach der Pause folgt das Ballett Petruschka von Igor Strawinsky. Sokiev nutzt hier die räumlich konzipierten Atouts des Werkes, sodass wir im 1. Teil ein quasi dreidimensionales Klangbild eines Jahrmarkts erleben. Überhaupt verzichtet der Dirigent auf eine lineare Interpretation, überrascht immer wieder mit unerwarteten Tempomodifikationen und einer tollen Klangdynamik, bei der vor allem Holz- und Blechbläser solistisch hervorgehoben werden. Es passiert sehr viel in dieser Aufführung, wodurch Strawinskys Petruschka unter der Leitung von Tugan Sokhiev zu einem regelrechten Klangabenteuer wird.

Die Wiener Philharmoniker machten sich eine Freude daraus, dieses reiche Werk in all seiner Brillanz und Modernität erklingen zu lassen, ohne dabei die Schönheit des Klanges je zu vernachlässigen. Als Schmankerl für das begeisterte Publikum dann die obligatorische Wiener-Zugabe, diesmal in Form der Ouvertüre zu der Operette Indigo und die 40 Räuber von Johann Strauß.