Heute Abend werden sie eröffnet: Die 75. Berliner Filmfestspiele – und das gleich mit zentraler Luxemburger Beteiligung: Désirée Nosbusch, Schauspielerin, Moderatorin, neuerdings auch Regisseurin – ihr Regiedebüt „Poison“ kam gerade ins Kino –, und auch in Deutschland ein Star, führt an diesem Donnerstagabend als Moderatorin durch die heutige Eröffnungsgala im Berlinale-Palast am Potsdamer Platz. Der Abend ist nicht nur für Nosbusch eine Premiere, es ist auch das erste Festival unter der Ägide der Amerikanerin Tricia Tuttle, die die Berlinale-Leitung im letzten Frühjahr vom vielerorts ungeliebten Leitungsduo Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek übernahm. Vor Tuttle liegen viele ungelöste Probleme und Herausforderungen.
Was zur Eröffnung läuft
Die ersten Bilder auf der Festivalleinwand zeigen Tim und Milena, ein typisches Berlin-Mitte-Paar: wohlsituiertes, linksliberales Bildungsbürgertum mit drei Kindern und relativ wenig finanziellen Sorgen. Aber eben auch zwei ein bisschen abgehobene Exemplare der Privilegierten dieser Welt, die jene nur von ihrer strahlenden schönen Seite kennen. Doch plötzlich kommt diese Welt, und mit ihr auch deren anderes, unangenehmeres Gesicht zu ihnen, in Gestalt von Farah, einer Psychotherapeutin aus Syrien, die durch Bürgerkrieg und Flucht in Berlin gelandet ist. Sie sucht Arbeit und wird Haushaltshilfe bei der Familie. Und ziemlich schnell werden dort auch ihrer therapeutischen Fähigkeiten gebraucht …

„Licht“, der neue Film des deutschen Regiestars Tom Tykwer („Lola rennt“), seine erste Kinoarbeit seit fast zehn Jahren Serienerfolg mit „Babylon Berlin“, der in Berlin die 75. Ausgabe der Berliner Filmfestspiele eröffnet, ist eine Mischung aus Drama und Komödie: Ernste Probleme treffen auf heitere Situationen. Und am Ende erzählt der Film vor allem vom Trost von Fremden: Die syrische Flüchtlingsfrau wird zum Katalysator und kuriert die dysfunktionale Hipster-Familie sowie andere Wohlstandsprobleme der Deutschen. Aber wer tröstet Farah? Darin, auch in der letztlichen Ignoranz für die Außenseiterperspektive der Syrerin, steht Tykwers gutgelaunter Film durchaus in der Tradition bester Hollywood-Komödien von Lubitsch, Sturges und anderen.
Dieser Eröffnungsfilm ist gut gewählt, läuft außer Konkurrenz und bietet in mehrerer Hinsicht ein Déjà-vu: Tatsächlich eröffnete auch Tuttles Vorvorgänger Dieter Kosslick vor 22 Jahren „seine“ erste Berlinale mit einem Film von Tom Tykwer: „Heaven“, die erste internationale Produktion des Regisseurs. Und auch die beiden Hauptdarsteller Nicolette Krebitz (Milena) und Lars Eidinger (Tim) sind alte Berlinale-Bekannte: Krebitz zeigte hier mehrere eigene Regiearbeiten, zuletzt „AEIOU“ im Wettbewerb, und der Berliner Bühnenstar Eidinger ist gefühlt seit 20 Jahren Dauergast des Festivals.

Allgemein setzt die neue Berlinale-Chefin in vielem auf alte Gesichter: Schauspielerin Tilda Swinton in der Jury, Leonie Benesch, Marion Cotillard, Edward Norton und Robert Pattinson in Hauptrollen, US-Regisseur Richard Linklater, sein rumänischer Kollege Radu Jude, die französische Autorenfilmerin Lucile Hadzihalilovic, um nur einige wenige zu nennen, die dem Berliner wohlbekannt sind. Insgesamt wirkt das Programm etwas offener und liebevoller als zuletzt. Wer sich für deutsches Kino interessiert, der kann in der Retrospektive unbekannte Genreperlen entdecken wie einen Vampirfilm von Hans Geissendörfer.
Ein Festival in Not
Vielleicht ist es ja eine Strategie der neuen Leiterin, „Integrationsfiguren“ einzuladen, mutmaßte dieser Tage das Stadtmagazin Tip. Denn tatsächlich sind die Herausforderungen groß: Die letzte Dekade waren sehr unruhige Jahre für die Berlinale wie für die Stadt Berlin und die bundesdeutsche Kulturpolitik, die den größten Teil des Festivaletats finanziert. Das wichtigste deutsche Filmfestival– und in eigener Wahrnehmung eines der drei wichtigsten „A-Festivals“ der Welt – hatte seit den letzten Jahren des Kino-Populisten Kosslick mit einem zunehmenden Bedeutungsverlust zu kämpfen. Hinzu kamen bereits vor der Corona-Pandemie Probleme mit dem Budget und akuter Raummangel. Ein ganzer Kinokomplex mit acht großen Sälen wurde am Potsdamer Platz geschlossen.

In diesem Jahr mussten auch noch das traditionsreiche Arsenal-Kino, eines der zwei Filmmuseen der Stadt und die deutsche Kinematik mit beiden Sälen schließen. Hinzu kommt das allgemeine Kinosterben, das auch die deutsche Hauptstadt erfasst hat. Die Folge sind eine starke Reduktion der Pressevorführungen sowie eine Zersplitterung der Berlinale-Säle über die ganze Vier-Millionen-Metropole. Letzteres kann man zwar im PR-Jargon als neue Vielfalt und mehr Publikums-Zugänglichkeit verkaufen, für die regelmäßigen Festivalgäste und Professionellen aus aller Welt dominiert trotzdem der Eindruck eines unguten Zentrumsverlusts.
Luxemburg in Berlin
Im Hauptwettbewerb, in dem unter anderem der Goldene und die Silbernen Bären vergeben werden, sind folgende Filme aus Luxemburg vertreten:
„La Cache“, ein Drama des Schweizer Regisseurs Lionel Baier, produziert unter anderem von der Luxemburger Firma Red Lion.
„Reflet dans un diamant mort“ von Hélène Cattet und Bruno Forzani, eine internationale Koproduktion mit Les Films Fauves aus Luxemburg.
„Timestamp“, ein dokumentarischer Einblick in den ukrainischen Schulalltag während des Krieges, inszeniert von Kateryna Gornostai und unterstützt von a_BAHN.
„Kontinental ’25“ von Radu Jude, eine internationale Koproduktion (Rumänien, Brasilien, Schweiz, Großbritannien und Luxemburg), unterstützt von der Firma Paul Thiltges Distributions.
In der Panorama-Sektion wird „Confidente“ von Çağla Zencirci und Guillaume Giovanetti präsentiert, während „Der Kuss des Grashüpfers“ von Elmar Imanov in der experimentellen Forum-Sektion gezeigt wird.
Die Schauspielerinnen Vicky Krieps und Sophie Mousel sind ebenfalls in Berlin zu sehen: Krieps spielt in „Hot Milk“ von Rebecca Lenkiewicz; Mousel ist u.a. in „Reflet dans un diamant mort“ zu sehen. Bei den „Berlinale Talents“, dem Förderprogramm für Nachwuchskünstler, ist das Großherzogtum durch die Produzentin Hélène Walland anwesend.
Auch die luxemburgische Politik reist an: Der Kulturminister Eric Thill ist vom 16. bis zum 18. Februar in Berlin zu Gast. Der Film Fund Luxembourg lädt darüber hinaus zusammen mit der Botschaft des Großherzogtums zu einer Rezeption ein.
Politische Debatten im Vordergrund
Hinzu kommt Inhaltliches: Im Vorjahr wurde die Berlinale durch Debatten um Einladungen für rechtsextreme Politiker, interne Antisemitismus-Vorfälle und eine durch israelfeindliche Äußerungen skandalöse Preisverleihung erschüttert. Nicht alles daran hat die Berlinale zu verschulden. Es trifft aber ein Festival, das sich gern als besonders „politisch“ vermarktet, besonders stark.
Das berührt ein generelles Problem gegenwärtiger Kulturpolitik, die weit über die Berlinale hinausgeht: Programm- wie Personalentscheidungen sind immer mehr durch Kriterien der Teilhabe und „Repräsentation“ geprägt, weniger durch ästhetische Qualität oder Exzellenz. Damit steht zunehmend der universalistische Kern zur Disposition, der den meisten Kulturinstitutionen und auch den Gründungsakten internationaler Filmfestivals zugrunde lag.
Ein weiteres Problem ist der schrumpfende Etat: Zuletzt waren langjährige Sponsoring-Partner abgesprungen. Tuttle wird den Spagat meistern müssen, bei weniger Filmen und höheren Kosten die Einnahmen zu steigern.
In jedem Fall muss sich die Berlinale der Kuratel der Politik entziehen, und zurückfinden zur ästhetischen Qualität, zu einem Gleichgewicht zwischen Cinephilie und Eventkino. Sie muss versuchen, sich eine eigene Agenda zu setzen. Alles wird neu bei der Berlinale – und mit der neuen Leiterin gibt es zumindest „Licht“ am Ende des Tunnels.
De Maart
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