Während seiner Japan-Reise vorvergangene Woche spielte Außenminister Xavier Bettel (DP) „eng Partie Keelen“. Mit dem delegierten französischen Außenminister Laurent Saint-Martin und der Präsidentin des Schweizer Nationalrates, Maja Riniker, ließ er sich vor der Bahn ablichten. CSV-Premierminister Luc Frieden flog am Dienstag nach Japan. Auch er warf wohl „eng Klatz“ (was bis Redaktionsschluss nicht dokumentiert war). In Japan ist das amerikanische Bowling verbreiteter als das europäische Kegelspiel. Die „exotische“ Scherenbahn, auf der Xavier Bettel kegelte, steht in Osaka und gehört zum Luxemburger Pavillon auf der Weltausstellung, die vor zwei Wochen offiziell eröffnet wurde. Der Pavillon, für den die luxemburgische Regierung 30 Millionen Euro bereitgestellt hat, solle „eis Wäerter a Stäerkten als oppent Land“ unterstreichen, sagte André Hansen, Generalkommissar und Präsident des Pavillons, vor zwei Wochen dem Radio 100,7.
Unter dem Leitmotiv „Doki-Doki – The Luxembourg Heartbeat“ wolle Luxemburg die Besucher der Weltausstellung emotional erreichen und verschiedene Facetten des Landes vorstellen. Mit ihrem Hauptpartner, der Handelskammer, möchte die Regierung internationale Business-Delegationen aus den Bereichen Weltraum, Gesundheitstechnologie und Datenwirtschaft ansprechen und Wirtschaftsmissionen an Land ziehen. Die Kegelbahn ist nur ein Teil des Pavillons, der insgesamt aus drei „Akten“ besteht, wie André Hansen im 100,7 erklärte. Laut einer offiziellen Mitteilung der Regierung sei sie Ausdruck des „savoir-faire artisanal traditionnel luxembourgeois“.
Kegelbahnbauer gibt es heute in Luxemburg keine mehr. Georges Linster, der die Bahn in Osaka zusammen mit Schülern des Lycée Emile Metz und des CNFPC gebaut hat, ist seit zehn Jahren in Rente. 1986 hatte er den Betrieb seines Vaters in Merl übernommen. Der hatte seinerseits 1959 die (vom Großvater des früheren Editpress-Generaldirektors Alvin Sold gegründete) Traditionsschreinerei und „Kegelbauanstalt“ Sold gekauft, die seit den 20er Jahren in der rue de l’Avenir auf dem Limpertsberg Kegelbahnen gebaut hatte. 2015 hat Georges Linster seine Firma „Piste Linster Sàrl.“ aufgelöst, um ein Freizeitzentrum mit Indoorspielplatz, Restaurant und Bowlingbahnen in Heiderscheid zu eröffnen. Eine Kegelbahn findet sich dort auch.
Peter, Scheer, Blasen
Das insbesondere im deutschsprachigen Kulturraum weit verbreitete Kegelspiel hat im Großherzogtum eine lange Tradition. Im Sportkegeln ist Luxemburg laut dem nationalen Kegelverband hinter Deutschland die erfolgreichste Nation. Spieler wie Jeannot Peter, Alain Scheer und Steve Blasen gehörten in den Achtziger, Neunziger und Nuller Jahren zur absoluten Weltelite, sie spielten in deutschen Topklubs. Neben individuellen Weltmeistertiteln war Luxemburg auch mehrmals im Doppel und als Mannschaft erfolgreich. Die letzten Weltmeisterschaftstitel gewannen Chris Fuchs und Chris Zels 2022 in Trier im Herren-Tandem sowie Mandy Parracho und Martine Keller im Damen-Tandem. Bei den Frauen war es für Luxemburg der erste Weltmeistertitel überhaupt.
Zur regelrechten Sportart wurde Kegeln in Luxemburg erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Als gesellige Freizeitbeschäftigung und Glücksspiel war es jedoch schon im Mittelalter weit verbreitet. Der Kirche war das „unziemlich Spiel“, woraus „Sünd schaut und Laster fließen möcht“ bereits im 16. Jahrhundert ein Dorn im Auge. Lange Zeit wurde es fast ausschließlich im Freien gespielt und war in allen Gesellschaftsschichten beliebt. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war das Kegelspiel fester Bestandteil von Kirmessen.
Weil dabei häufig Alkohol getrunken und um Geld gewettet wurde, geriet das Kegelspiel im Zeitalter der Industrialisierung auch in liberalen Kreisen in Verruf. Im Oktober 1871 schrieb die Luxemburger Zeitung zur „Arbeiterfrage“: „Wären wir wirklich unsere eigenen Freunde, dann sähe es anders und besser aus mit uns. Unsere Kinder müßten bis zu ihrem vierzehnten Jahre in die Schule, und direkt aus der Schule in die Lehre. Des Sonntags müßten sie in die Sonntagschule, oder, wo keine solche ist, zu Hause fortlernen. Statt Geld zu Bier, Cigarren, Karten oder Kegelspiel, bekämen sie gute und nützliche Bücher in die Hand, Papier, Bleistift und Reißzeug zum Zeichnen u.s.w.“
Ungestraft darf man nur beim Kegelspiel den König umwerfen und möglicherweise legt das Socialistengesetz noch ein Veto dagegen ein
Kegeln und Bier trinken waren lange Zeit untrennbar miteinander verbunden. „Wie kann der Trunksucht gesteuert werden, wenn man erlaubt oder wenigstens duldet, daß anstatt dem Gottesdienste beizuwohnen, die Leute beim Karten- oder Kegelspiel ihre Zeit zubringen?“, fragte im Februar 1880 das Luxemburger Wort. Regelmäßig kam es beim Kegeln zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die für die einen manchmal blutig, für die anderen mit Geld- und Gefängnisstrafen endeten.
„Bitschel“ und Hammel
Dass das Kegelspiel auch eine politische Dimension hat, legte die Obermosel-Zeitung 1889 in ihrer Rubrik „Sonntags-Plauderei“ dar: „Die Freude am Kegelspiel scheint mir, abgesehen von der körperlichen Übung und dem Humor, der dabei eine große Rolle spielt, auch darin begründet zu sein, dass durch die Menschheit ein gewisser demokratischer Zug geht, der das Umstürzen liebt und die Anarchisten sollten eigentlich einen Kegel nebst Kugel in ihr Wappen aufnehmen. Ungestraft darf man nur beim Kegelspiel den König umwerfen und möglicherweise legt das Socialistengesetz noch ein Veto dagegen ein.“

Ende des 19. Jahrhunderts verlagerte sich das Kegelspiel zusehends in die Cafés, die im Zuge der Industrialisierung wie Pilze aus dem Boden sprossen. Insbesondere unter den Minen- und Schmelzarbeitern in der Minett-Region entwickelte Kegeln sich zu einer beliebten Freizeitbeschäftigung. 1899 forderte die Obermosel-Zeitung ein „Gesetz über das Kegelspiel“, „welches das Spielen um hohe Geldsummen verböte, da besonders an den Löhnungstagen manche Arbeiter durch dieses Spiel um die sauer verdienten Groschen gebracht werden, und Bäcker und Metzger mit der Begleichung ihrer Rechnung warten müssen“.
Ein Jahr zuvor hatten Gemeinderäte aus der Stadt Luxemburg gegen ihre Amtskollegen aus Hesperingen bei einem Kegelspiel im Café Klein ein „Bitschel“ gewonnen, worüber sich das humoristische Wochenblatt Luxemburger Kladderadatsch erheiterte. 1896 hatten sich im Gasthof Bofferding „alle berühmten Kegelspieler der ganzen Umgegend versammelt, galt es doch, einen fetten Hammel zu gewinnen“, berichtete damals das Wort.
Statt Geld zu Bier, Cigarren, Karten oder Kegelspiel, bekämen sie gute und nützliche Bücher in die Hand
In den Folgejahren gründeten sich in den Cafés die ersten Kegelvereine, die Wanderpokale oder Klub- und Einzelpreise unter sich ausspielten. Sie hatten Namen wie „Kinnek Strêch“, „Boule de Force“ oder „Fiescht am Boun“. Über den „bekannten“ Verein „Entre Nous“, der 1916 den nationalen Meisterschaftstitel gewann, schrieb das Wort damals, dass er, „obschon der Ausdruck bei dem im Luxemburger Lande gepflogenen Kegelsport noch nicht gebräuchlich ist, über wahre Berufsspieler verfügt“. 1914, zu Beginn des Ersten Weltkrieges, trafen sich mehrere Vereine im Café Mootz-Rischard in Dommeldingen, um den ersten „allgemeinen luxemburgischen Kegelverband“ zu gründen, wie die Luxemburger Zeitung damals schrieb. Ob die Verbandsgründung tatsächlich erfolgte, geht aus den Zeitungen nicht hervor.
Obwohl viele Kegelbahnen sich in Cafés befanden, beschränkte sich die Begeisterung für das Spiel längst nicht auf die unteren Gesellschaftsschichten. Im 1920 eröffneten „Arbedsgebai“ in der hauptstädtischen avenue de la Liberté wurden zwei Bahnen eingerichtet. 1927 berichtete das Wort von einem Freundschaftsspiel zwischen den „Quilliers du Centre“ aus Brüssel und „einer verstärkten Mannschaft“ des Vereins „Gudd Holz“ der Columeta, das letzterer schließlich gewann.
Der erste offizielle Sportkegelverband „Fédération luxembourgeoise des Quilleurs“ (FLQ) wurde am 1. Oktober 1961 gegründet, 13 Vereine waren daran beteiligt. 1963 war Luxemburg erstmals bei Europameisterschaften in Metz dabei, 1964 wurde die erste nationale Sportkegelmeisterschaft ausgetragen.
Café-Sterben
In den folgenden Jahrzehnten wurde Kegeln in Luxemburg zu einer Art Nationalsport. Anders als in Deutschland, wo insbesondere im süddeutschen Raum die flache und gerade Classic-Bahn vorherrscht, hat sich in Luxemburg die (in Westdeutschland und im Benelux-Raum ebenfalls beliebte) leicht ansteigende und zu den Kegeln hin breiter werdende Scherenbahn durchgesetzt. Vor 25 Jahren zählte der Verband eigenen Angaben zufolge rund 3.100 Einzellizenzen und 380 Vereine, die die nationalen Meisterschaften unter sich austrugen. In den vergangenen Jahren ist die Begeisterung für den Kegelsport jedoch stark zurückgegangen. Die Zahl der Lizenzen hat sich seit 1999 mehr als halbiert, viele Vereine sind verschwunden – vergangenes Jahr zählte die „Fédération luxembourgeoise des Quilleurs“ nur noch 152 „Keeleklibb“. Jean-Marc Hoffmann, Vize-Präsident der FLQ, sieht dafür viele Gründe. Eine der Hauptursachen sei aber sicherlich das Verschwinden der traditionellen Cafés.
Gab es Ende der 70er Jahre alleine in Esch/Alzette 27 Bahnen, zählt das gesamte Land heute nur noch rund 50 Cafés und ein paar Restaurants, in denen Meisterschaftsspiele im Kegeln ausgetragen werden. In Esch werden seit einigen Jahren keine Meisterschaften mehr gespielt, es gibt nur noch einen nicht-föderierten Freizeitverein; fast alle Bahnen wurden geschlossen, nur in der Taverne Um Poteau im Neudorf (und unter Umständen in der Heaven Bar am Victor-Hugo-Platz) wird noch gekegelt. Zu den bekanntesten noch aktiven Kegelbahnbetreibern in Luxemburg gehören das Café Beim Kueb in Steinbrücken, das Deeler Bistro in Dahl, das Café Beim Fiisschen in Niederkorn oder die Schëfflenger Stuff. In vielen dieser Cafés spielen zwei, drei oder mehr Vereine, die Bahnen seien insbesondere am Wochenende „hoffnungslos überlastet“, sagt Jean-Marc Hoffmann.

2012 hat das vom Staat bezahlte nationale Kegelsportzentrum mit acht Scheren- und vier Classic-Bahnen sowie angegliedertem Bistro in Petingen eröffnet, doch weil es im äußersten Südwesten Luxemburgs liegt, ist es für Einwohner aus dem Norden und Osten schwer zu erreichen (in Schlindermanderscheid gibt es noch eine private Kegelsporthalle mit vier Bahnen, deren Zukunft jedoch ungewiss sei, wie das Wort vergangenes Jahr berichtete). In Petingen trainieren bislang vor allem die rund 120 Sportkegler, die auch an internationalen Wettbewerben teilnehmen. Einige Bahnen sind auch für Freizeitkegler verfügbar. Sportkegeln ist technischer als das Kegeln, das in den Cafés gespielt wird, die Regeln sind komplexer – es geht nicht nur ums „Abräumen“.
Männerdomäne
Obwohl die Obermosel-Zeitung schon 1889 zur Stählung ihrer Armmuskeln „auch unsern nervenschwachen Damen“ das Kegelspiel empfahl, weil „dies Spiel bei weitem nicht so unweiblich, wie Schwimmen, Turnen, Taubenschießen, Reiten, Jagen, Karten und Rauchen“ sei, bleibt Kegeln bis heute weitgehend eine Männerdomäne. In der „Hall of Fame“, die der Verband an einer Wand im Nationalen Kegelsportzentrum eingerichtet hat, hängen Fotos von 24 Männern und vier Frauen. Unter den 1.200 Lizenzierten in der nationalen Meisterschaft waren vergangenes Jahr nur 120 Frauen.
Neben dem Sportkegeln hat auch das Freizeitkegeln gesellschaftlich und kulturell stark an Bedeutung verloren. Gehörte die „Partie Keelen“ in den 80er und 90er Jahren noch zu Familienfesten wie das Amen in der Kirche, seien es heute vor allem Unternehmen, die die Bahnen etwa für Betriebsfeiern mieten, sagt Jean-Marc Hoffmann, der seit fast 50 Jahren im Kegelsport aktiv ist. Durch die verstärkte Mediatisierung und die Eröffnung von privaten Hallen hat in den vergangenen Jahrzehnten im Freizeitbereich das aus den USA stammende Bowling dem Kegeln etwas den Rang abgelaufen. Bowling kam in den 60er Jahren allmählich in Luxemburg auf, lange wurde der Begriff aber vor allem als „trendiges“ Synonym für Kegeln verwendet: Das 1966 von der Brauerei Bofferding in Petingen gebaute B.B.B.-Bowling-Center verfügte über vier Scherenbahnen zum Kegeln, doch über keine einzige Bowling-Bahn. An Bedeutung gewann Bowling erst Mitter der 90er Jahre mit der Eröffnung einer großen Halle in Foetz. 2012 wurde auch das frühere nationale Kegelzentrum auf Kockelscheuer zu einer Bowling-Halle umgebaut. Lange Zeit verfügte der Kegelverband über eine eigene Bowlingsektion, doch aufgrund von Meinungsverschiedenheiten kam es in den letzten Jahren zu einer Abspaltung. Die 2018 gegründete Luxembourg Bowling Federation hat ihren Sitz im Fun-City-Bowling-Center in Petingen, nur einen Steinwurf vom nationalen Kegelsportzentrum entfernt.

Der Kegelverband leidet nicht nur am Aussterben der traditionellen Café-Kultur, sondern auch an Nachwuchsproblemen. Das Durchschnittsalter im Vorstand und auch unter den Spielern ist hoch, Ehrenamtliche zu finden, ist schwierig. Um dem Schwund der Kegelbahnen entgegenzuwirken, hat die FLQ in den vergangenen Jahren die Gemeinden kontaktiert und sie darum gebeten, beim Bau von Jugendzentren sowie Sport- und Freizeiteinrichtungen Kegelbahnen mit einzuplanen. Auf diese Weise hoffe man, insbesondere den Nachwuchs wieder verstärkt für den Sport zu begeistern, sagt Jean-Marc Hoffmann.
Die Jugendarbeit im Verband liegt seit einigen Monaten auf Eis. Sämtliche Jugendtrainer waren zu Saisonbeginn nach Belästigungsvorwürfen gegen einen von ihnen zurückgetreten. Die FLQ habe sofort reagiert, als sie von den Gerüchten gehört habe, sich bei den betroffenen Personen erkundigt und die Polizei verständigt, teilte der Verband am Mittwoch schriftlich mit. Schließlich habe sich herausgestellt, dass die Vorwürfe nicht haltbar seien und es sich um eine Verleumdung gehandelt habe. Die betroffene Person habe daraufhin beschlossen, keine weiteren rechtlichen Schritte einzuleiten, die Polizei habe ihr jedoch erklärt, dass sie jederzeit das Recht habe, diese Entscheidung zu revidieren, so die FLQ. In den letzten Wochen sei wieder Ruhe im Verband eingekehrt und man arbeite am Wiederaufbau des Jugendbereichs.
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