EditorialVom Krieg um die Köpfe und unserem Einfluss auf das weitere Schicksal der Ukraine

Editorial / Vom Krieg um die Köpfe und unserem Einfluss auf das weitere Schicksal der Ukraine
Zerstörtes Sportgeschäft in Butscha nahe Kiew: Die Schlacht wird zum Teil in unseren Köpfen gefochten, Cognitive Warfare nennt sich das – Gedankenkrieg Foto: AFP/Sergej Supinsky

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Der Krieg in der Ukraine eskaliert kontinuierlich und unheilvoll weiter. Jeden Tag gibt es tote Zivilisten, zerstörte Infrastruktur und die blanke Artillerie-Hölle für die Soldaten an der viele hundert Kilometer langen Front.

Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig für die in immer neue Höhen geschraubte Brutalität. Sogar die Dutzenden bei einer Explosion verbrannten ukrainischen Kriegsgefangenen in einem Lager in von Russland besetztem Gebiet will Moskau Kiew in die Schuhe schieben. Die Ukraine ließ wenig später schwere Angriffe gegen wichtige militärische Stützpunkte Russlands auf der Krim folgen und legte in der Ostukraine offenbar ein Lager russischer Wagner-Söldner in Schutt und Asche. Das brandgefährliche Hickhack um Europas größtes Atomkraftwerk in Saporischschja stellt den vorläufigen Höhepunkt der Eskalationsspirale dar. Beide Seiten beschuldigen einander, das AKW zu beschießen und damit einen GAU zu riskieren, der katastrophale Folgen weit über die Ukraine hinaus hätte.

Die Aktion ist so irrsinnig gefährlich, dass man sie eigentlich niemandem zutrauen will. Aus Kiew heißt es, die Russen waren es, die damit bezweckten, dass der Westen Druck auf die Ukraine macht, irgendwie in Verhandlungen zu gehen, was Russland Zeit verschaffen würde, sich neu zu ordnen. Die Russen sagen, die Ukrainer machen das in der Absicht, dass der Westen Druck auf Russland macht, sich von dem Gelände zu entfernen, und damit der Westen schneller und mehr moderne Waffen an Kiew liefert, ohne die die Ukraine in dem Krieg nicht bestehen kann.

Wem glauben Sie?

Entschieden wird der Krieg letztlich auch in unseren Köpfen, durch das, was wir, weit im Hinterland, entfernt vom Horror der Schützengräben und außer Reichweite russischer Raketen, mit dem Rotweinglas in der Hand im Sessel sitzend über diesen Krieg denken. Die Schlacht wird zum Teil in unseren Köpfen gefochten, Cognitive Warfare nennt sich das – Gedankenkrieg. Zu wem wir halten und wessen Informationen wir im Nebel des Krieges vertrauen, beeinflusst maßgeblich unsere Bereitschaft, Teuerungen und damit persönlichen Verzicht in Kauf zu nehmen und die Ukraine weiter zu unterstützen. Beim Kampf um unsere Meinung und unsere Gefühle geht es nicht darum, wer in diesem Krieg tatsächlich etwas getan hat, sondern darum, was wir glauben, wer es getan hat – das gilt für die Menschen in Europa ebenso wie für jene in Russland.

Hundertprozentig verlässliche Informationen aus einem Kriegsgebiet kann es nicht geben. Das macht uns als Demokratien in dieser Schlacht um die Köpfe anfälliger, als das autokratische Russland es ist, in dem Wladimir Putin seit mehr als zwei Jahrzehnten Presse, Opposition und Aktivisten niedergewalzt hat und wo, anders als bei uns, abweichende Meinungen kaum noch möglich sind.

Auch deshalb sollten wir uns wieder und wieder daran erinnern, dass Putins größter Gegner in diesem Krieg ein geeintes Europa ist. Das macht die Meinungshoheit in Europa zum primären Angriffsziel von Russlands kognitiver Kriegsführung. Der Krieg um unsere Köpfe wird längst geführt und Putin hat auch in Europa genug nützliche Idioten herumlaufen, die ihm die Stange halten und die sich nicht zu schade sind, selbst die abstrusesten russischen Narrative weiterzuspinnen – ohne es zu merken, sind sie längst zu Opfern der Kreml-Propaganda geworden, die seit Jahren auf uns niederrieselt.

Auch deshalb sollten wir nicht vergessen, worum es in diesem Krieg geht und wer ihn warum begonnen hat. Nur so kann das auch mit der weiteren Unterstützung der Ukraine gelingen – dem Land, das sich seit bald sechs Monaten gegen eine unprovozierte, illegale und brutale Invasion durch Putins imperialistisches Russland stemmt und in einem Vernichtungskrieg für seinen demokratischen Fortbestand kämpft. Wir werden lieber ein paar Entbehrungen in Kauf nehmen, als in einem unfreien Staat zu leben, wie ihn Putin aus Russland gemacht hat.

Jill
20. August 2022 - 18.12

Dieser Artikel erschien unter „Meinung“ somit (denke ich) spiegelt es die Meinung des Autors wieder. Es ist seine persönliche Meinung und kein objektiver, neutraler Journalismus. Wobei es ein sehr guter, analytischer Artikel ist, bis auf den Schluss. Da werden wieder anders denkende Menschen, die ganz sicher, nicht (alle) Putin‘s Versteher oder Fans sind, hervorgehoben. Das sind normal arbeitende Bürger, die sich einfach nur Sorgen machen, denn es geht eben nicht nur um die paar Entbehrungen die wir hier in Lux in Kauf nehmen müssen. Wenn in Deutschland die Wirtschaft fällt, dann scheitert der Euro, die Euro-Zone und viellecht sogar die EU. Und dieses Risiko ist aktuell sehr hoch. Frankreich & Italien feiern derzeit neue Rekordschulden, die werden uns dann nicht helfen können. Es ist schade dass (auch) diese Wahrheit den Lesern nicht dargelegt wird.

oswaldcl
20. August 2022 - 13.02

Fréier hu mer dem Paschtouer misse gleewen, wat dee gesot huet iwwert d'Kierch an iwwert déi "aner". An elo solle mer dem Tageblatt gleewen. Ech hu kee gutt Gefill wann ech liesen, dass russesch Medien am Westen zenséiert ginn. D'Leit sinn erwuesse genuch a kënne sech hir Meenung selwer bilden. Si brauchen d'Wourecht - déi vermeintlech Wourecht - net virgeknat ze kréien.

Robert Hottua
20. August 2022 - 12.56

Ich glaube, daß die "nützlichen Idioten" von martialischen Politikern und Klerikern sich in und mit mentalen Orgasmen ihrer destruktiven, menschenverachtenden und menschenvernichtenden Rolle bewußt sind. Tatorte sind für diese psychopathischen Menschen attraktiv. MfG Robert Hottua

catherine.gaeng
20. August 2022 - 11.13

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