Vorab stehen zwei Dinge fest: Wegen des Bevölkerungszuwachses auf 5,1 Millionen erhält auch die Dáil Zuwachs auf 174 Frauen und Männer (bisher 160). Und die Regierungsbildung wird länger dauern als der Wahlkampf. So jedenfalls suggerieren es die Meinungsumfragen, wonach FG, der bisherige nationalliberale Koalitionspartner Fiánna Fáil (FF) sowie die linkspopulistische Sinn Féin (SF) gleichauf bei jeweils rund 20 Prozent liegen. Sollten FG und FF eine Neuauflage ihrer Koalition anstreben, bräuchten sie mindestens einen verlässlichen Dritten. Bisher waren dies die Grünen, wobei diese der Malaise aller Ökoparteien Westeuropas anheimzufallen scheinen: Harte, schmerzhafte Schritte zur Entkarbonisierung der Wirtschaft kosten Geld, und bezahlen will für die Eindämmung der Klimakrise kaum jemand.
Dabei schwimmt die Republik am Westrand Europas geradezu in Geld. Das Haushaltsplus lag zuletzt bei 1,3 Prozent. Die in Irland nicht zuletzt wegen der niedrigen Körperschaftssteuer von 12,5 Prozent ansässigen US-Multis boomen und spülen dem Dubliner Finanzminister immer neue Milliarden in die Kasse. Hinzu kommt die Steuernachzahlung des Tech-Konzerns Apple in Höhe von 13 Mrd. Euro, die von der Brüsseler EU-Kommission und vom Europäischen Gerichtshof EuGH gegen den Widerstand der irischen Regierung erzwungen wurde. Mittlerweile stammt ein Viertel der Steuereinnahmen aus den Abgaben der Unternehmen.
Steuerentlastung für die Bürger
Ob das Bestand haben kann, wenn von Januar an der designierte US-Präsident Donald Trump wie angekündigt die EU mit Strafmaßnahmen belegt? Die Frage wird vorsichtshalber kaum diskutiert im Wahlkampf. Stattdessen streiten die Parteien über die Höhe einer weiteren Steuerentlastung für die Bürger. Dabei schüttete der Haushalt im Herbst bereits das Füllhorn reicher Gaben aus: Ein durchschnittlicher Haushalt wird im kommenden Jahr um 1.000 Euro reicher sein als 2024. Alle Haushalte, egal mit welchem Einkommen, erhalten diesen Winter einen Heizzuschuss von 250 Euro. Eltern kleiner Kinder erhalten höhere Betreuungshilfen, die Studiengebühren bleiben bei 2.000 Euro eingefroren.
Derlei Wohltaten müssten der bestehenden Koalition eigentlich eine komfortable Wiederwahl bescheren, zumal SF-Chefin Mary Lou McDonald mit Skandalen in ihrer geheimniskrämerischen Partei zu kämpfen hat: Fraktionsaustritte prominenter Mitglieder; die Vertuschung eines Pädophilen-Skandals; die bis heute andauernde Verherrlichung von Gräueltaten der katholisch-republikanischen Terrortruppe IRA, als deren politischer Arm die Partei groß geworden ist. Die Aussicht der 55-Jährigen auf das Amt des Taoiseach (gälisch für Häuptling) stehen diesmal schlechter als bei der jüngsten Wahl 2020, als SF deutlich vor den beiden anderen großen Parteien lag, aber an der Koalitionsfrage scheiterte.
Doch Amtsinhaber Harris kann sich seiner Sache keineswegs sicher sein. Erst im April kam der verheiratete Vater von zwei Kindern und Abgeordnete für einen ländlichen Bezirk ins Amt, mit dem Schwung glänzender Umfragewerte für sich und seine Partei ging er in den Wahlkampf. Seither befindet sich die seit 2011 in unterschiedlichen Konstellationen regierende Fine Gael im Sinkflug, der 38-Jährige selbst machte sich durch eine ruppige Begegnung mit einer unbeholfenen Wählerin zusätzlich unbeliebt. Und das Wahlvolk murrt, allen finanziellen Wohltaten zum Trotz.
Wohnungskrise und sozialer Wandel
Neben der notorisch angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt hat in den letzten Monaten das Thema der Einwanderung an Bedeutung gewonnen. Bereits jeder fünfte Bewohner der grünen Insel wurde im Ausland geboren, der damit einhergehende rapide soziale Wandel scheint viele zu überfordern. Die anfänglich großzügige Hilfe für ukrainische Flüchtlinge ist kühler Ablehnung gewichen. Richteten sich nationalistische Parolen einst gegen die frühere Kolonialmacht Großbritannien und warben für die ersehnte Wiedervereinigung mit dem britischen Nordosten der Insel, so geht es jetzt gegen Menschen anderer Herkunft und Hautfarbe. Vor Jahresfrist kam es im Problembezirk Dublin 1 sogar zu fremdenfeindlichen Krawallen, nachdem ein Ire algerischer Herkunft mehrere kleine Kinder sowie eine Lehrerin schwer verletzt hatte.
Weit rechts stehende Kandidaten dürften am Freitag zwar manche Stimmen auf sich ziehen, aber kaum in großer Zahl ins Parlament einziehen. Hingegen erwarten Fachleute wie der Politikdozent Eoin O’Malley von der Dublin City University die Wahl von rund 25 Partei-Unabhängigen: „Als Gruppe könnten sie also wichtig werden für die Regierungsbildung.“ Die Verhandlungen darüber dürften die Advents- und Weihnachtszeit überdauern.
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