Christine Lambrecht macht es schriftlich. Neun Zeilen müssen genügen. Die Ministerin, die sie an diesem Vormittag noch ist, will selbst nicht mehr öffentlich auftreten. Seit Monaten steht die SPD-Politikerin in der Kritik – auch durch selbst verursachte Fehler, zuletzt ein total verunglücktes, privat aufgenommenes Silvestervideo. „Die monatelange mediale Fokussierung auf meine Person“ lasse eine sachliche Berichterstattung und Diskussion über Bundeswehr und ihre Soldatinnen und Soldaten wie auch über sicherheitspolitische Weichenstellungen kaum zu. „Ich habe mich deshalb entschieden, mein Amt zur Verfügung zu stellen“, so die SPD-Politikerin. Die „wertvolle Arbeit“ der Soldatinnen und Soldaten müsse im Vordergrund stehen.
Lambrecht ist an diesem Montag 13 Monate und acht Tage Bundesministerin der Verteidigung, mit die kürzeste Stehzeit, die ein(e) Amtsinhaber(in) auf diesem Posten je hatte. Nur Rupert Scholz (CDU) hielt sich mit elf Monaten zwischen Mai 1988 und April 1989 noch kürzer an der Spitze dieses hochkomplizierten Ministeriums. Lambrecht bittet Bundeskanzler Olaf Scholz um Entlassung. Vermutlich fällt eine große Last von ihr, dass sie aus einem Amt scheiden kann, in dem sie letztlich nie richtig angekommen ist. Militärisches blieb der Juristin fremd. Dass am Sonntag auch noch die Feuerwehr vor ihrer Berliner Wohnung anrücken musste, weil Zeugen eine „Rauchentwicklung“ gemeldet hatten, wie Bild berichtet, passt zur Lage. Es läuft einfach nicht.
Viele Baustellen mit Fallstricken
Nun muss Bundeskanzler Olaf Scholz, der Lambrecht zur Überraschung vieler in dieses Amt berufen hatte, sehr schnell eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger finden. Scholz dürfte spätestens seit Freitag gewusst haben, dass Lambrecht unter dem Druck der andauernden öffentlichen Debatte über manchen Fehltritt ihre Verantwortung für dieses Ministerium abgeben möchte. Womöglich wusste er es sogar noch länger. Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann sagt zur Frage, seit wann Scholz davon wisse, sie könne aus vertraulichen Gesprächen nicht berichten. Eine Entscheidung werde „zeitnah“ erfolgen. Über das Wochenende dürfte mindestens der SPD-Teil der Ampel Optionen für die Nachfolge sondiert haben, schließlich hat die SPD laut Verabredung in der Koalition den Zugriff auf das Verteidigungsministerium. Zu Wochenbeginn sieht es aber erst einmal so aus, als würde zumindest am Montag noch keine Nachfolge bekannt gegeben werden. Vielleicht doch eine größere Kabinettsumbildung?
Wer immer auf Lambrecht folgt, sie oder ihn erwarten viele Baustellen, teilweise mit Fallstricken und auch technischen Unwägbarkeiten. Das Verteidigungsministerium steht wegen des regen Eigenlebens der Teilstreitkräfte wie auch wegen der engen Verflechtung zwischen Industrie und Ministerialapparat in dem Ruf, quasi unregierbar zu sein. Ministerinnen und Minister stolperten an der Spitze von Hardthöhe und Bendlerblock in Reihe.
Beschaffungswesen reformbedürftig
Vor allem das Beschaffungswesen der Bundeswehr gilt als dringend reformbedürftig. Hier war Lambrecht tatsächlich sehr früh in ihrer Amtszeit gleich im Januar vor einem Jahr beim Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) in Koblenz und versprach: mehr Tempo. Sie kündigte an, dass etwa kleinere Aufträge bis zu 5.000 Euro (bisher bis 1.000 Euro) direkt und ohne umständliche Ausschreibung vergeben werden können. Weg von den sogenannten „Goldrandlösungen“, bei denen Gerät eigens für die Bundeswehr entwickelt werde, und hin zu dem, was bereits auf dem Markt verfügbar sei. Die angestrebte Vollausstattung mit persönlicher Ausrüstung für jede Soldatin und jeden Soldaten – von Helm, Nachtsichtbrille, Funkgerät, Kälteschutz bis hin zur Schutzweste – soll bereits bis 2025 bei der Truppe sein. Das ist der Plan. Doch auch hier fehlt es an Geschwindigkeit. Die Industrie kann nicht so schnell liefern, wie erhofft, bestellt und benötigt.
Vor dem Ukraine-Krieg wären für jeden Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt (IBuK) ein „Sondervermögen Bundeswehr“ von 100 Milliarden Euro, die in Wahrheit neue Schulden bedeuten, ein Wunschkonzert gewesen. Aber in diesen Monaten der Zeitenwende, in denen die Truppe Großgerät und Munition an die ukrainischen Streitkräfte abgibt, kann das Geld gar nicht schnell genug ausgegeben werden. Vor allem muss die Fähigkeit der Bundeswehr, auch wieder wirklich das eigene Land verteidigen zu können, deutlich gesteigert werden. Neue Kampfjets, neue Transporthubschrauber, neue Fregatten und der Pannen-„Puma“ kosten Geld. Es fehlt massiv an Munition. Die Rüstungsindustrie müsste ihre Produktion massiv aufstocken. Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, spricht mit Verweis auf Experten schon von 300 Milliarden Euro, die notwendig wären, um in der Truppe etwas signifikant zu verändern. Der Name von Högl wird als einer von mehreren für die Lambrecht-Nachfolge gehandelt. Wollte da jemand eine Botschaft loswerden? Frei nach der Devise: Wenn, dann packe ich richtig an.
De Maart
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