Dienstag23. Dezember 2025

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Expo Bert TheisVisionär einer gerechteren Welt – eine Retrospektive in der Escher Konschthal

Expo Bert Theis / Visionär einer gerechteren Welt – eine Retrospektive in der Escher Konschthal
Einblicke in Bert Theis’ Arbeit: Hier „Isola (Project) Milano, collage pour une sérigraphie“ (2003) Copyright: Bert Theis/Quelle: Konschthal

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„Bert Theis: pour une philosophie collagiste“ in der Escher Konschthal bietet Einblicke in die Arbeit des Künstlers und zeigt mit seinen Collagen bisher kaum bekannte Facetten. Eine sehenswerte Retrospektive.

Der Schatz liegt versteckt, im allerletzten (dritten) Stockwerk der Konschthal. Ein Aufstieg, der sich lohnt, denn dort tauchen die Zuschauer:innen ein in eine Welt, die einen spontan an André Breton und Dada denken lässt und zugleich die drängenden ökologischen Probleme wachruft. In der Retrospektive wirkt das Bilduniversum des luxemburgischen Künstlers Bert Theis gerade zu visionär.

Handschriftliche Notizen zur Kunstgeschichte geben Einblicke in seine Gedankenwelt wie seine Arbeitsweise. Es sind theoretische Überlegungen zu seinem Werk Projekt „Potemkin Lock“, das er 1995 auf der Biennale in Venedig ausstellen sollte: 5. „Die ikonografische Verseuchung der wir täglich ausgesetzt sind ist ein „dato di fatto“ hat Theis dort mit einer Schreibmaschine festgehalten, „Matisse meets Potemkin!“ und handschriftlich mit der Notiz „Pour Enrico Lunghi“ versehen; 9. „Was wäre wenn die Trennung von Betrachter und Werk aufgehoben würde? Wäre das die Aufhebung der „autoreferenzialità dell’arte“? Oder in Punkt 27: „Nur dann reden, wenn man etwas zu sagen hat.“

„Die Parabel vom Wasserbecken“ – Ausgangspunkt der Ausstellung

Gentrifizierung, den ökologischen Wandel und den Raubbau an den natürlichen Ressourcen hat der Künstler Theis schließlich in seiner Bildserie „Die Parabel vom Wasserbecken“ verarbeitet – Ausgangspunkt und Herzstück der Ausstellung. Es ist das erste Mal, dass einige dieser Werke von Bert Theis (1952-2016) ausgestellt werden. Der luxemburgische Künstler, der 1997 nach Mailand übersiedelte, ist vor allem bekannt für seine monumentalen, umfassenden politischen Installationen. Die Schau „Bert Theis: pour une philosophie collagiste“ ist Teil eines Projekts des Theis-Archivs, das das über mehrere Jahrzehnte hinweg entstandene Oeuvre des Künstlers ab 1980 umfasst. Denn Anfang der 1980er Jahre fing dieser an, mit Papier und Schere zu experimentieren. Die Ausstellung dokumentiert diese Periode, in der der Künstler die „vielgestaltige“ Collage praktizierte, sei es auf Papier, durch Fotomontage oder sogar mit Ton.

Die Expo

Die Ausstellung „Bert Theis: pour une philosophie collagiste“ ist noch bis zum 21. September 2025 im dritten Stock der Escher Konschthal zu sehen.

Vor über einem Jahr kontaktierte die Witwe von Bert Theis, Mariette Schiltz, die seine Archive verwaltet, das Team der Konschthal; weil sie mit Mitarbeiter:innen dabei waren, ein Buch zu machen; es handelte sich um den Collagenband „Die Parabel vom Wasserbecken“, erzählt Kuratorin Charlotte Masse. Als Schiltz ihn dem Direktor der Konschthal, Christian Mosar, und Charlotte Masse vorstellte, überlegten sie, die Original-Collagen aus dem Buch herauszulösen und eine Ausstellung zu kreieren.

Dia- und Material-Collagen

So trugen sie Collagen, Dia- und Material-Collagen, zusammen. Darunter auch solche, die auf Dia-Positiven angefertigt wurden – sowie seine Gedichtbände. Die Quellen für diese Collagen sind vielfältig: Zeitungsausschnitte mit bizarren Motiven, mit Referenzen an die Kunstgeschichte, Fragmente von Fundstücken, zerrissene Magazinseiten, Aquarellpapier. Hinzu kamen seine Arbeiten, die er Anfang der 1990er angefertigt hatte, um an der 46. Kunstbiennale in Venedig teilzunehmen.

„Oagestréckt“, Collage für den Gedichtband „Dat lest“ (1987, Ed. Op der Lay) von Robert „Gollo“ Steffen
„Oagestréckt“, Collage für den Gedichtband „Dat lest“ (1987, Ed. Op der Lay) von Robert „Gollo“ Steffen  Copyright: Bert Theis/Quelle: Konschthal

Was macht sein Werk heute so außergewöhnlich? „Es gibt auch diese Seite seines Werks, die ,L’art de la peinture‘ heißt“, so Charlotte Masse. Das ist ein Buch aus zweiter Hand, das er neu mit Collagen bearbeitet und überklebt hat und einen Bruch markiert mit seinem Werk, der Malerei. Mehr und mehr wob der Künstler in seinem Werk eine ökologisch engagierte Politik ein, bis hin zu seinen Interventionen im öffentlichen Raum.

„Sein Werk hat sich historisch entwickelt. Man sieht, dass es sehr stark vom Surrealismus und Dadaismus beeinflusst wurde. Was die soziale und politische Dimension betrifft, glaube ich, dass Bert Theis vor allem mit seinem Projekt ,Isola Art Center‘ (2008) ein Statement gesetzt hat – insbesondere was Gentrifizierung betrifft“, meint Masse. So hat er in seinen Fotoarbeiten etwa verlassene Viertel oder Gebäude, die wie mit dem Holzschlaghammer in die Natur gesetzt wurden, festgehalten. „Er zeigt aber auch verwaiste Viertel und Gebäude, für die die Leute alternative Lösungen finden mussten“, so Masse.

Utopische Fotomontagen, sinnlich erfahrbar

So ist etwa „Aggloville“ (2007), entstanden zwischen 2001 und 2015, eine Serie utopischer Fotomontagen, die Aufnahmen aus der Luft von München, Milano, Paris, Tirana oder Turin zeigt, in denen architektonische Kerne aus der Landschaft herausragen, während ganze Stadtteile von einer dschungelartigen Wildnis bedeckt sind. Beim Anblick dieser Aufnahmen stellen sich unwillkürlich grundlegende Fragen, etwa wie und ob eine ‚andere Stadt‘ möglich ist.

In der Konschthal kann man diese Aufnahmen zwischen lebendigen Topfpflanzen, wie durch einen Dschungel gehend, bestaunen – ein Arrangement, das die Gabe von Charlotte Masse beweist, Ausstellungen auch sinnlich erfahrbar zu kuratieren. „Aggloville“ visualisiert diese Fragen, indem es verschiedene urbane Fragmente miteinander verbindet: dschungelartige Landschaften wie in Kongo-Brazzaville, Viertel und Blöcke wie in „Alphaville“ von Jean-Luc Godard oder imaginäre Wege wie in „Dogville“ von Lars von Trier, wie es der Künstler selbst erklärt hat.

In den 1980er Jahren forschte Theis weiter, die Schere in der einen Hand, den mit Klebstoff bestrichenen Pinsel in der anderen, wie in der Ausstellung in einem schwarz-weißen Porträt gezeigt wird. Die großen surrealistischen Meister wie Max Ernst, Duchamp (in einer Klangarbeit), Diego Rivera und André Breton werden bei ihm alle direkt zitiert. Die faszinierenden Collagen sind minutiös und präzise gearbeitet – mitunter so fein, dass es schier unmöglich ist, die Übergänge zu erkennen.

Das Herzstück der Ausstellung, die Collagen, die den Text „Die Parabel vom Wasserbecken“ illustrieren, sind in einem Glaskasten exponiert. Das unvollendete Buch aus dem Jahr 1986 wurde erst vor Kurzem posthum als Künstlerbuch gedruckt und veröffentlicht (in einer Auflage von 100 Exemplaren; einige wenige dieser wertvollen Einzelexemplare sind in der Konschthal zum Preis von 350 Euro erhältlich).

Kapitalismus-Satire

„Die Parabel vom Wasserbecken“, Collage (1986) aus dem gleichnamigen Publikationsprojekt von 2025
„Die Parabel vom Wasserbecken“, Collage (1986) aus dem gleichnamigen Publikationsprojekt von 2025 Copyright: Bert Theis/Quelle: Konschthal

Dabei handelt es sich um eine Kapitalismus-Satire des amerikanischen Autors Edward Bellamy aus dem späten 19. Jahrhundert, der zu dieser Zeit in sozialistischen und anarchistischen Kreisen populär war. Die karikierten Figuren, raubvogelköpfige (gefräßige) Kapitalisten in bürgerlichen Gewändern und fischköpfige Proletarier in bürgerlicher Kleidung, wirken aus der Zeit gefallen. Sie halten Messinstrumente in der Hand und scheinen physikalische Vorgänge zu entdecken, um sich die technischen Errungenschaften sukzessive anzueignen. So kann man verfolgen, wie Wasser aus dem Hahn fließt, bis hin zu seiner Privatisierung.

Als die Galerie Terre Rouge 1981 die Ausstellung „Bert Theis, Zeichnungen, Collagen, Druckgrafik“ organisierte, hieß es in der begleitenden Pressemitteilung, dass der Künstler „die in Esch ausgestellten Werke als provisorische Experimente betrachtet, die jedoch auf eine schonungslose Konfrontation mit den Bedrohungen abzielen, die dem Individuum in der bürgerlichen Gesellschaft drohen“.

Das Hauptthema ist in Theis’ Werk die Entfremdung (des Menschen von den Produktionsmitteln), ein zwar inflationär verwendeter Begriff, den Bert Theis jedoch auf sehr persönliche Weise mit einfachen, aber effizienten Mitteln herausstellt. Der in den 1980er und 1990er Jahren wirkende Künstler, der sich stets gegen eine ideologische Vereinnahmung wehrte, scheint diese Entfremdung des Menschen von der Natur im marxistischen Sinne interpretiert zu haben. Dennoch sind seine Werke an keiner Stelle plakativ, sondern vielschichtig und subtil. Die eindrucksvolle Ausstellung in der Escher Konschthal ist damit eine Hommage an den (zu) lange in Vergessenheit geratenen Künstler.