Tageblatt: Martin Rajna, willkommen in Luxemburg beim Philharmonischen Orchester! Ihre Ernennung zum Musikdirektor kam unerwartet und kurzfristig: Erst am 15. November 2024 dirigierten Sie ein Konzert und am 9. Januar unterschrieben Sie einen Vierjahresvertrag beim Luxembourg Philharmonic. Was bewog Sie, den Posten des Chefdirigenten anzunehmen?
Martin Rajna: Als ich zum ersten Mal auf die Bühne der Philharmonie trat, fühlte ich mich sofort daheim – und nach den ersten Minuten der ersten Probe fühlte ich mich ungemein wohl mit dem Orchester. Die Musiker des Luxembourg Philharmonic reagierten schnell auf meine Wünsche. Ich spürte, dass die Chemie zwischen uns stimmte. Die Frage, ob ich dem Wunsch nachkommen würde, neuer Chefdirigent des Luxembourg Philharmonic zu werden, stellte sich überhaupt nicht für mich. Ein tolles Orchester arbeitet hier mit einem fantastischen Management, zudem gibt es einen wunderbaren Konzertsaal. Die Tatsache, dass die Musiker und die Kollegen hinter den Kulissen nicht nur professionell und engagiert, sondern offene und freundliche Menschen sind, machte es mir sehr leicht, den Posten anzunehmen.
Da Sie erst ab der Spielzeit 2026/27 zur Verfügung stehen, bleibt jetzt genug Zeit zur Planung. Gibt es schon konkrete Ideen?
Wie wir alle wissen, wird 2027 Beethoven-Jahr sein – dazu planen wir verschiedene Projekte. Besonders wichtig ist dies für mich, weil das letzte Beethoven-Jahr 2020 wegen Covid meiner Meinung nach nicht wirklich gefeiert werden konnte. Außerdem planen wir verschiedene Tourneen mit dem Orchester in Europa, und natürlich auch außerhalb Europas.
Zur Person
Martin Rajna, Jahrgang 1995, ist Absolvent der Franz Liszt Academy Budapest und seit 2023 Principal Conductor der Ungarischen Staatsoper Budapest. Darüber hinaus ist er Chefdirigent des Györ Philharmonic Orchestra.
Welches ist Ihr Lieblingsrepertoire im symphonischen Bereich?
Die deutsche Romantik und die Wiener Klassiker liegen mir sehr am Herzen und es gibt ein gewisses Repertoire aus dem 20. Jahrhundert, das ich wirklich mag. Natürlich ganz speziell die Musik meines Landsmannes Béla Bartók. Ich würde dem luxemburgischen Publikum und dem Orchester die ungarische Musik gerne näherbringen. Nicht nur Bartók, es gibt viele selten gespielte Werke von Franz Liszt, Zoltan Kodály und Ernst von Dohnányi, die absolut hörenswert sind.
Junge Dirigenten in bedeutenden Positionen hat es schon immer gegeben: Furtwängler wurde mit 29 Jahren Operndirektor des Nationaltheaters Mannheim, Toscanini mit 31 Chef an der Mailänder Scala, Mahler war ebenfalls 31, als er 1891 an das damalige Stadt-Theater in Hamburg ging. Und Karajan war knapp 27, als er in Aachen jüngster Musikdirektor Deutschlands wurde. Trotzdem scheint es gerade heute eine wahre Schwemme an jungen Talenten zu geben. Wie sehen Sie das?
Damals sah das gesamte Musikleben noch völlig anders aus. Das Berliner Publikum hat Furtwängler nie in Mannheim oder Karajan in Aachen gehört. Diese gigantischen Dirigenten konnten als junge Berufsanfänger viel freier arbeiten, weil sie in der damaligen Zeit und in dieser frühen Phase ihres musikalischen Wirkens weder vom Musikleben noch von der Presse wirklich beobachtet wurden. Ihre Fehler als Dirigent oder Musikdirektor hatten somit auch keine gravierenden Folgen. Sie konnten unbeobachtet wachsen. Heute ist das ganz anders. Sobald ein Talent irgendwo auftaucht, wird es sofort vom Publikum wie auch von den Medien beurteilt und steht bereits ganz früh auf dem Prüfstein. Es gibt viele hochbegabte jüngere Kollegen, welche die Möglichkeit erhalten, ihr Talent zur richtigen Zeit zu zeigen. Aber sie müssen gnadenlos mit den größten und erfahrensten Dirigenten der Welt konkurrieren, was natürlich unmöglich ist. Man kann keinen jungen Dirigenten mit einem Dirigenten von Weltruf vergleichen. Das ist nicht fair und kontraproduktiv, denn diese Erwartungshaltung kann die Gesundheit und die Persönlichkeitsentwicklung des jungen Dirigenten oder der jungen Dirigentin extrem schädigen. Jeder muss für seine Entwicklung auch die dafür notwendige Zeit bekommen. Obwohl das im Moment schwierig ist, denn der Markt ist unerbittlich und stellt uns enorm unter Druck.
Was hat Sie bewogen, Dirigent zu werden?
Als kleines Kind fühlte ich mich einsam am Klavier, doch später hatte ich die Möglichkeit, die Freude des gemeinsamen Musizierens zu erleben. Diese Erfahrung war für mich sehr wichtig und zählte zu den größten Freuden in meinem Leben. Mit 15 hörte ich zum ersten Mal eine Aufführung an der Staatsoper Budapest, und ich war so von der Rolle des Dirigenten angetan, dass ich sofort beschloss, Dirigent zu werden.
Ich bin sicherlich kein Diktator, aber ich mag Ordnung und Disziplin
Wie wichtig ist Ihnen der Klang?
Vielleicht ist der Klang eines Orchesters das Wichtigste überhaupt. Klang bedeutet Identität für mich, doch wird der Klang viel zu oft einem leeren Perfektionismus untergeordnet. Wie schön war es damals, als die Orchester im 20. Jahrhundert nur vom Klang her erkennbar waren. Leider ist heute vieles schematisiert und da jeder dem Markt entsprechend alles gut spielen möchte, klingt das Endergebnis meistens ähnlich. Man hört die spezifischen Eigenschaften der Orchester nicht mehr oder nur noch selten.
Einer Ihrer Mentoren war der kürzlich verstorbene Peter Eötvös, ohne Zweifel einer der interessantesten und besten Komponisten der Gegenwart. Sie haben zudem mit Magnus Lindberg, Thomas Adès und György Kurtag gearbeitet. Was für ein Verhältnis haben Sie zu zeitgenössischer Musik?
Es hat sich in den letzten paar Jahren geändert. Ich dirigiere heute wenig Neue Musik, aber was ich letztendlich dirigiere, tue ich mit großer Hingabe. Es erfordert große Anstrengungen, ein neues Stück auf die gleiche ernsthafte Art und Weise zu lernen wie ein Werk des Standardrepertoires. Wer eine komplexe, moderne Partitur auch nach Gehör beherrschen will, muss viel Energie in das Lernen investieren. Ohne diese Fähigkeit ist neue Musik zu dirigieren eine wahre Scharlatanerie.

Was zeichnet denn gute zeitgenössische Musik für Sie aus?
Ich glaube, dass gute zeitgenössische Musik mit den Gegebenheiten der heutigen Gesellschaft oder/und mit den kulturellen Hintergründen zu tun hat. Sie stellt nicht nur ihre eigenen intellektuellen Fragen, sondern macht sie erlebbar. Und was noch wichtiger ist: hörbar. Dies erfordert allerdings eine offene und sensible Persönlichkeit, die heutzutage bei den Komponisten leider eher selten ist.
Das Bild des Dirigenten hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Welcher Typ sind Sie?
Ich bin sicherlich kein Diktator, aber ich mag Ordnung und Disziplin. Ich liebe die Musik leidenschaftlich und widme meine ganze Energie dem Ziel, ein herausragendes Endergebnis zu erreichen. Ich arbeite gerne in einer ruhigen, friedlichen und liebevollen Umgebung, aber manchmal muss man mit dem Orchester ehrlich und direkt sein, um effektiv arbeiten zu können.
Sie sind zudem ein begeisterter Operndirigent. Werden Sie auch Opern in Ihre Programme in Luxemburg aufnehmen?
Definitiv. Meine ganze musikalische Auffassung kommt aus dem Gesang und dem Singen, und Oper spielt in meinem Leben seit mehreren Jahren eine ebenso wichtige Rolle wie das sinfonische Repertoire. Seitdem ich als erster Kapellmeister an der Ungarischen Staatsoper arbeite, bin ich der Oper leidenschaftlich verfallen und will auf keinen Fall mehr den Operngraben verlassen.
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