Am 8. August 1703 verkündete das „Wiennerische Diarium“ auf der Titelseite, was die Leser ab sofort täglich erwartete: „Alles Merckwürdige / so von Tag zu Tag“ aus der „kaiserlichen Residenz-Stadt Wienn“ und aus der ganzen Welt sollte von nun an reportiert werden. 150 Jahre lang war die „Wiener Zeitung“ (WZ) dann auch dominierendes Medium der k.u.k.-Monarchie, ehe nach der Märzrevolution 1848 neue Tageszeitungen wie „Die Presse“ an Einfluss gewannen.
Am Freitag musste die WZ die „Merckwürdigkeit“ ihres eigenen Endes verkünden: Am 30. Juni wird das Blatt zum letzten Mal als Tageszeitung erscheinen, ab Juli nur noch als Online-Zeitung, die es nur noch zehnmal jährlich auch in einer Printversion geben soll.
Tags zuvor hatte der Nationalrat mit den Stimmen der türkis-grünen Koalition gegen den geschlossenen Widerstand der Opposition das Aus für die WZ beschlossen. SPÖ-Mediensprecher Jörg Leichtfried verurteilte diese „medienpolitische und kulturpolitische Schande“. Die Regierung schmeiße „jährlich 200 Millionen Euro für Regierungspropaganda“ raus, auf der anderen Seite stelle sie die WZ ein. Beate Meinl-Reisinger, Chefin der liberalen Neos, warf der Regierung „Unfähigkeit, Kurzsichtigkeit, Niedertracht oder Überheblichkeit der Macht“ vor. Auch die FPÖ forderte ein Überleben der Zeitung.
Bald Ausbilder?
Die zuständige Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) will den Vorwurf des Abschaffens der WZ nicht gelten lassen, sondern spricht von einer auch angesichts von nur noch 8.000 bezahlten Abonnements notwendigen „Transformation ins digitale Zeitalter“. Tatsächlich bleibt die Marke erhalten, wenn auch – abgesehen von den zehn Printausgaben pro Jahr – nur noch als Online-Medium, das künftig 16,5 Millionen Euro direkt aus dem Bundesbudget erhalten wird. Sechs Millionen davon sind für einen „Media Hub“ zur Journalistenausbildung vorgesehen.
Die Kritik der (noch) 40-köpfigen, wohl bald halbierten WZ-Redaktion schlug die Regierung ebenso in den Wind wie jene der Opposition. Der „Media Hub“ sei „demokratiepolitisch bedenklich, denn er ist beim Geschäftsführer der Wiener Zeitung GmbH angesiedelt und steht damit in direkter Weisungskette des Bundeskanzleramts. In liberalen Demokratien ist eine derartige Konstruktion verpönt“, hatte die Redaktion in einem Appell zur Beibehaltung der Print-Zeitung beklagt.
Diese Argumentation hat freilich einen Schönheitsfehler: Denn auch wenn die Arbeit der WZ-Journalisten allgemein als seriös, fundiert und unabhängig gewürdigt wird, würde die formale Konstruktion dieses Mediums wohl europaweit Proteste auslösen, ließe sich Ungarns Viktor Orban Derartiges einfallen: Denn wie zu Kaisers Zeiten bestimmt die Obrigkeit, wer die WZ leitet. Geschäftsführer und Chefredakteur werden vom Bundeskanzler bzw. dem Medienminister bestellt. Auch den Aufsichtsrat der WZ-GmbH bestellt das Kanzleramt. So war der aktuelle Geschäftsführer Martin Fleischhacker vor fünf Jahren unter Kanzler Sebastian Kurz bestellt worden. Der ehemalige ÖVP-Funktionär trat den Job schon im Wissen um das geplante Aus für die Papierzeitung an. Denn die damalige ÖVP-FPÖ-Koalition hatte diesen Plan ebenso im Arbeitsprogramm wie die aktuelle türkis-grüne Regierung.
EU schuld?
Ministerin Raab verweist nun darauf, dass man auch eine EU-Vorgabe umsetze. Denn die Richtlinie 2019/1151 über den „Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht“ verlangt, dass Unternehmen Pflichtveröffentlichungen auch online durchführen können. Zwar wollte die Richtlinie „die Rolle des nationalen Amtsblatts nicht berühren“, fordert zugleich aber auch, dass Unternehmen die Pflichtveröffentlichungen „nur einer zentralen Stelle melden müssen“. Das Recht zur Online-Veröffentlichung hebelte so die Pflicht zur (parallelen) Veröffentlichung auf Papier aus.
Das nationale „Amtsblatt“ WZ verlor damit die Geschäftsgrundlage. Denn während so manche Boulevard-Zeitung auch mit Methoden des Revolverjournalismus um Anzeigen kämpft, musste die WZ nicht einmal darum werben. Börsennotierte Unternehmen etwa müssen bislang Einladungen zu Hauptversammlungen und Jahresabschlüsse verpflichtend in der WZ kundtun. Für 8.000 Euro pro Seite. Die Wirtschaft forderte daher seit vielen Jahren ein Ende dieser Pflichtveröffentlichungen.
Mit dem Ende der WZ verliert die ohnehin schon auf 13 Tageszeitungen ausgedünnte österreichische Medienlandschaft ein zwar mangels Lesermassen nicht stimmgewaltiges, aber seriöses Qualitätsmedium. Dass die Online-Rechnung aufgeht, bezweifeln Medienexperten. Denn auch dieser Markt ist heiß umkämpft. Mit einem fast ausschließlichen Online-Produkt habe die WZ „keine Überlebenschance“, meint Eike-Clemens Kullmann, Chef der Journalisten-Gewerkschaft. Den nun beschlossenen Regierungsplan hält er für einen „Todesstoß auf Raten“.
De Maart
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